Kallikles vertrat ja die Meinung, es sei besser „Unrecht zu tun als Unrecht leiden", wisst ihr zufällig wo man dazu literaturbelege findet??

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Kallikles ist als Dialogfigur (KA.) in Auseinandersetzung mit der Dialogfigur Sokrates bei Platon, Gorgias 481 b – 513 c bekannt.

Kallikles verwendet in seiner Argumentation einen Gegensatz zwischen Natur (griechisch: φύσις [physis]) und Brauch/Sitte/Gesetz/Satzung/Vereinbarung/Konvention (griechisch: νόμος [nomos]).

Ein Standpunkt, es sei besser, Unrecht zu tun als Unrecht zu leiden, kommt bei ihm nicht genau in dieser wörtlichen Formulierung vor.

Am nächsten kommt die Aussage von Kallikles bei Platon, Gorgias 483 a, von Natur aus (griechisch: φύσει) sei hässlicher/schändlicher/schimpflicher (griechisch: αἴσχιον), was auch schlechter (griechisch: κάκιον) ist, das Erleiden von Unrecht (griechisch: τὸ ἀδικεῖσθα), nach dem Gesetz/der Konvention (griechisch: νόμῳ) dagegen das Begehen von Unrecht (griechisch: τὸ ἀδικεῖν).

Inhaltlich vertritt er eine Auffassung, die zu dem Standpunkt, den Sokrates vertritt, scharf entgegengesetzt ist.

Kallikles vertritt ein „natürliches“ Recht des Stärkeren: Platon, Gorgias 483 a – 484 c, 488 b, 490 a, 491 e – 492 c

Dazu gehört, sich über Moral und Gesetze, die eine Masse der Schwachen aufgestellt habe, hinwegzusetzen. Was nach dem Maßstab solcher Moral und Gesetze Unrecht ist, will dieser „Stärkere“, um seine Wünsche möglichst weitgehend zu erfüllen, lieber tun als erleiden. Dies wird allerdings als das „von Natur aus Gerechte“ gerechtfertigt.

Der Starke hat nach dieser Auffassung den Willen und die Fähigkeit, ein eigenes Mehr-Haben-Wollen (Streben nach möglichst großer Befriedigung von Begierden) auszuleben: Der Stärkeren möchte seine eigenen Begierden möglichst groß sein lassen und nicht einschränken, sondern ihrer Befriedigung dienen. Darin steckt eine Verbindung von Sozialdarwinismus und egoistischem Hedonismus. Kallikles meint, das Gute und das Angenehme seien dasselbe.

Platon, Werke : Übersetzung und Kommentar. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz herausgegeben von Ernst Heitsch, Carl Werner Müller und Kurt Sier. Band 6, 3: Joachim Dalfen, Platon, Gorgias : Übersetzung und Kommentar. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 2004,

S. 54 (483 a – 484 c):

„Von Natur aus ist nämlich alles hässlicher und schändlicher, was auch schlechter ist, also Unrecht leiden, der Konvention nach aber das Begehen von Unrecht. Denn dies zu erleiden, nämlich sich Unrecht zufügen zu lassen, ist auch nicht Art eines Mannes, sondern eines Sklaven, für den es besser ist tot zu sein als zu leben, der, wenn er ungerecht behandelt und in den Dreck getreten wird, sich selbst nicht helfen kann und auch keinem anderen, der ihm nahesteht.

Aber ich glaube, diejenigen, welche die Gesetze aufstellen, das sind die schwachen Menschen und das ist die Masse. Mit dem Blick auf sich selbst und auf ihren eigenen Nutzen geben sie die Gesetze und verteilen Lob und Tadel. Sie jagen den stärkeren Menschen, die fähig sind mehr zu haben, Angst ein, damit sie nicht mehr haben als sie selbst, und sie sagen, dass mehr zu haben hässlich und ungerecht ist und dass darin die Ungerechtigkeit besteht, im Streben mehr zu haben als die anderen. Denn sie sind zufrieden, glaube ich, wenn sie das Gleiche haben, weil sie die Schlechteren sind. Deshalb also heißt dies der Konvention nach ungerecht und schändlich, mehr haben zu wollen als die Masse, und sie nennen es „Unrecht tun“. Die Natur selbst aber zeigt es, glaube ich, dass es gerecht ist, wenn der Bessere mehr hat als der Schlechtere und der Fähigere mehr als der Unfähige. Sie zeigt es in vielen Bereichen, dass es so ist, an den anderen Lebewesen und an ganzen Staaten und Stämmen der Menschen, dass das Gerechte so bestimmt ist, dass der Bessere über den Schlechteren herrscht und mehr hat. Denn mit welchem Recht ist Xerxes gegen Griechenland gezogen oder sein Vater gegen die Skythen? Man könnte tausend andere solcher Dinge nennen. Ich glaube, diese Menschen tun das gemäß der Natur des Gerechten, und zwar - bei Zeus - gemäß dem Gesetz der Natur, freilich vielleicht nicht nach dem, das wir aufstellen. Wir formen die Besten und Stärksten unter uns, indem wir sie von Kindheit an wie Löwen in die Hand nehmen, sie besingen und ihnen etwas vorgaukeln. Wir sagen ihnen, dass man das Gleiche haben muss und dass dies das Schöne und und das Gerechte ist, und machen sie so zu Sklaven. Wenn aber, glaube ich, ein Mann aufsteht, der eine ausreichende Stärke hat, der schüttelt das alles ab und zerreißt es und kommt durch. Er tritt unsere geschriebenen Satzungen mit Füßen und unsere Gaukeleien und Zaubersprüche und alle diese widernatürlichen Gesetze. Er erhebt sich und der Knecht zeigt sich als unser Herr, und da erstrahlt das Recht der Natur. Mir scheint, auch Pindar hat das, was ich sage, gezeigt in dem Lied, in dem er sagt: „Gesetz, der König von allen, Sterblichen und Unsterblichen.“ Dieses Gesetz, sagt er, „führt rechtfertigend das Gewalttätigste mit überlegener Hand. Ich schließe es aus den Taten des Herakles, denn ohne zu bezahlen ... " so ungefähr sagt er - ich kenne das Lied nicht auswendig - er sagt aber, dass er die Rinder weggetrieben hat, ohne sie gekauft zu haben und ohne dass Geryones sie ihm gegeben hätte, weil dies eben von Natur das Recht sei, dass Rinder und der ganze andere Besitz der Schlechteren und Schwächeren dem Besseren und Stärkeren gehören. So ist es nun in Wirklichkeit, und du wirst es erkennen, wenn du die Philosophie endlich sein lässt und zu den wichtigeren Dingen kommst.“

S. 59 (488 b):

„Wiederhole mir bitte von Anfang an, wie es sich deiner und Pindars Behauptung nach mit dem gemäß Natur Gerechten verhält. Dass der Stärkere mit Gewalt den Besitz des Schwächeren wegführt und dass der Bessere über über die Schlechteren herrscht und dass der Tüchtigere mehr hat als der weniger Tüchtige? Bezeichnest du etwas anderes als das Gerechte oder erinnere ich mich richtig?

KA.: Nein, das habe ich damals gesagt und das sage ich jetzt.“

S. 61 (490 a):

„KA.: Ja, das ist es, was ich meine. Das ist nämlich meiner Meinung nach das von Natur aus Gerechte: als Besserer und Klügerer zu herrschen und mehr zu haben als die Schlechteren.“

S. 63 – 64 (491 e – 492 c):

„KA.: Doch, doch, Sokrates, ganz genau. Wie könnte denn ein Mensch glücklich werden, der irgendjemandes Sklave ist? Nein, sondern das ist das gemäß der Natur Schöne und Gerechte, was ich dir jetzt ganz frei und offen sage: wer richtig leben will, muss seine eigenen Wünsche möglichst groß werden lassen und darf sie nicht zügeln. Und er muss in der Lage sein diesen möglichst großen Wünschen durch Männlichkeit und Klugheit zu dienen und das zu erfüllen, wonach sich jeweils der Wunsch einstellt. Aber dies ist, glaube ich, für die Masse unmöglich. Daher tadeln sie solche Leute, aus Scham, und sie bemänteln damit ihre Schwäche. Und weil sie selbst ihren Gelüsten keine Erfüllung verschaffen können, loben sie die Mäßigung und die Gerechtigkeit, wegen ihrer eigenen Unmännlichkeit. Denn für alle, die entweder von Anfang an Söhne von Königen waren oder dank ihrer Natur von sich aus fähig sich eine Herrschaft zu verschaffen, sei es eine Tyrannis oder die Herrschaft ihrer Gruppe, was könnte in Wahrheit für diese Menschen schändlicher und schlechter sein als Mäßigung und Gerechtigkeit? Obwohl es ihnen möglich wäre die Güter zu genießen und keiner sie hindern würde, sollten sie sich selbst einen Herrn zuziehen, das Gesetz der Masse und ihr Gerede und ihre Kritik? Oder wie wären sie nicht elend dank des Schönen der Gerechtigkeit und der Mäßigung, wenn sie ihren eigenen Freunden mehr zuwenden würden als den Feinden, und das, obwohl sie in ihrer eigenen Stadt herrschen? Nein, Sokrates. In Wahrheit - und du sagst ja, dass du der Wahrheit nachläufst - ist es so: Luxus und Ungezügeltheit und Freiheit, wenn sie eine Stütze hat, das ist Tugend und Glück, das andere da, das sind die schönen Worte, die naturwidrigen Vereinbarungen von Menschen, Geschwätz und nichts wert.“


Jurist521 
Fragesteller
 12.03.2023, 22:38

Wow, vielen Dank!

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