Ist man bei Flut leichter?

8 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo Flimbo,

Antwort in mehreren Teilen, ja?

Erst einmal: Auch wenn man es in der Schule so lernt: Der Mond steht nicht immer im höchsten Punkt, wenn gerade Flut ist. An den Küsten wird der Rhythmus und die Höhe der Tiden vor allem durch die Küstenform bestimmt. Hier kommt es zu Resonanzen der ein- und auslaufendn Tidenwellen. Dadurch tritt an manchen Orten die Flut verspätet oder nicht im 12 Stunden Wechsel auf. Nur auf den offenen Ozeanen ist das Bild so, wie man es von Erklärungsbildern kennt: Ein Flutberg auf der mondzugewandten Seite, einer gegenüber - und dazwischen Niedrigwasser.

Zweitens: Beantworten wir also genauer die Frage: Ist man leichter, wenn der Mond über einem im höchsten Bahnpunkt steht - im Gegensatz zu dem Zeitpunkt, wenn der Mond im rechten Winkel, also am Horizont steht?

Ja, natürlich. Aber sehr wenig. Und ja, das ist sowohl berechenbar als auch nachweisbar.

Die Schwerkraft (oder Gravitation) zwischen 2 Körpern ist umso größer, je schwerer die beiden Körper sind und je kleiner, desto weiter sie auseinander sind. Die Stärke der Kraft nimmt sogar quadratisch mit der Entfernung ab.

Selbst auf der Mondoberfläche zieht uns der Mond - wegen seiner geringeren Masse - nur etwa 1/6 so stark an, wie die Erde auf der Erdoberfläche. Die Anziehungskraft, die der Mond auf uns auf der Erdoberfläche ausübt - also im mittleren Abstand von 384400 km - ist also sehr, sehr gering, weil er so weit weg ist. Um genau zu sein: Für uns auf der Erdoberfläche ist die Anziehungskraft des Mondes 300 000 mal kleiner als die Anziehungskraft der Erde!

Das bedeutet konkret: Wenn der Mond hoch oben im Zenit steht, wirkt seine Anziehung der Erdanziehung genau entgegen, der Effekt wird maximal. Das heißt, der Mond macht uns um ein Dreihunderttausendstel leichter als wenn er in Horizontnähe steht und der Effekt wegfällt, weil die beiden Kräfte senkrecht zueinander stehen.

Nun kann man das auch mit Änderungen der auf uns wirkenden Erdanziehung vergleichen, wenn wir uns im Schwerfeld der Erde bewegen. Da die Schwerkraft vom Abstand zum Erdmittelpunkt abhängt, zieht uns die Erde schwächer an, wenn wir eine Treppe oder einen Berg hochsteigen. Man kann nun leicht ausrechnen, dass die auf uns wirkende Schwerkraft vergleichbar mit der Wirkung des Mondes im Zenit abnimmt, wenn wir etwa 10 Metern höher gehen, also z.B. vom Erdgeschoss in den zweiten Stock. Da praktisch alle Menschen mehrmals tagtäglich Höhenunterschiede in der Größenordnung 10 Meter überwinden und dies gänzlich ohne fühlbare Schwerkrafteffekte, können wir sicher sein, dass wir auch nicht spüren, wenn wir durch die Anziehungskraft des Mondes um ein 300 000stel leichter werden.

Und drittens: Man darf diese eben berechnete gravitative Anziehungskraft, die der Mond auf uns ausübt keinesfalls mit der Gezeitenkraft verwechseln, die der Mond auf uns ausübt. Diese ist noch einmal um etliche Größenordnungen kleiner.

Dafür muss man sich überlegen, was Gezeitenkraft eigentlich ist: Sie entsteht nämlich durch den Unterschied der Anziehungskraft (Schwerkraft) an 2 entgegengesetzten Enden eines Körpers. Mit diesem Kräfteunterschied zieht der Mond quasi unseren Körper auseinander, wenn er über uns steht.

Dass diese Kraft ausreicht, die Wassermassen in den Meeren und Ozeanen zu bewegen, wird klar, wenn man sich überlegt, dass zwischen mondnächstem und mondfernsten Punkt immerhin der doppelte Erdradius, also über 12 000 km liegen. Über eine so große Entfernung variiert die Graviationswirkung des Mondes immerhin um knapp 7%. Beeindruckend wird aber auch dieser Einfluss nur dann, wenn dieser resultierenden Gezeitenkraft große Wassermassen folgen. Bereits in Seen und Flüssen sind keine Effekte mehr sichtbar.

Wie groß ist nun die Gezeitenkraft auf einen Menschen? Wenn wir von einem 2 Meter großen, etwa 70 kg schweren Menschen ausgehen, dann berechnet sich die Gezeitenkraft des Mondes auf diesen Menschen also aus dem Unterschied der Anziehungskraft durch den Mond am Kopf des Menschen und an dessen Füßen. Also 2 Meter vom Mond weiter weg. Das entspricht einer Kraft von etwa 2,5 * 10^-11 N.

Kann sich keiner etwas darunter vorstellen. Daher: Mit welchem Gewicht müssten wir einen Menschen beschweren, dass dieses Gewicht mir derselben Kraft an unserem 2 Meter-Mensch zieht, wie die Gezeitenkraft des Mondes? Antwort: für g etwa 10 m/s^2 müsste man eine Masse von 2,5 * 10^-12 kg = 2,5 *10^-9 g. Also 2,5 Nanogramm. 2,5 ng entsprechen etwa der mittleren Masse einer einzigen Körperzelle!

Unser 2 Meter-Mensch wird durch die Gezeitenkraft des Mondes also etwa so gezerrt, wie auf einer Streckbank, an die wir als Gewicht eine einzige Körperzelle hängen. Das ist in aller Regel zu ertragen. Wenn wir eine Hautschuppe verlieren, ist die Schwerkraftänderung größer.

Zum Vergleich: Stehen wir neben einem Menschen, so übt dieser je nach Gewicht sogar die bis zu 80 000 fache Gezeitenkraft des Mondes auf uns aus.

Niemand kann daher die Effekte des Mondes wahrnehmen...

Grüße

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Diplom in Physik, Schwerpunkt Geo-/Astrophysik, FAU

Flimbo 
Beitragsersteller
 26.08.2013, 21:00

Beeindruckend wird aber auch dieser Einfluss nur dann, wenn dieser resultierenden Gezeitenkraft große Wassermassen folgen. Bereits in Seen und Flüssen sind keine Effekte mehr sichtbar.

Genau das geht /ging mir nicht in den Kopf rein. Wie kann eine so schwache Kraft so viel Wasser bewegen (auf offenem Meer soll ja immerhin ein Unterschied von 30 cm bestehen und das auf "fast der Hälfte" der Erde). Wenn ich mir so eure Rechnungen anschaue, dann hat man das als klare Gleichung vor sich, aber die Vorstellungskraft kommt da bei mir einfach nicht mit ;P . Die selbe Frage hab ich mir übrigens auch bei Galaxien und noch größeren Systemen überlegt (eine galaxie zieht die andere an und umgekehrt auf einer Entfernugn von Mio. von Lichtjahren aber man selber spürt es nicht, weil einfach andere Kräfte viel Größer sind.)

Danke nochmal an alle die sich hier Gedanken gemacht haben. Das hat meine Frage beantwortet bzw. meine Vermutung bestätigt :)

0
uteausmuenchen  26.08.2013, 23:50
@Flimbo

Danke für das Sternchen, ich freu mich =)

Wie kann eine so schwache Kraft so viel Wasser bewegen...

Tangential, das ist der Trick... ;-)

Sehr oft findet man die Entstehung der Gezeiten über das Anheben des Wassers auf der mondzugewandten Seite durch die Anziehungskraft des Mondes und durch die Fliehkraft gegenüber erklärt, das ist jedoch nicht ganz richtig.

Die Anziehungskraft der Erde, die das Wasser an unseren Planeten bindet, ist wie gesagt etwa 300 000 mal stärker als die des Mondes, durch die Bewegung im Erde-Mond-System ist die Netto-Kraft sogar noch kleiner. Der Mond ist deshalb nicht in der Lage, die Wassermassen der Ozeane zu heben.

Die richtige Erklärung für das Zustandekommen der Gezeiten ist folgende: Am mondzugewandten Punkt der Erde hebt sich das Wasser, weil unser Planet sich zu schnell dreht, der Mond bleibt aus Sicht eines Punktes auf der Erde zurück. Die Wassermassen werden deshalb durch den Mond tangential von der festen Erdkugel weggezogen, sie "versuchen" am Ort der maximalen Anziehungskraft zu bleiben, die Erde dreht sich jedoch weiter. Der Mond hebt also nicht das Wasser an, sondern bewegt es tangential über die Erdoberfläche.

Eine tangentiale Bewegung des Wassers benötigt viel weniger Kraft als ein Anheben der Wassermassen. Man kann sich das verdeutlichen, wenn man ans Rollen einer Schneekugel für einen Schneemann denkt: Während man die schweren Kugeln noch gut rollen kann, ist es oft fast unmöglich, sie zum Stapeln hochzuheben.

Auf der mondabgewandten Seite entsteht ebenfalls eine tangentiale Bewegung durch die Trägheitskräfte.

Grüße

1

"kowekowe" hat den Gewichts unterschied im Prinzip berechnet, aber seine Antwort im letzten Satz wieder in Frage gestellt.

kowes Rechnung ermittelt das Maximum der Wirkung der Flut. Dazu kommt der gleiche Wert nochmal für die Ebbe und ca. 25% Zuschlag für die Springflut als Einfluss der Sonne. - ergibt also einen Faktor 2,5 für die ermittelten 300.000 - macht dann

1/10000

fuer die Schwankung des Gewichts. Da dies das Maximum war, muss man in der Praxis in unserer geograph. Breite mit ca. 30% davon rechnen. Waagen, die diesen winzigen Unterschied messen, könnte es geben - ich kenne eine von Bizerba für max. 5kg und Genauigkeit 1 Mikrogramm, man hätte also einen Messfehler von 100%. Rechnen ist also leichter als Messen.


kowekowe  26.08.2013, 12:05

Ich habe meine Antwort nicht in Frage gestellt. Ich habe lediglich gesagt das es eine grobe Rechnung ist welche von Durchschnittswerten ausgeht. Welchen Messbereich die Waage abdecken muss habe ich auch genannt.

1
weckmannu  26.08.2013, 06:28

es gibt leider Tippfehler richtig ist 1/100.000 oder 10^-5

1

Ich habe auch keine Ahnung davon und kann dir vermutlich gar nicht helfen, aber hier ist meine Einschätzung: Zwar ist der Mond recht schwer, allerdings sehr weit von der Erde entfernt. Je weiter es von ihr entfernt ist, desto weniger wirkt seine Gravitation. Deswegen verschiebt er vielleicht ein bisschen die Wassermassen (Wenn der Tidenhub an einer Stelle 2 m beträgt, klingt das erst nach viel, aber wenn man das mit der Größe der Ozeane vergleicht, ist das mickrig). Deswegen dürfte sich die Differenz auf Summen beziehen, die kleiner sind als Milligramm.

Außerdem würde das Gewicht der Waage, mit der man diese Differenz messen möchte, sich ja auch verändern. Deswegen lässt sich das wohl kaum messen.


weckmannu  26.08.2013, 06:29

keine Ahnung - aber antworten

wenn die Waage ihr Gewicht aendert, misst sie trotzdem

0
xXFloraXx  26.08.2013, 18:32
@weckmannu

Weißt du eigentlich, wie eine Waage funktioniert? Nehmen wir mal eine "klassische" Waage, bei der man auf die eine Waagschale das legt, was man wiegen will, und auf die andere eine diverse Anzahl von Gewichten, bis beide Waagschalen gleich hoch sind. Nehmen wir mal an, du wiegst 70 kg. Dann bräuchtest du ein 70 kg Gewicht, das du auf die andere Waagschale legst. Bei Mondeinfluss verlieren beide, du und das Vergleichsgewicht, an Gewicht. Also gleichen sich die beiden Waagschalen dennoch aus, auch wenn du nicht mehr ganz 70 kg wiegst. Das ist keine Ausrede, sondern simple Physik.

0

Berechnen wir doch einfach den Unterschied!

Die Beschleunigung, die ein Körper auf der Erdoberfläche durch die Gravitationskraft des Mondes erfährt, kann durch folgende Formel berechnet werden:

a=G*m/r² dabei ist M=7,35 *10^22 kg die Masse des Mondes, r der Abstand vom Mond zum Körper und G=6,67 *10^(-11) die Gravitationskonstante . Der Abstand r , Mond - Erdoberfläche ist ca. 380.000.000 Meter.

Damit ergibt sich eine Beschleunigung a = 3,4 *10^-5 m/s² . Die Erde übt auf den gleichen Körper aber eine viel höherer Fallbeschleunigung aus g=9,81 m/s² . Im Vergleich ist die Kraft des Mondes auf den Körper in etwa nur 3 Millionstel so Stark wie die Kraft der Erde auf den Körper.

Fazit: Eine Wage die im im Bereich von Kilogramm bis Miligramm exakt messen kann müsste die Effekte der Mondanziehung messen können. Ob es eine solche Waage gibt kann ich dir nicht sagen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Gezeiten

P.s. Das soll eine grobe Berechung sein um die Größenordnungen des Problems in etwa zu erhalten. Ich habe viele Durchschnittswerte genommen und nicht den Unterschied zwischen ebe und Flut gemacht.


uteausmuenchen  26.08.2013, 14:35

Damit ergibt sich eine Beschleunigung a = 3,4 *10^-5 m/s² . Die Erde übt auf den gleichen Körper aber eine viel höherer Fallbeschleunigung aus g=9,81 m/s² .

So weit ganz richtig gerechnet...

Im Vergleich ist die Kraft des Mondes auf den Körper in etwa nur 3 Millionstel so Stark wie die Kraft der Erde auf den Körper.

Jetzt nicht mehr. Das Verhältnis von 10 zu 3 *10^-5 ist nicht ein 3 Millionstel, sondern ein Drittel Millionstel, also eins zu 300 000 (gerundet).

denn

10 : 3*10^-5 = 1/3 * 10 * 10^5 = 1/3 * 10^6 ≈ 300 000

Damit stimmen dann unsere beiden Angaben überein... =D

Der korrekte "Netto-Wert" ist aber noch um einiges niedriger, denn unser beider Angabe, dass die Anziehungskraft des Mondes ein Dreihunderttausendstel der Erdanziehung beträgt, unterschlägt, dass sich Erde und Mond um das gemeinsame Schwerkraftzentrum bewegen. Das verringert netto die Kraftwirkung des Mondes noch einmal.

Grüße ... und nothing for ungood ;-)

1
kowekowe  26.08.2013, 15:05
@uteausmuenchen

10 : 3*10^-5 = 1/3 * 10 * 10^5 = 1/3 * 10^6 ≈ 300 000 Damit stimmen dann unsere beiden Angaben überein... =D

Da hast du Recht. War ein kleiner Umrechnungsfehler meinerseits.

Und ja unsere beiden Rechnungen sind grob und vernachlässigen noch einige Fakten. Auf dem Wikipedia-Link den ich gepostet habe wird das Problem ausfürhlicher behandelt.

1

Der Effekt tritt im Menschen nicht auf. Um die Flut messen zu können braucht man schon sehr große Wassermassen. An Seen gibt es auch keine Flut und Ebbe. Selbst am Mittelmeer sind die Gezeiten kaum zum spüren.