Ist der begriff " Primitive Kulturen" so beleidigend gemeint wie er in meinen Ohren klingt?

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Der Beiklang im Begriff 'primitive Kultur' ist tatsächlich abwertend. Allerdings sollte man auch hier genauer hinsehen. Der Gegensatz wird ja durch die Schriftkulturen verkörpert, die sehr lange historische Entwicklungen durchlaufen haben, welche in der Regel sehr gut belegt sind. Wenn sich nun jemand zu den sogenannten 'primitiven Kulturen' hingezogen fühlt, kann das auch eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, nach Unverfälschtheit und Unmittelbarkeit sein. Man hat das Gefühl, dass hier die Dinge leichter zu durchschauen sind, nicht so viele Chiffren zu entschlüsseln sind, und damit der Zugang leichter gelingen kann. Auch sind die Rituale meist elementarer, sie schließen Körperlichkeit vermehrt ein und gehen damit stärker 'unter die Haut'. Bezüge zur Natur sind eher angesagt, auch Faktoren wie Nacht, Totems, Blut, Tieropfer, ekstatische Tänze und stark rhythmischen Gruppengesänge spielen meist eine große Rolle. Von solchen Handlungen geht eine starke Faszination aus, die wir eher distanziert und in Schonräumen lebenden Menschen der westlichen Industriestaaten kaum noch kennen. Wenn man sich also diese faszinierenden Elemente der sog. primitiven Kulturen vor Augen führt, ist das abwertende Moment in der Kennzeichnung weitgehend kompensiert.

Ja, das ist meistens abwertend gemeint, wenn auch nicht immer bewußt abwertend.

Wie "primitiv" diese alten Kulturen im Vergleich zur Neuzeit sind, sieht man z.B. daran, daß die Ureinwohner Ackerbau im Regenwald betreiben konnten ohne den Regenwald vorher zu vernichten (durch die Gewinnung sogenannter Schwarzerde, durch kluge Kombination verschiedener Pflanzen, etc), während die "modernen" Menschen am gleichen Ort den Regenwald erst einmal abholzen und vernichten um dann für wenige Jahre dort Felder anlegen zu können....

Um entscheiden zu können, wie - und ob auch abwertend - der Ausdruck jeweils gemeint ist, müsste man den jeweiligen Zusammenhang kennen und demjenigen, der sich so ausdrückt, länger zuhören bzw. seine Schriften lesen. Bestimmt ist der Begriff oft in überheblicher und abwertender Weise benützt worden. Das Bedeutungsspektrum und die emotionale Tönung von Begriffen kann sich aber auch im Lauf der Zeit wandeln. So war etwa der Ausdruck "Neger" für einen Schwarzafrikaner noch vor 50 Jahren ganz normal und keinesfalls abwertend - heute muss man sich aber davor hüten, das Wort auszusprechen, wenn man nicht als Rassist beschimpft werden will.


riara  24.10.2011, 15:50

Wie hat sich wohl der Afro-Amerikaner oder Afrikaner gefühlt, wenn er so genannt wurde? Vor 50 Jahren war das Aufbegehren sicher nicht so leicht, denn was passierte einem Schwarzen in Südafrika oder den USA?

Rassist ist im ürbigen kein Schimpfwort, sondern eine korrekte Bezeichnung für jemanden, der Afrikaner oder Schwarze mit dem N-Wort bezeichnet...

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Yakob  25.10.2011, 11:46
@riara

Drehen wir das Ganze mal ein bisschen um: wenn ich nach Afrika reise und dort von den Leuten als "Weisser" bezeichnet werde - was ist daran falsch ? Natürlich bin ich sowenig weiss wie ein "Schwarzer" schwarz ist. Dass für die dunkelhäutigen Menschen an mir die hellere Hautfarbe als erstes wesentliches Unterscheidungsmerkmal dienen würde, ist aber doch ganz normal.

Das Wort "Neger" bezeichnet ursprünglich einfach einen Menschen dunkler Hautfarbe. Ohne weitere (etwa abwertende) Hintergedanken. Punkt. Dass ein ursprünglich einfach als Bezeichnung eingeführtes Wort mit der Zeit mit allen möglichen und unmöglichen zusätzlichen Bedeutungen verändert und belastet wird, ist ein sozialer Prozess und hat dann sehr wohl auch mit negativen Entwicklungen zu tun. Ganz ausgeprägt waren solche Entwicklungen hin zum Rassismus zwischen "Weißen" und "Schwarzen" in den USA. Von dort kommt wohl auch die zunehmende Verpönung des "N-Worts", wie du es nennst. Wenn du aber jeden, der dieses Wort als korrekte Bezeichnung für einen dunkelhäutigen Menschen benützt, als Rassist bezeichnen willst, dann solltest du dich an deiner eigenen Nase fassen und dich fragen, was für ein ....ist denn du selber sein magst. Für mich selber ist "Neger" jedenfalls kein Schimpfwort.

Nebenbei: Martin Luther King bezeichnete sich selber stolz als "Negro".

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riara  26.10.2011, 17:52
@Yakob

Als Deutscher und Weißer, der nicht nur 7 Jahre in Kenia gelebt und gearbeitet hat, sondern zudem bei 4 Stämmen Ehren-Ältester ist, kann ich Dir die Frage sowohl von meinem Weißen-Standpunkt als auch von der Sichtweise eines Stammes-Weißen sagen...:-)

Benutzt Du dieses Wort in Afrika, geht Dir ziemlich schnell die Luft aus, das gleiche dürfte Dir in einer schwarzen Nachbarschaft in den USA passieren. Eine lohnende Erfahrung für Unbelehrbare, die sich aber dieses Wortes nur dann bedienen, wenn sie in einer Gruppe von Menschen sind und sich ein Schwarzer nicht in einer Gruppe befindet...

Es ist völlig ok als Schwarzer oder Weißer bezeichnet zu werden, etwas anderes sagt das Wort "Negro" eigentlich auch nicht aus, solange man also spanisch spricht, wird man damit eher nicht anecken. Trotzdem besteht ein großer Unterschied zwischen dem N-Wort und einer Farbbezeichnung, es ist nämlich völlig egal wie Du das empfindest. Ethnologische Bezeichnungen sind in unserer heutigen Gesellschaft nicht üblich, man bezeichnet Menschen nicht mit einem Wort, dass für eine Zeit steht, in der Schwarze wie Untermenschen behandelt wurden. Es steht also einem Afro-Amerikaner oder Afrikaner zu, nicht wie ein Sklave oder Unterdrückter des 18. oder 19. Jh. bezeichnet zu werden. Bekommst Du das nicht hin, dann wirst Du selbst als Rassist oder zumindestens als minder Gebildeter wahrgenommen. In den meisten größeren Firmen kann der Arbeitgeber Dich zudem feuern, ausserdem kann der Gebrauch des N-Wortes im Sinne des Paragraphen 130 StGB - Volksverhetzung - verstanden werden. Wenn Du Pech hast kostet es Dich also zudem noch die Freiheit (3 Monate bis 5 Jahre).

Konfrontierst Du einen gut aufgestellten afrikanischen Menschen wie meine Frau mit diesem Wort, gibt es eine Anzeige wegen Beleidigung, im Zivilrecht bekommst Du da schnell 300-600 Euro Schmerzensgeld, die ich mit Freuden über den Gerichtsvollzieher eintreiben lasse, denn wo immer ich Sturköpfe mit rassistischen Potential finden kann, gebe ich Vollgas...denn Leute die solche Wörter benutzen, erinnern mich an den weißen Fleck in einem Haufen Hühnerschisse...:-)

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Yakob  27.10.2011, 16:17
@riara

Denk was du willst. Falls du mich aber nur in die Nähe der "Rassisten-Ecke" bringen willst, die in deinem Denken offenbar vorhanden ist, dann liegst du einfach voll daneben.

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Das Wort 'primitiv' benutzt man nicht (mehr) im Zusammenhang mit Menschen, Kulturen oder deren Stämmen. Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit der Kolonialisierung und fußt auf dem ethnologischen Gedankengut des 19. Jh., aus dem auch der Antisemitismus und Rassismus entstanden sind.

Grundsätzlich war es aber in fast allen Epochen so, dass man seine eigene Kultur über die anderer gestellt hat, in letzter Konsequenz fällt dann das auslöschen, versklaven oder unterdrücken leichter. Die Griechen nannten z.B. alle anderen Barbaren, dieses Wort leitet sich vom gr. barbaroi ab, was soviel wie Stotterer oder Laller meint. Später erweiterten die Römer dieses Prädikat auf alle, die nicht die römische oder griechische Kultur und Sprache Ihr eigen nannten.

Als Primitiv kann man Einzeller oder einfache Wirbellose bezeichnen, für Menschen gehört sich dieses Wort sicher nicht. Wer wie ich schon mit Jägern und Sammlern oder Nomaden zu tun hatte, dem wird schnell klar, wie primitiv unsere Versuche aussehen, in der Welt der Naturvölker/Pastoralisten zu überleben...:-))

Entsprechend versteht man unter einer primitiven Zivilisation eine sehr ursprüngliche, naturverbundene Kultur oder Religion auf einer wenig komplexen Entwicklungsstufe (meist überwiegend Ackerbau und Viehzucht) mit einfacher Technik.

http://de.wikipedia.org/wiki/Primitivit%C3%A4t

Wenn man es so verstehen will, dann hat man eine sehr eingeengnte Vorstellung dieses Begriffs.