Ist das Handeln meiner Mutter gerechtfertigt?

3 Antworten

Ich bin auch so aufgewachsen. Nur ohne diesen technischen Schnickschnack. Aber ich kann mich in dich hinein versetzen. Mein Bruder hat Hämophilie A, was man auch als Bluterkrankheit kennt. Der noch so kleinste Stoß bringt riesige Blutergüsse hervor, jeder noch so kleine Schnitt kann zum Verbluten führen. Ihm fehlen jegliche Gerinnungsstoffe für das Blut. Soweit die Diagnose seiner Behinderung.

Ich bin die Ältere, er vier Jahre jünger. Sprich, als mein Bruder geboren wurde änderte sich mein Leben schlagartig und nicht nur das, die Familie ging in den Ruin. Haus weg, da mein Vater arbeitsunfähig wurde durch einen Unfall und meine Mutter sich um meinen Bruder kümmern musste und so kein Geld für die Hausraten reinkommen. Was folgte war ein Leben in Armut und Sozialhilfe. Hartz 4 gabs damals nicht.

Was war anders am Leben mit meinem Bruder?

Er wurde in Watte gepackt. Als er älter wurde durfte ich nicht stänkern. Er wusste das und hat mir regelmäßig das Leben zur Hölle gemacht. Er war ja im Kopf normal und war nur Körperbehindert. In guten Phasen tobte er durch die Bude und erfreute sich daran das er nix machen brauchte. Ich musste immer mithelfen. Im Haushalt, beim Einkauf. Auch ich beschwerte mich. Warum muss ich immer mithelfen und nie er? Meine Mutter sagte dann immer, wenn er so alt ist wie du, muss er auch helfen. Da war ich 8. Von Jahr zu Jahr stiegen meine Aufgaben an, aber er musste nie was machen. Zudem war ich oft allein. Denn jedes mal wenn sie mit ihm ins Krankenhaus mussten, damit er Gerinnungsfaktor gespritzt bekam blieb ich allein daheim.

Das schlimmste Erlebnis hatte ich mit 8 Jahren. Wir wohnten in einem Dorf und in den 80gern war das so, das wir auch allein durch die Gegend flitzen durften im Dorf. Da gabs nicht so viel Verkehr wie heute. An Heilig Abend wollten wir alle in die Kirche. Ich war so stolz, denn ich durfte im Krippenspiel einen Engel spielen. Meine Mutter hatte aus alten Gardienen ein Kleid gezaubert. Ich machte mich fertig und meine Eltern sagten, du kannst gehen, deinem Bruder gehts nicht so gut. Wir fangen mit dem Essen an wenn du wieder da bist. Ich flitzte in die Kirche und als ich nach Hause kam ließ mich eine Nachbarin rein. Die hatte den Ersatzschlüssel. Keiner war daheim. Auf dem Tisch lag ein Zettel. "Sind in der Uni-Klinik, du kannst dir schon mal Lebkuchen nehmen und Fernsehen an machen"..... Gegen 23 Uhr sind sie wiedergekommen.

Immer wenn was war, dann waren sie nicht da. Immer wenn ich Hilfe brauchte ging es nicht. Wenn mit ihm was war sprang alles sofort. Und nicht nur das, er konnte sie auch erpressen. Er musste gespritzt werden. Aber er wollte das nicht. Er hat dann den Arzt und die Eltern erpresst. Er lässt sich nur spritzen, wenn er was bekommt. So hatte mein Bruder die tollsten Spielsachen und ich bekam das alt abgelegte. Als ich mit 18 Jahren in die Ausbildung ging war er 14. Er musste die Schulform wechseln, weil eine Ausbildung auf normalen Weg war nicht drin. Er kam auf ein Internat für behinderte Kinder, wo ein normaler Schulabschluss und eine normale Ausbildung gemacht werden konnte.

Er zog aus und ich atmete erstmals wieder auf. Nur in den Ferien war er da. Meine Kindheit hat ausgereicht, das ich selber keine Kinder wollte. Ich bin heute 45 Jahre alt und eigene Kinder habe ich nie bekommen. Wenn in einer Familie diese Krankheit ist, dann können weibliche Nachkommen diese Krankheit vererben. Ich wollte das was ich als Kind durchmachte nicht auch noch als erwachsene Frau nachmachen.

Heute bin ich Erzieherin, arbeite in einer Kita die für behinderte und nicht behinderte Kinder ausgelegt ist. Das was du durchmachst, das machen andere Kinder und Teens auch durch. Auch sehe ich täglich die Eltern zu den Kindern und kann mich heute in meine Mutter hinein versetzen. An deiner Mutter wird von allen Seiten gezerrt. Ihr Druck ist enorm. Sie will alles richtig machen, aber das geht nicht. Sie muss an einer Stelle abstriche machen und diese macht sie bei dir, da sie hofft dass du alleine klar kommst. Jeder krittelt an ihr herum. Und dann kommst du, die ja eigentlich die Situation kennt und sieht, und hofft von dir, dass du einsichtig bist und unterstützt. Sie vergisst dabei deine Situation.

Du hast versucht sie darauf aufmerksam zu machen, was nach hinten los geht. Auch ich habe das oft versucht und habe es nicht hinbekommen. Sie kann aus ihrer Haut nicht raus. Als mein Bruder auszog wurde es besser, als ich auszog war ich endlich frei.

Es bringt nichts deinen Eltern Vorhaltungen zu machen. Sie werden ihr Verhalten nicht ändern, denn sie sind überfordert. Du müsstest dich zurück nehmen. Mache nur das nötigste und kümmere dich den Rest der Zeit nur um deinen Kram und verhindere um Himmels willen Diskussionen. Sie sehen sich im Recht, auch wenn du Recht hast.

Wenn es gar nicht geht hast du zumindest die Chance beim Jugendamt nachzuhaken was man da machen kann. Bei zu großen Leidensdruck helfen die aus.


urmom859 
Beitragsersteller
 08.12.2022, 14:41

Hi, danke für deine Antwort :))

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so geht das nicht weiter! Du solltest mit anderen Verwandten reden damit diese mit deiner Mutter verhandeln!

Hallo!

Es gibt Projekte für Geschwisterkinder. Schau mal, ob du hier was Hilfreiches findesdt: https://www.geschwisterkinder-netzwerk.de/