Glücklich leben mit einem Zwangserkrankten?
Vor etwa zwei Jahren verließ mich (w/28) mein erster Partner nach fast zehn Jahren Beziehung. Wir hatten eine sehr harmonische Beziehung - waren beide sehr harmoniebedürftige Menschen, die die Zeit zu zweit einfach nur genossen.
Die Trennung war hart für mich. Wir hatten bereits begonnen, unser gemeinsames Leben aufzubauen, hatten gemeinsam ein Bauprojekt gestartet, das ich alleine übernahm. Ich hatte große Selbstzweifel, war mir damals meines Wertes nicht bewusst und hatte besonders Angst davor, aufgrund der Immobilie bei neuen potentiellen Partnern auf Ablehnung zu stoßen (was zurückbetrachtet totaler Quatsch ist).
Einige Zeit später fasste ich den Mut, neu anzufangen. Der großen Liebe eine Chance zu geben. Ich meldete mich bei Tinder an und da war er: der in meinen Augen perfekte Mann. Er schrieb mir lange Texte, die schon fast meinem Schreibstil glichen. Er schien aufmerksam, smart und zielstrebig zu sein. Auch optisch war er in meinen Augen der einzig perfekte Mann dort. Was ihn zudem von den anderen unterschied: er suchte die eine letzte Beziehung für‘s Leben. Genau das, was ich auch suchte. Die Nachrichten verlagerten sich zunehmend auf die Abende. Eine lange Nachricht pro Tag wurde die Norm. Als er von meiner langfristigen Ex- Beziehung hörte, kippte die rosarote Stimmung. Er signalisierte mir, dass er schlechte Erfahrungen mit Frauen aus langen Ex-Beziehungen gemacht hat und keine Lust hat, der Ersatzspieler zu sein. Auch befürchtete er, nichts neues mit mir mehr entdecken zu können. Urlaubsziele etc., die ich bereits mit meinem Ex besucht hätte, wären tabu. Die Fragen und Vergleiche zu meiner Vergangenheit wurden immer mehr und immer intimer werdend. Wir schrieben und schrieben, Treffen wurden nicht thematisiert. Irgendwann trafen wir uns spontan an einem Abend in der Stadt. Wir spazierten kurz am Flussufer entlang. Ich merkte, er war distanziert und deutlich ungesprächiger als in seinen Nachrichten.
Weitere Treffen sagte er mir immer kurzfristig ab. Stets mit Begründungen, für die ich Verständnis haben müsste. Ich hatte mich bereits verliebt. Auf dringenden Rat von Freunden und Familie versuchte ich von ihm loszukommen und anderen Chats auf Tinder eine Chance zu geben. Zu diesem Zeitpunkt schrieb er mir bereits eine Woche lang nicht mehr. Ich löschte schließlich das Match, doch er ging mir nicht aus dem Kopf. Im Spätsommer matchten wir ein zweites Mal. Wir begannen uns regelmäßig zu daten. Er schien wie ausgewechselt. Doch nachdem wir erstmals intimer wurden, gingen die Fragen wieder los. Schlimmer und heftiger denn je. Diesmal beleuchtete er auch die letzten Monate auf Tinder. Er machte es mir zum großen Vorwurf weitergedatet zu haben, einen anderen Mann getroffen zu haben. Er steigerte sich so sehr hinein, dass er für mehrere Wochen in eine psychiatrische Einrichtung kam. Die Diagnose: psychische Zwangserkrankung und Depression. Er stellte mich immer wieder dar, als hätte ich eine unsittliche und nicht zu ertragende Vergangenheit. Dabei hatte ich doch nur einen Partner zuvor. Heute weiß ich, diese Geschichten waren Trigger seiner Krankheit, die er heute therapeutisch und medikamentös behandelt. Seit dem großen Ausraster ist inzwischen ein Jahr vergangen. Er sprach in der Nacht vor der Einweisung von Dämonen in seinem Kopf, dass er nicht mehr Leben will. Das alles belastet mich zutiefst, auch wenn er heute nach zwölf Monaten Therapie wieder normal zu sein scheint. Er versucht auch seit einem Jahr den Kontakt zu mit zu halten. Mir gelang es auch noch nicht, mich zu lösen. Die Gefühle für diesen Mann sind nach wie vor da und die Anziehung unendlich groß.
Seit einem Jahr stelle ich mir morgens bis abends die Frage, wie die Zukunft mit diesem Mann sein und werden kann? Können wir überhaupt noch glücklich werden? Ich habe Angst, dass ich ihn eines Tages wieder unwissentlich triggere und er aus seiner Krankheit heraus zu schlimmen Taten bereit ist.
Ich freue mich über eure Einschätzung von außen!
3 Antworten
Mit dieser Einstellung, die er einer Frau gegenüber hat, die mal länger als ein Jahr verpartnert war, steht er sich selbst im Weg. Ob diese Therapie diesen Schalter in seinem Kopf wirklich umgelegt hat, kann dir keiner garantieren.
Erwachsene Menschen haben nun mal eine Vergangenheit. Was ist mit Männern und Frauen, deren langjähriger Partner verstorben sind? Sollen die ihre Erinnerungen aus ihrem Herz reißen, nur damit ein neuer Mensch in ihrem Leben sich nicht davon gestört oder gar bedroht sieht oder fühlt?
Ich sehe da persönlich nicht viel Potenzial bei euch, wenn ich ehrlich bin. Fakt ist nämlich, dass die meisten Menschen mit Depressionen auch nach weitestgehend erfolgreichen Therapien ihre Flashbacks haben, wenn sie mit Situationen konfrontiert werden, die sie getriggert haben. Die Phasen dauern dann zwar nicht mehr so lange wie früher, aber sie können doch immer wieder auftreten.
Willst du dich dann immer wieder für dein früheres Leben entschuldigen oder immer überlegen müssen, was du sagst?
Dieser Mann scheint sehr unsicher zu sein und gewisse Grundzüge bleiben allen Menschen erhalten. Du tust vielleicht besser daran, dich anderweitig umzutun. Vielleicht auch mal im realen Leben und nicht über irgendwelche Internet-oder Handyseiten.
Es ist fatal, einem Menschen seine Vergangenheit vorzuwerfen und daraus schwerwiegende Konflikte zu basteln. Du kannst deine Vergangenheit nicht ändern. Gerade das mit den Urlaubszielen finde ich schrecklich, da merkt man, dass einfach was mit ihm nicht stimmt. Er könnte dies jederzeit ausweiten auf Restaurants oder gar Speisen, die du mal mit deinem Ex gekocht und gegessen hast, dass er diese nie wieder mit dir zusammen kochen und essen wird.
Das ist tatsächlich krank. Ich denke nicht, dass es in Zukunft besser wird, wenn er das so stark thematisiert hat. Diese Gedanken sind nicht auslöschbar!
Du hast nur eine Jugend und jedem ist die Lebenszeit abgemessen. Verschwende sie nicht.
Deine Worte sind so wahr. Vermutlich habe ich schon zwei Jahre damit verschwendet. Mein Herz hängt an ihm, ich wollte ihm so sehr zeigen, dass er kein Ersatzspieler für mich ist. Tatsächlich gingen die Fragen weiter, wie von dir vermutet. Kleidung, Kissen, Kosenamen für den Partner, die Art und Weise wie ich küsse/ tanze - alles wurde hinterfragt und vorgeworfen. Ich habe ihm damals eine befreundete Therapeutin vermittelt, da mir das ganze auch krankhaft vorkam und ich auch seine schönen Seiten kannte. Nach der Diagnose hatte ich das Gefühl, der Ursprung allen Übels war die Krankheit und ich dürfte das umgekehrt nicht zum Vorwurf machen, weil er ja nichts dafür konnte.. Wenn die Emotionen nur nicht wären. Rational betrachtet sehe ich das auch alles ganz klar…
Seit einem Jahr stelle ich mir morgens bis abends die Frage, wie die Zukunft mit diesem Mann sein und werden kann? Können wir überhaupt noch glücklich werden?
Ich würde den Kerl abschreiben und mich anderen möglichen Partnern zuwenden. Das hat nichts mit den Dämonen usw. usw. zu tun, sondern damit, dass er sich die gegenüber einfach wie der letzte Idiot verhalten hat.
Er will keine Frau, die aus einer langen Beziehung kommt und quält dich mit Fragen: Sein Problem, nicht deines.
Man kann nicht alles auf eine Zwangserkrankung schieben, in meinen Augen. Wenn es die denn wirklich geben sollte und was auch immer der Auslöser davon war.
Vielen Dank für die Worte. Das baut mich gerade sehr auf. Ich hatte immer das Gefühl auf die Diagnose vertrauen zu müssen und ihm persönlich keine Schuld für die Eskapaden geben zu dürfen. Mir fällt es aber gleichzeitig auch total schwer einzuschätzen, wo fängt die Krankheit an, wo hört sie auf. Was ist vielleicht auch einfach sein Charakter?