Frage zum Sudetenland

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Das Sudetenland war integraler Bestandteil des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes bis 1938. Es war Bestandteil der habsburgischen Kronlande Böhmen, Mähren und Österreichisch Schlesien (d.h. das Gebiet, das nach den Kriegen zwischen Preußen und Österreich im 18.Jahrhundert bei Österreich verblieben war).

Nachdem die Habsburg Monarchie 1918 zusammengebrochen war, wurde aus den oben genannten Gebieten, Oberungarn (das nun Slowakei hieß) und der Karpatho-Ukraine die Tschecho-Slowakische Republik, in der aber sowohl, bedingt durch die Jahrhunderte alte Grenzziehung, die aber nicht dem Verlauf der Bevölkerungsgrenzen entsprach, weder die Tschechen, noch die Slowaken eine Mehrheit besaßen, sondern große Bevölkerungsanteile von Deutschen, Ungarn, Polen, Ukrainern und anderen besaßen, die sich durch die Politik der damaligen Tschechen und Slowaken, die eindeutig auf eine Slawisierung der Minderheiten hinauslief (was das muss man fairerweise einräumen auch eine Retorkutsche auf die Germanisierungs- und Magyarisierungsbestrebungen der KuK-Monarchie im ausgehenden 19.Jahrhundert war). Außerhalb des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes gab es deutsche Sprachinseln um Iglau und in der Zips (Slowakei), sowie einen beträchtlichen deutschen Bevölkerungsanteil in Prag, Brünn und Pressburg, der vielfach auch jüdisch geprägt war; man denke an den berühmsteten Sohn dieser Volksgruppe Franz Kafka.

Angesichts der repressiven Politik strebte die deutsche Minderheit bezogen auf den Gesamtstaat CSR, die aber in ihrem Siedlungsgebiet Karlsbad, Eger, Reichenberg, Aussig, ... die ganz überwiegender Mehrheit stellte, eine Rückkehr nach Deutschland, zumindets aber einen Autoniestatus an. Leider geriet diese Bewegung unter Peter Henlein zunehmend in nationalsozialistisches Fahrwasser, während demokratische Kräfte, deren bekanntester Politiker der später nach England emigrierte Sozialdemokrat Wenzel Jaksch war.

Als A.H.- nachdem er seine bisherigen Ziele wie die Bestzung des entmilitarisierten Rheinlandes und den Anschluss Österreichs, der von den Österreichern damals Wiedervereinigung jubelnd begrüßt wurde - ohne Gewalt erreicht hatte, dohte er diesmal mit militärischer Gewalt. Um den Frieden zu retten, reiste der Premierminister Chamberlain nach München und leitete einen Prozess ein, der später zum Münchner Abkommen führte. Er sah die Abtretung aller andersprachigen Gebiete an die entsprechenden Nachbarn vor, das war zwar auch das Sudetenland, aber auch Polen und Ungarn profitierten zunächst von diesen Grenzkorrekturen. Was erst nach dem Krieg bekannt wurde, waren damit auch die Bemühungen von Teilen der deutschen Wehrmacht, A.H. 's Expansionspolitik in den Arm zu fallen, obsolet geworden.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich A.H. konform zum Selbstbestimmungsrecht der Völker verhalten und konnte alles als großen außenpolitischen Erfolg verbuchen, um Mussolini auf seine Seite zu ziehen, hatte er sogar auf den deutsch bedielten Teil Südtirols verzichtet.

Die Tschechoslowakei hatte jedoch erhebliche Problem, sich in den neuen Grenzen einzurichten, unter dem Politiker Tiso trennte sich die Slowakei von den Tschechen und verkam in den nächsten Jahren zu einem Satellitenstaat des Deutschen Reiches. Ungarn konnt der Versuchung nicht widerstehen und bemächtigte sich der Karpatho-Ukraine. Jetzt kehrte A.H. den Agressor heraus und überschritt erstmals das deutsche Siedlungsgebiet indem er aus der verbliebenen Tschechei das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren machte, es also faktisch annektierte.

Nach dem Zusammenbruch des des Deutschen Reiches 1945 wurde die Tschechoslowakei in den Vorkriegsgrenzen wieder hergestellt, nur die Karpatho-Ukraine wechselte erneut den Besitzer indem sie an die UdSSR fiel, nach deren Zusammenbruch 1991 sie nunein Teil der Ukraine ist.

Ohne Rücksicht darauf, wer nun Nazi war oder nicht, wurden nahezu alle Deutschen vertrieben, ihr Besitz konfisziert (Benes-Dekrete), viele verloren ihr Leben, auch wieder eine Reaktgion auf NS-Gräuel (u.a. Lidice), den Ungarn im Süden der Slowakei ging es nicht besser, nur war ihre Zahl geringer.

Obwohl das Münchner Abkommen völkerrechtlich gültig war, bestand die tshcechische Regierung darauf, dieses als von Anfang an als nichtig, also nicht existent zu erklären, was im Einzelfall durchaus problematisch war, denn dann wären auch alle Verwaltungsakte zwischen 1938 und 1945 ungültig, also auch Eintragungen ins Geburtsregister, staatliche Trauungen usw....

Duie Empfindlichkeit der Tschechen ging so weit, nach ihrer friedlichen Trennung von der Slowakei den Deutschen faktisch vorzuschreiben, wie sie genannt werden wollten. Aus unerfindlichen Gründen hatten sie eine Aversion gegen die Bezeichnung Tschechei (in Analogie zur Slowakei, Mongolei, ...) und wünschten, Tschechien genannt zu werden, eine Länderbezeichnung, die vor der Wende niemand kannte oder benutzte. Wir Deutschen als geläuterte Europäer haben das natürlich sofort übernommen.


kgunther  02.09.2016, 20:08

Kleine Korrektur:

Das Münchener Abkommen sah keineswegs die Angliedrung der nichttschechischen Gebiete an die jeweiligen Länder vor. England hat nach einer diplomatischen Aktion ("Runciman-Mission") das Unrecht der Tschechen eingesehen, einen Zwangsstaat für alle Minderheiten zu errichten. Die Tschechen zählten nur etwa 50% der Bürger, alle anderen waren unterdückte Sloaken, Ungarn, Deutsche, Polen, Ukrainer.

Nach der Runciman-Mission waren es die Engländer, die die Tschechen zur Ausgliederung der geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete (über 50 %) gezwungen haben. Im Münchener Abkommen wurden nur die technischen Abläufe der Abtretung festgelegt. Und es ging nur um die deutschbesiedelten Gebiete.

Nach der Abtretung der Sudetenlande versuchten die übrigen Minderheiten, Freiheit zu erreichen. Die Slowaken errichteten einen eigenen Staat, Polen erzwang nach einem Ultimatum durch militärischen Zwang die Abtretung des Teschener Industriegebietes, das von Tschechen, Slonzaken, Polen, Deutschen besiedelt war. Die ungarischen Gebiete kamen nach einem Schieddsspruch an Ungarn.

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KHLange  07.08.2017, 01:46
@kgunther

Herzlichen Dank für diese Zusatzinformationen. Diese Detailkenntnisse hatte ich nicht. Es ist doch schön, immer noch dazuzulernen.

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Gabi40  06.09.2012, 20:23

Lieber KHL, herzlichen Glückwunsch für diesen ausgewogenen Bericht, der die "meisten Facetten" deutscher- und europäischer Geschichte zur o. g. Frage berücksichtigt. Du bist ein wandelndes Lexikon das ich allen Nutzern dieses Forums heiß empfehle, deren Kenntnisse der deutschen- und europäischen Geschichte allenfalls bei 1914 beginnen- und die damit für eine wahrheitsgemäße Ursachenforschung ohne Chance sind. Zur o. g. Frage sei mir allerdings eine Ergänzung gestattet, die das "wahre Bild" der böhmischen Besiedlung erleutert.

Historie: Die Deutschen waren einst als Bauern, Bergleute und Handwerker, gerufen von Fürsten und Königen, in diese Länder gekommen und waren hier seit mehr als 700 Jahren ansässig. Sie gründeten Städte und brachten das deutsche Recht mit, das den Ländern der böhmischen Krone die Ordnung gab. Sie rodeten in den unzugänglichen Grenzwäldern und erschlossen blühendes Bauernland.

Das Sudetenland wurde nach dem Ersten Weltkrieg gegen den Willen seiner deutschen Bevölkerung, dem von den Siegermächten neu geschaffenen Vielvölkerstaat Tschechoslowakei zugeschlagen. Das vom US-Präsidenten Wilson 1918 verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker, wurde den Sudetendeutschen jedoch versagt! Die sudetendeutsche Existenz wurde durch eine systematische, tschechische Nationalstaatspolitik hart bedrängt, was schließlich die Ursache aller nachfolgenden politischen Zerwürfnisse war. Nach 1945 wurden von der damaligen tschechoslowakischen Regierung 3 Millionen Sudetendeutsche unter unmenschlichen Bedingungen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Rund 240 000 kamen dabei ums Leben! Nur ein kleiner Teil der ehemals deutschen Bevölkerung, schätzungsweise 150 000 bis 180 000, lebt heute noch - anfangs unter misslichen Verhältnissen - in der alten Heimat. Viele ehemals deutsche Städte und Dörfer sind heute verödet oder wurden nach dem 2. Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht.

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dragonfly90 
Beitragsersteller
 06.09.2012, 14:41

Danke für die auführliche Antwort und die ganze Mühe die du dir beim Schreiben gemacht hast :) Mehr als ich wissen wollte, aber jetzt habe ich auch das Hintergrundwissen dazu :)

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Bajun  06.09.2012, 08:29

Das ist die sogenannte "Besser-geht's-nicht-Antwort". Die hat den Stern verdient. Meine Herren, Hut ab!

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KHLange  06.09.2012, 10:15
@Bajun

Vielen Dank für die Bumen.Was Herzensangelegenhet ist, fließt sozusagen von alleine "aus der Feder". Nur hätte ich den Text redigieren sollen, aber es war schon nach Mitternacht.

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Ludwig20  06.09.2012, 08:15

Perfekte Erklärung, DH!!!!!!

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Na, das mit der Nationalität ist doch nicht so schwer.

Nach 1918 waren die Sudetendeutschen Staatsbürger der Tschechoslowakei, also ihre Nationalität "tschechoslowakisch". Sie haben sich selbst aber als Deutsche bezeichnet, da sie Deutsch sprachen, aus dem habsburgischen Kaiserreich heraus die Bezeichnung nach Volksgruppenzugehörigkeit gewohnt waren und als Volksgruppe in der Tschechoslowakei kollektiven Benachteiligungen ausgesetzt waren, die ihr Zusammengehörigkeitsgefühl gegen solche Diskriminierungen gestärkt haben.

Sie hatten von vornherein nicht zur Tschechoslowakei, sondern zu Österreich gehören wollen, das 1918 selbst ganz überwiegend zunächst Teil des Deutschen Reichs sein wollte, was die Sieger des 1. Weltkrieges aber untersagt hatten.

Sie waren im Prager Parlament mit eigenen deutschen Abgeordneten (ca. 25 % der Sitze) vertreten. Deutschsprachige Bürger haben damals praktisch aussschließlich deutschsprachige Abgeordnete gewählt - immer ein sicheres Zeichen, dass ein Minderheitenschutz nicht richtig funktioniert, so dass das gemeinsame Interesse einer Volksgruppe wichtiger wird als die möglichen Interessengegensätze innerhalb dieser Volksgruppe.

Ein Beispiel für ein solches Nichtfunktionieren eines Mehr- oder Vielvölkerstaates in der heutigen Zeit wäre Bosnien-Herzegowina, das künstlich durch Eurokraten zusammengehalten wird und wo die pseudo-demokratische Willensbildung strikt nach ethnischen Grenzen verläuft. Die Serben dort nennen sich auch nicht "Bosnier" (und schon gar nicht "Bosniaken"), sondern "Serben".

Informiere dich mal bitte in der Bibliothek, was das Sudetenland war, bevor es überhaupt erstmal zum Sudetenland wurde. Das ist das gleiche wie mit Polen. Das war früher polnisch. Dann wurde es rechtswidrig zwischen Russland und Preußen aufgeteilt. Anfang des 20. Jahrhunderts bekam Polen sein Land und seine Eigenständigkeit zurück und dann kam A.H. mit vielen schönen Märchen und holte sich dieses Land rechtswidrig ins Reich.


KHLange  06.09.2012, 00:58

Würden Sie sich nicht als GoetheDresden bezeichnen, müsste ich sie für einen Polen halten. Dann wäre diese verkürzte Geschichtsklitterung nachvollziehbar und verständlich; für einen Deutschen ist so eine derart kenntnisarme Verdrehung historischer Fakten nur schwer verdaulich.

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GoetheDresden  06.09.2012, 19:19
@KHLange

Naja Herr Lange, dann sollten sie einfach in unsere demokratischen Geschichtsbücher schauen. Nicht in die, die in der Zeit von 1933 bis 1945 gedruckt wurden.

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dragonfly90 
Beitragsersteller
 05.09.2012, 23:04

Kannst du mir denn vielleicht trotzdem genaueres sagen zur "Nationalität" der Menschen die im Sudetenland wohnhaft waren? Hab irgendwo gelesen ihre Eigenidentifikation ist Deutsch, meine Mutter meint auch, dass meine Verwandten, obwohl sie da lebten Deutsch sind, aber von anderen hör ich wieder, dass es Tschechisch sein müsste.. Blick da nicht ganz durch. :/

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plumcake  05.09.2012, 23:09
@dragonfly90

Die Deutschen in den Ostgebieten bezeichnete man als Volksdeutsche.

Bei meinen donauschwäbischen Vorfahren war es so:

Staatangehörigkeit: Jugoslawien
Volkszugehörigkeit: Deutsche

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casala  05.09.2012, 23:12
@dragonfly90

da das sudetenland überwiegend von ausgewanderten deutschen/österreichern besiedelt wurde, ist es nachvollziehbar, dass sie sich als deutsche fühlten. die politischen grenzen sind nicht immer die ethnischen grenzen und im fall sudetenland kann man auch sehen, dass die durchsetzung der politik massiv bekämpft wurde.

ich denke, die sudetendeutsche haben sich immer als deutsche gefühlt. (möchte das aber nicht bewerten.)

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Anzumerken wäre noch, dass zu den Habsburger Zeiten in den Kronländern Böhmen und Mähren, die ursprünglich überwiegend slawisch/tschechische Bevölkerungsteile unterdrückt wurden. Sprache, Kultur, Besitztum, Rechtsstand wurden eingeschränkt. Ausgangspunkt des sog. 30 jährigen Krieges waren Fragen um die Anerkunnung böhmisch/tschechischer Rechte, vertreten durch die Kurpfälzer gegenüber den Habsburgern (Fenstersturz zu Prag). Erst 1918 erhielten die Tschechen nationale Freiheit. Dass das Siedlungsgebiet - ähnlich wie in Bosnien - dermaßen schlecht abgrenzbar war. war bedauerlich. Alte Abneigungen von Seiten der Tschechen gegen die deutschsprachigen, -stämmigen Bevölkerungsteile (sprich, der zuvor oktruierten Kultur) wurden dann leider unschön ausgetragen und letztlich hat die aggressive nationale Politik A.H. dem Abscheu allem Deutschem gegenüber nach 1945 den Rest gegeben

Das deutsche Sudetenland befindet sich seit 1945 unter tschechischer Fremdherrschaft. Die einheimische Bevölkerung wurde fast völlig vertrieben. Ein Teil Schlesien gehörte zu Preußen und ein Teil gehörte zu Österreich.

Meine Tante wurde aus Schlesien 1945 vertrieben, obwohl sie Tschechisch und Deutsch in Wort und Schrift beherrschte, und sie hasste Tschechien und Bayern und liebte Preußen über alles. Meine Tante war weder Deutsche, Österreicherin noch Tschechin, denn sie fühlte sich als Preußin. Meine Meinung ist, dass Schlesien zu Preußen gehört . * 1933 gab es Preußen nicht mehr...