Elendig sterben am Mount Everest?
Die Tour auf den Gipfel des Mount Everest kostet ja alleine schon einige 10.000€. Denken diese Menschen daran, dass sie auf dem Weg sterben könnten oder nicht? Es gibt auf dem Südhang etliche Leichen (Scott Fischer, Rob Hall) bei denen man die Gebeine nicht bergen konnte und die immer noch da liegen. Außerdem sind das ja erfahrene Bergführer, die trotzdem mit dem Leben bezahlten.Meine Frage ist nun…Was treibt die Leute an, auf diesen Berg zu steigen, der so vielen das Leben kostet?
7 Antworten
Eine elementare Frage, die ich immer wieder im Alltag der Menschen beobachte ist: "Wie viel Freiheit habe ich?"
- Kleine Kinder sondieren die Grenzen dessen, was ihre Eltern oder andere Autoritäten gerade noch zulassen. Wie weit kann ich es im Supermarkt im Süßigkeitenregal treiben, um etwas zu bekommen? Wie lange kann ich abends meine Schlafenszeit hinauszögern? ...
- Junge Erwachsene und Jugendliche versuchen sich auch bereits an rechtlichen Grenzen. Als ich selbst Jugendlicher war, war der Reiz an den meisten Partys, einen 18er-Stempel zu bekommen, d.h. nicht um 12 schon gehen zu müssen oder harten Alkohol zu bekommen - die Nutzung dieser Freiheiten war noch nichteinmal das Ziel sondern einfach sie zu haben.
- Viele Erwachsene suchen mit Eifer irgendwelche Schlupflöcher, bspw. bei den ganzen Coronaregeln oder bei ihrer Steuererklärung. Häufig geht es nicht um die 20 gesparten Euros sondern einfach darum, Freiheiten zu genießen, die man einfach hat.
- Ja selbst die Religionen befassen sich ja im Grunde mit der Frage, was jenseits der bekannten Grenzen liegt: Was passiert nach dem Tod? Anders ausgedrückt: Erwartet mich außerhalb meiner Komfortzone, dessen - was ich als das "Leben" kenne - noch etwas Schöneres? Eine größere Freiheit? Gar das Paradies?
Und auch bei meiner Bergsteigerei (gut, ich gehe jetzt nicht auf den Everest, die Kosten sind durchaus abschreckend, aber dafür mache ich selbständig Bergtouren, die vom technischen Anspruch weit über dem sind, was die meisten Everest-Touristen so drauf haben) geht es eigentlich grundsätzlich um die Frage: Wie weit kann ich gehen? Ich probiere neue Dinge aus, Wege, die ich zuvor noch nicht gegangen bin, die ich erst unter schwierigen Umständen finden muss. Das ist tatsächlich ein Spiel mit den Grenzen, genau wie bei der Steuererklärung oder im Supermarkt am Süßigkeitenregal. Und manchmal verliert man dieses Spiel auch. Ich hoffe natürlich nicht, dass ich dieses Spiel in nächster Zeit verliere, ich hänge am Leben wie die meisten anderen Leute auch. Aber ich hätte es schon verloren, würde ich zu Hause auf dem Sofa auf den Tod warten. Das wäre für mich ein Gefängnis
Die meisten welche diesen Berg besteigen wollen, haben so gar nichts mit der Natur geschweige denn des Bergsteigens zutun. Es sind Menschen, die nur dort hochgehen, um sagen zu können "Ich war auf dem höchsten Berg der Welt". Aus eigener Kraft würden diese Personen es nichtmal ins erste Basiscamp schaffen.
Solche Touren kosten allermindestens 80.000-100.000€ inklusive Ausrüstung. Es gibt nur ein kleines Zeitfenster im Mai, wo man überhaupt solche Touren durchführen kann. Durch die schiere Masse, welche jedes Jahr diesen Berg besteigen wollen, gibt es regelrechte Staus am Gipfel, damit auch jeder sein Gipfelfoto machen kann. Das Wort "Todeszone" haben die allermeisten vor der Tour noch nie gehört, aber es ist das image, was sie dort hochscheucht, genauso wie den Müll, den sie dort oben lassen.
Ich bin selber begeisterter Bergsteiger, aber auf sowas kann ich gerne verzichten
Um es mit den Worten Nims Purja zu sagen: "Wenn man die Menschen fragt, wie sie dort hochgekommen sind, sagen sie nur, dass ihnen ein Scherpa geholfen hat. Aber das ist falsch. Denn der Scherpa hat einen Namen."
Außerdem sind das ja erfahrene Bergführer, die trotzdem mit dem Leben bezahlten
Die meisten Toten in diesen Höhen sind erfahrene Alpinisten, die meisten auch in irgendeiner Form Bergführer. Wenn man z.b. unter der Eiswand am K2-Bottleneck entlang geht, hilft es dir gar nix, dass du schon mehrmals oben warst, wenn (mal wieder) was davon als Lawine abgeht.
Das ist diesen Leuten auch bewusst. Ich kenne das vom Rennsport, wenn man eine Kurve schon 100mal sicher durchquert hat, und bei DER EINEN Gelegenheit dann doch abfliegt weil man ausnahmsweise mal schlecht geschlafen hat.
Die Belohnung für ein einzuschätzendes Risiko ist halt einfach zu verlockend. Denn die Alternative des Nichtstuns wäre auch nicht besser.
Letztendlich ist es der Drang nach Selbstbestätigung, die man glaubt, anders nicht realisieren zu können. Es ist auch eine Frage des Geldes, sich diese Spielart leisten zu können. Mit Alpinismus und Bergsteigen im üblichen Sinne hat es auf den Normalrouten nichts mehr zu tun. Es ist Hochgebirgstourismus.
Weil es Leute eben reizt...
Immerhin kann heutzutage jeder gut trainierte Sportler diesen Berg besteigen, obwohl er lange nur mit Sauerstoff begangen wurde und als Herausforderung galt.
Als ehemaliger Kletterer weiß ich, dass man in so eine Art "Sucht" ganz leicht hineinrutscht, wenn man es lange betreibt. Ich selbst habe in meiner 25-jährigen Kletterphase Wände bestiegen, wo mir heute das kalte Schaudern den Rücken runterrinnt (beispielsweise die Comici Nord) und mich frage, was damals mit mir los war ;-)
Damals sah ich das nicht so, da man sich schrittweise immer mehr steigert und auch einen entsprechenden Freundeskreis hat, wo es um nichts anderes geht als um deinen Sport.
Beim Mount Everest wird es nichts anderes sein, denke ich. Es gibt auch genügend Leute, wo es auf hunderttausen Euro mehr oder weniger nicht ankommt: Man gönnt sich das einfach und nimmt das Risiko in Kauf.
Auch die Eiger Norwand ist so ein Fall: Bis zur Erstbesteigung durch Heckmair und Harrer gab es dutzende Tote und die Besteigung war ein Unternehmen über Tage. Heute gehen Sportkletter in ein paar Stunden durch die Tour und gehen abends dann noch ins Kino.