Azubi: Extremer Härtefall - wie ins Unternehmen einbinden?
Hallo zusammen,
ich bräuchte mal ein paar Ideen und oder Ratschläge zu einem Azubi. Wir haben einen jungen Mann, seit August Ausbildung zum Industriekaufmann.
Er hat mittlerweile zwei Abteilungen durchlaufen, die QS und ist jetzt im Einkauf. Nun zeigt sich aber, dass dieser wirklich freundliche, ganz liebe junge Mann (so treudoof und naiv, das ist herzerwärmend!) irgendwie etwas zu sehr zurückgeblieben ist. Ich habe das Gefühl, dass da zum Teil ein deutliches kognitives Defizit besteht oder gar eine Art von Autismus.
Er hat allgemeines Abitur und ist in theoretischen Dingen, die man auswendig lernen kann, tatsächlich auch recht gut. Auch die Berufsschule fällt ihm scheinbar nicht allzu schwer.
Praktische Tätigkeiten rund um die Arbeit funktionieren aber überhaupt nicht. Man muss alles 5x sagen und trotzdem macht er es falsch. Dies ist aber bereits bei so einfachen Dingen der Fall, dass Mitarbeiter vor Wut aufstampfen oder den Raum verlassen würden, so aggro macht einem diese stumpfe Doofheit.
Er bearbeitet zwar ihm gestellte Aufgaben, aber denkt wirklich an einfachste Dinge nicht, die jeder 10jährige in diesem Zusammenhang erledigen würde. Er denkt einfach überhaupt nicht über den Tellerrand hinaus - man muss jeden Handschlag bis ins kleinste Detail erklären, sonst wird das Ergebnis murks. Das einzige, was er vermutlich schafft, wären extrem einfache und monotone Aufgaben, die er dutzendfach am Tag wiederholen kann um jedes mal einen Lerneffekt zu haben. Nur gibt es sowas als Industriekaufmann in einem mittelständischen Industriebetrieb nicht. Und es gibt keine Kapazität, eine Rundum-Vollzeit-Betreuung zu gewährleisten, die ihm bei jeden Klick oder Handgriff auf die Finger schaut.
Beispiel: Eine Lieferung für die Betriebsküche kommt. Er öffnet Kartons und räumt alles ein, lässt aber jeden Müll direkt daneben liegen. Selbst wegräumen? Daran denkt er nicht! Man muss ihm das wie folgt erklären: Du nimmst die Ware entgegen, gleichst es mit dem Lieferbeleg ab, unterschreibst, öffnest alles, räumst es ein und anschließend bringst du die Verpackungen in den Müll in der Produktion, Plastik in Plastik, Papier in den Presscontainer. Nur einen Schritt dazwischen nicht mit Worten erklärt und dieser Schritt fehlt definitiv. Er macht alles genau nur nach Schema F, egal ob es offensichtlich Unsinn wird oder nicht.
Selbst wenn man aber alles erklärt, kriegt er kaum etwas fehlerfrei umgesetzt. Selbst sowas einfaches haben ihm 3 verschiedene Leute erklärt und es entstehen weiterhin Fehler. Wir sind mit unserem Latein am Ende, eine Zukunft als Industriekaufmann sehen wir nicht, egal ob bei uns oder woanders.
Wie kann man so jemanden vielleicht doch noch irgendwie einbinden? Welche Schrauben kann man lösen, damit er nutzen bringen kann, ohne andere massiv einzubinden und von der eigentlichen Arbeit abzulenken? Kennt jemand dieses Problem?
2 Antworten
Eine Ausbildung dient in erster Linie ja nicht nur dazu, dem Unternehmen eine günstige Arbeitskraft zu stellen, sondern der Vermittlung von Wissen und Kompetenz, um einem ungelernten Menschen die Ausübung eines Berufes zu ermöglichen. Das geschieht in diesem Fall nicht. Denn was du da beschreibst, klingt übel und überhaupt nicht danach, wie eine Ausbildung ablaufen sollte (ohne euch Schuld zu geben). Und selbst wenn er in der Schule klarkommt, wird ihm nur das Schulwissen im Berufsleben kaum weiterhelfen, da sich die Inhalte des Lehrplans, bzw. das theoretische Wissen, letztendlich stark von den praktischen Berufsinhalten unterscheiden.
Insofern sehe ich in diesem Fall keine Gewährleistung für den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung und einem damit verbundenem Start in den Berufsalltag. Dementsprechend kann das Ausbildungsverhältnis in der Form nicht weitergeführt werden. An der Stelle sollte die IHK informiert werden. Die werden sicherlich wissen, wie in solchen Fällen zu handeln ist.
Habt ihr denn schonmal mit seinen Eltern gesprochen? Oder zumindest mit Lehrern, die möglicherweise auch schon etwas beobachtet haben? Der Azubi wird ja sicherlich mindestens 17 sein, wenn er Abi hat. Sollte er wirklich in irgendeiner Form eingeschränkt sein, müsste das doch schon aufgefallen sein?
Grundsätzlich ist es schon zu hören, dass ein Betrieb sich so gut um seine Azubis kümmert, da hab ich schon ganz anderes erlebt. Aber man sollte in manchen Fällen nicht aus nur aus Nächstenliebe handeln. Jemand, der auf Krampf im Betrieb mit irgendwelchen Spezialaufgaben behandelt werden muss, kann auf Dauer keinen Mehrwert schaffen, da er sich nie wie ein normaler Arbeiter einfügen und Leistung erbringen kann.
Hilfe bräuchte er wohl, aber nicht nur von euch.
Und, wie seid ihr verfahren bzw. was hat sich seitdem entwickelt?
Also wir haben eine Art Leistungs und Entwicklungdialog angestoßen.
Die betreuenden Kollegen der Abteilung bewerten ihn, er selbst bewertet sich - Themengebiete über die ganze Arbeit hinweg, vom Ergebnis über Kompetenzen, Organisation, Motivation und mehr.
Jeder beurteilt von „unzureichend“ bis „herausragend“ und begründet seine Entscheidung mit Beispielen, dann legen wir die Sachen nebeneinander und bei großen Diskrepanzen sprechen wir es im Auswertungsgespräch an.
Die Auswertung der Bögen hat jetzt stattgefunden, aber der Azubi ist mehrere Wochen im Urlaub. Aber es ist jetzt schon zu sehen, dass das gemeinsame Gespräch bitter wird. Er hat miserable Bewertungen bekommen, gibt aber selbst mehrfach an, er sei herausragend und hätte keine Probleme, nein er überträfe permanent die Anforderungen und Erwartungen.
Ich sehe keine Zukunft für den in diesem Beruf. Eigentlich in keinem Beruf, er wäre - ohne es böse meinen zu wollen - in einer Einrichtung für Behinderte am besten aufgehoben.
Ach herrje, klingt übel. Wahrscheinlich ist er wirklich untauglich für den normalen Berufsalltag. Dann werdet ihr also versuchen den Ausbildungsvertrag aufzulösen? Das fände ich ja mal interessant, wie die IHK da reagiert und ob es gegebenenfalls wirklich in eine Einrichtung für solche Sonderfälle geht. Sicherlich müsste er auch medizinisch untersucht werden, falls noch nicht geschehen.
Ich hoffe ja, dass alles zumindest halbwegs zufriedenstellend ablaufen wird. Die IHK macht zumindest in Berlin gerne mal nichts. Und ich bin mir sicher, dass die eingeschalten wird/werden muss.
Durch die Probezeit ist er durch, also wird es wohl ohne Fehlverhalten kaum möglich sein ihn zu entlassen. (willst Du ja vielleicht auch eher nicht)
Aber wie wäre es, wenn Ihr ihn quasi "nutzt" um Eure Prozesse zu dokumentieren und gleichzeitig zu optimieren?
Was sind die Aufgaben der Azubis/Mitarbeiter/Stellen/Posten? Was macht man dort? Stück für Stück?!........... ihm hilft es damit er die Arbeit erledigen kann, Euch darin, dass ihr für Urlaubsvertretungen, Übergaben, Vertretungen und künftige Mitarbeiter/Stellen einen sicheren und gut dokumentierten Prozess habt, eine Art Handbuch.
.......ändern wird der sich jedenfalls eher nicht mehr. Besonders wenn er tatsächlich eine Einschränkung im autistischen Spektrum hat.
Wir haben just gerade ISO Audit, heute geht es los bis Ende der Woche. 9001.
Zudem führen wir bis 2023 ein neues ERP System ein, alle Prozesse sind auf aktuell sauberem und neustem Stand. Er kann sich alles durchlesen, aber neu machen ist unnötig, da alles Stand Mai 2021 hat.
Super Vorschlag von dir. Aber wer hat Zeit, das zu machen? Und durch eine Prüfung kommt er vermutlich nicht - dafür lasse die anderen Kollegen Nerven...
Wir haben eine 100% Übernahmequote bei Azubis - in allen Bereichen. Wir haben sogar mal einem Kandidaten eine Ehrenrunde ermöglicht, weil er private Probleme hatte und unsere Ausbilder fahren zu Sprechtagen in die Berufsschule und sprechen mit allen Lehrern. Dort tauchen sonst, wenn überhaupt, nur Eltern auf - da sind wir grundsätzlich vorbildlich hinterher, alle Defizite der Azubis aufzudecken und zu beseitigen. Jeder hat einen ("Ausbildungs-älteren") Paten, der beim Lernen unterstützt und wir investieren massiv Zeit in jeden einzelnen. Es tut uns einfach leid und wir wollen gern, dass es eine Möglichkeit gibt. Nur wie kann er Mehrwehrt schaffen oder sich ändern, ohne ein Vollzeitäquivalent eines anderen Mitarbeiters an Betreuung zu benötigen?!