Aristoteles Sklaverei & Naturrecht

3 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Bei Aristoteles gibt es beides, ein Naturrechtsdenken und eine (begrenzte/ eingeschränkte) Rechtfertigung/Legitimation von Sklaverei.

Zwar ist es naheliegend, dies als sich schlechthin widersprechend aufzufassen, aber es ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Die beiden Standpunkte schließen sich nicht zwingend aus. Als unvereinbar erscheint das Nebeneinander nach einem Maßstab von Gedanken zu Naturrecht, wie sie in moderner Zeit gängig geworden sind, mit Menschenwürde und Menschenrechten, die jeder Mensch als Mensch hat, und zu denen persönliche Freiheit für alle gehört.

Dies ist aber in der Antike kein selbstverständliches Verständnis von Naturrecht. Aristoteles hält nicht persönliche Freiheit aller für ein Naturrecht. Voraussetzung persönlicher Freiheit ist nach seiner Überzeugung ein Mindestmaß an Vernunftbegabung/Fähigkeit zum Überlegen. Freie und grundsätzlich Gleiche sind nach seiner Auffassung die Bürger einer politischen Gemeinschaft, die Politen (πολῖται [politai]; Singular: Polite, πολίτης [polites]), aber nicht jeder Einwohner eines solchen Staates – Polis (πόλις) genannt – ist ein Bürger. Aristoteles rechtfertigt/legitimiert nicht jede Art von Sklaverei, aber er vertritt die Auffassung, es gebe Menschen, die Sklaven von Natur aus sind. Dies nimmt er vor allem von »Barbaren« an. Eine Sklaverei eines Menschen, der von Natur aus Sklave ist, ist nicht einfach ein logischer Widerspruch zu einem Naturrechtsdenken, sondern erst aufgrund von bestimmten inhaltlichen Überlegungen zum Naturrecht ergibt sich eine Ablehnung seiner auf »Sklaven von Natur aus« bezogenen Bejahung von Sklaverei.

Möglich ist, Aussagen des Aristoteles zur Sklaverei in einer Argumentation als nicht überzeugend nachzuweisen. Diese könnte sich z. B. gegen die Art der Übertragung von Gedanken zum Verhältnis von Geistigem und Körperlichen richten, dagegen, aus Mängeln geistiger Fähigkeiten mehr als die Notwendigkeit und Berechtigung von Fürsorge und Anleitung abzuleiten, dagegen, von Defiziten in der Verwirklichung von Freiheit einfach zu Sklaverei als Rechtsstatus und Einrichtung (Institution) überzugehen, gegen eine Herabsetzung von Menschen zu einer Sache und einem Besitztum. Aristoteles bleibt in seinen Gedanken zum Thema Sklaverei (ebenso wie zum Thema Frau) in erheblichem Umfang gängigen Denkmustern seiner Zeit verhaftet. Daraus wird eher nachvollziehbar, wie seine Aussagen entstanden sind, aber es bleibt an Philosophie der Anspruch, über gängige Auffassungen der eigenen Zeit hinauszukommen, wo sie fehlerhaft sind, und sich von Fehlern und Schwächen üblicher Gedanken der Zeitgenossen freizumachen.

Das Naturrecht steht in Gegensatz zu Rechtspositivismus. Naturrecht ist ein Recht, das „von Natur aus" zusteht. Natur ist ein Gegenbegriff zu allem, was von Menschen durch Übereinkunft und Festsetzung künstlich geschaffen worden ist. Die Quellen des Naturrechts sind die Natur, das Wesen der Dinge, ein göttliches Weltprinzip bzw. die Vernunft als Wesenszug der Menschen.

Nach dem Rechtspositivismus gilt Recht allein, weil es von Gesetzgebern gesetzt (lateinisch ponere = setzen, positum = gesetzt) und allein, weil es von Gesetzgebern gesetzt (lateinisch "ponere" = setzen, "positum" = gesetzt) und gesellschaftlich wirksam ist.

Aristoteles ist ein früher Vertreter eines Naturrechtsdenkens, auch wenn er dazu neigt, in der Wirklichkeit viel schon als grundsätzlich richtig einzuschätzen.

Naturrecht hat es bei den antiken Griechen schon vor ihm zumindest ansatzweise gegeben, bei Vertretern der ionischen Naturphilosophie, bei Parmenides und Heraklit mit Aussagen über δίκη (Recht) bzw. Δίκη (Göttin, die Personifikation des Rechts ist) als im Kosmos/der Natur wirkendes Prinzip, bei einigen Verehrern der sogenannten Sophistik (der die begriffliche Unterscheidung zwischen νόμος – Gesetz, Brauch, Übereinkunft, Konvention und φύσις – Natur – bekannt ist) und bei Platon.

Aristoteles stellt sein Naturrechtsdenken im Rahmen seiner Theorie der Gerechtigkeit in seinem Werk Nikomachische Ethik 5, 10 dar. Vom Gerechten/Recht schlechthin unterscheidet Aristoteles das politisch Gerechte/das politische Recht. Das politisch Gerechte/politische Recht besteht zwischen Freien und Gleichen (entweder nach geometrischer oder arithmetischer Proportion), die im Hinblick auf die Autarkie in einer Gemeinschaft leben. Über ihr Verhältnis zueinander gibt es ein Gesetz. Sonst ist kein politisches Recht vorhanden, sondern nur etwas Ähnliches. Das Recht ist ein Urteil über das Gerechte und das Ungerechte. Das geschriebene Gesetz herrscht wegen der Gefahr, daß ein stattdessen herrschender Mensch sich selbst zuviel Güter/Gutes und zuwenig Schlechtes/Nachteile zuteilt.


Albrecht  11.06.2014, 08:47

Innerhalb des politisch Gerechten/des politischen Rechts unterscheidet Aristoteles das natürliche Gerechte (τὸ φυσικὸν δίκαιον) und das gesetzliche Gerechte (τὸ νομικὸν δίκαιον). Das natürliche Gerechte hat überall dieselbe Kraft und ist in seiner Geltung nicht von Beschlüssen abhängig. Beim gesetzlichen Gerechten entsteht erst durch seine Festsetzung ein Unterschied, der nicht ursprünglich vorhanden ist (z. B. die Höhe eines Lösegeldes, Anzahl und Art der Opfertiere, Gesetze über Einzelfälle und Volksbeschlüsse). Aristoteles verwendet den Begriff Natur nicht nur beim Notwendigen, sondern auch beim Möglichen (dem, das sich so oder anders verhalten kann) verwenden.

Das nicht naturgegebene, sondern von Menschen festgesetzte Recht ist nicht überall dasselbe, weil die Verfassungen nicht überall dieselben sind. Dennoch ist nur eine Verfassung überall nach der Natur die beste (5, 10, 1135 a 3 – 5). Maßstab des natürlichen Gerechten ist das Gute. Maßstab des gesetzlichen Gerechten ist nicht das Gute an sich, sondern das für eine bestimmte Verfassung Gute. Es ist für einen Zweck zuträglich. Dieser Zweck ist nicht unbedingt selbst gut, steht also nicht immer mit dem höchsten Zweck im Einklang. Das gesetzliche Recht (τὸ νομιμὸν δίκαιον) ist der Teil des politischen Rechts, der sich auf Sachen bezieht, bei denen nicht etwas an sich besser ist als etwas anderes. Es deckt sich nicht mit dem gesetzlich Gerechten (τὸ νομικὸν δίκαιον), weil dieses sich mit allen Fragen befaßt und dies auch außerhalb des Lebens in einem Staat. Das natürliche Recht steht höher und bezieht sich auf Sachen, bei denen etwas an sich etwas besser ist als etwas anderes. Im Bereich der politischen Gemeinschaft hat damit Aristoteles einen Maßstab begründet, der für das Naturrechtsdenken allgemein wichtig ist. Auch in den Beziehungen zwischen grundsätzlich Ungleichen, also außerhalb des politischen Rechts, gibt es in ähnlicher Weise ein natürliches Recht (Aristoteles, Politik 1, 5).

Zur Sklaverei äußert sich Aristoteles systematisch vor allem im Zusammenhang mit dem Haushalt (Aristoteles, Politik 1, 2 – 7).

Für den Unfreien/Sklaven (δοῦλος) hält er es für kennzeichnend, nicht leben zu können, wie er will (7, 2, 1317 b 13). Aristoteles bezeichnet den Sklaven als Teil seines Herrn, als einen beseelten und abgetrennten Teil des Körpers (1, 6, 1255 b 11 – 12), als ein beseeltes Besitzstück (1, 4, 1253 b 33). Da Besitz funktional als Werkzeug zum Leben gedeutet wird, gilt der Sklave vor allem als beseeltes Werkzeug (1, 4, 1252 b 25 – 33; vgl. 1, 2, 1252 a 34 – b 5 und Aristoteles, Nikomachische Ethik 8, 13, 1161 b 4). Der Sklave erbringt mit seinem Körper die erforderliche Hilfeleistung zur Herbeischaffung des zum Leben Erforderlichen (Aristoteles, Politik 1, 5, 1254 b 25 – 26).

Aristoteles vertritt eine Auffassung, es gebe Menschen, die von Natur aus Sklaven sind. Sie gehören von Natur aus nicht sich selbst, sondern einem anderen (1, 4, 1254 a 14 – 15).

Der Sklave verfügt nicht aktiv über Vernunft, sondern nur passiv, indem er auf sie hören kann (1, 4, 1254 b 22 – 23), Ihm fehlt die Fähigkeit zur Überlegung (1, 13, 1260 a 12) und daher auch die Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen (3, 9, 1280 a 32 – 34).

Die Herrschaft des Herren über den Sklaven, die despotische Herrschaft, hält Aristoteles, soweit es sich um naturgemäße Sklaverei handelt, für gerecht und nützlich/zuträglich (1, 5, 1255 a 2- 3; 1, 2, 1252 a 34; vgl. aber auch einschränkend 3, 6, 1278 b 32 – 37; Aristoteles, Nikomachische Ethik 5, 10, 1134 b 8 – 10; 8, 12, 1160 b 29 – 30, 8, 13, 1161 a 32 – b7).

Nicht jede faktische Sklaverei beurteilt Aristoteles als naturgemäße Sklaverei. Aristoteles versteht Sklaverei als etwas, das zu den Notwendigkeiten gehört, aber an sich keine große, erhabene und schöne Sache ist (Aristoteles, Politik 1, 7, 1255 b 31 – 34; 7, 3, 1325 a 25 – 27).

Mit dem Gedanken der Naturgemäßheit nicht gut zusammenpassend ist die Empfehlung, Freilassung als Belohnung in Aussicht zu stellen (Aristoteles, Politik 7, 10, 1330 a 32 -34).

1
Albrecht  11.06.2014, 08:49

Literatur in Auswahl (in den angegebenen Veröffentlichungen stehen Hinweise auf weitere Literatur):

Otfried Höffe, dikaiosynê / Gerechtigkeit. In: Aristoteles-Lexikon. Herausgegeben von Otfried Höffe. Redaktion: Rolf Geiger und Philipp Brüllmann. Stuttgart : Kröner , 2005 (Kröners Taschenausgabe ; Band 459), S- 130 - 136

Rolf Geiger, doulos / Sklave. In: Aristoteles-Lexikon. Herausgegeben von Otfried Höffe. Redaktion: Rolf Geiger und Philipp Brüllmann. Stuttgart : Kröner, 2005 (Kröners Taschenausgabe ; Band 459), S. 136 - 138

Reinhard Brandt, Naturrecht. II. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 6: Mo – O. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1984, Spalte 563 – 571

Spalte 566 – 567: „ARISTOTELES nimmt traditionelle Motive des N. auf, bindet sie jedoch in seine positivistische und konservativ-empiristische Gesamttendenz; am deutlichsten zeigt sich dies in der Umformung der naturrechtlichen Lehre der Gleichheit aller Menschen in eine naturrechtliche Legitimation der Versklavung sogenannter Barbaren durch die Griechen. - In der ‹Nikomachischen Ethik› unterteilt Aristoteles das politische Recht (πολιτικὸν δίκαιον) in ein natürliches und ein gesetzliches Recht. Das natürliche Recht ist in seinem Ursprung und in seiner Geltung nicht an besondere Vereinbarungen gebunden; es gilt also überall und immer, jedoch nicht mit rigoroser Ausnahmslosigkeit, sondern »meistens«. – Damit wird das N. in die allgemeine ethische Theorie eingegliedert, gemäß der im Bereich des Handelns alles auch anderes sein kann. In der ‹Rhetorik› scheint Aristoteles eine andere Position zu vertreten. Er unterscheidet besondere und allgemeine Gesetze; das besondere Gesetz wurde von einzelnen Menschen für sie selbst schriftlich oder ungeschrieben festgelegt. »Das allgemeine Gesetz dagegen ist das Naturgesetz. Es gibt nämlich, wie schon alle ahnen, ein von Natur aus allgemeines Gesetz und Unrecht, auch wo keine Gemeinschaft untereinander oder keine Übereinkunft besteht.« Als Beispiel des ungeschriebenen Naturgesetzes dient die Bestattungsform, für die Antigone in wird in der Sophokles' Drama eintritt, weiter die Vorstellung des Alkidamas, daß der Gott alle Menschen frei in die Welt brachte und daß die Natur niemanden zum Sklaven gemacht hat. Gerade dies letzte Beispiel zeigt, daß Aristoteles hier nicht seine eigene Meinung wiedergibt, sondern eine rhetorische Argumentation anbietet. So wird in der ‘Rhetorik’ nichts anderes gelehrt als in der ‘Nikomachischen Ethik’. Ein Stück eigner N.-Lehre jedoch ist die teleologisch begründete Sklaverei im 1. Buch der ‘Politik’. Die Natur selbst will, daß die Barbaren von den Hellenen als ihr Sacheigentum beherrscht und behandelt werden. »Derjenige Mensch, welcher von Natur aus nicht sich selber, sondern einem anderen angehört, ist Sklave von Natur.« Die Menschen (also doch zur Gattung des animal ratiole gehörend!), »welche ihre natürliche Aufgabe im Gebrauch ihrer Körperkräfte finden und bei denen dies ihre Höchste Leistung ist, sind Sklaven von Natur«. So können rechtens Barbaren von Griechen als Werkzeuge und Sklaven benutzt werden. Hier kann Aristoteles gegen die kritische N.-lehre von Autoren, denen »Herrschaft über Sklaven als naturwidrig schien«, an die ‘Nomoi’ PLATONS anschließen, in denen die Unterscheidung von Herren und Sklaven als notwendig hingestellt wird, während Platon in der ‘Politeia’ zur Sklavenfrage schwieg. Wenn ARISTOTELES die allgemeine Maxime vertritt, daß Griechen gleiche Rechte gebühren, so geschieht dies mit der Prämisse der natürlichen Ungleichheit der Menschen. Barbaren sind a priori rechtlos, und des weiteren schaffen auch die Tätigkeiten eine Ungleichheit. Wer seinen Lebensunterhalt selbst erarbeiten muß, ist nicht Teil der Bürgerschaft und unterliegt damit nicht der Gleichheitsmaxime.“

N. = Naturrecht(s)

Textstellen, auf die hingewiesen wird:

Aristoteles, Nikomachische Ethik 5, 7, 1134 b 32; Aristoteles, Große Ethik/Ἠθικὰ Μεγάλα/Magna Moralia 1, 33, 1194 b 30, Aristoteles, Rhetorik 1, 13, 1373 b 4 – 9; Aristoteles, Politik 1, 4, 1254 a 14 – 15; Aristoteles, Politik 1, 5, 1254 b 18 – 20; Aristoteles, Politik 1, 6, 1233a; Aristoteles, Politik 1, 3, 1253 b 20 . 21, Platon, Nomoi 777b

1
Albrecht  11.06.2014, 08:55

Egon Flaig, Sklaverei. In: Historisches Wörterbuch. Band 9: Se – Sp. Basel : Schwabe, 1995, Spalte 976 – 985 (zu Aristoteles: Spalte 977) gibt zur Theorie des Aristoteles unter anderem an:

Der Sklave vernimmt zwar die Vernunft, besitzt sie aber nicht aktiv, da ihm von Natur aus die Überlegung/das Überlegende (τὸ βουλευτικόν) fehlt.

Sklaven von Natur sind vor allem die asiatischen Nichtgriechen.

Im Krieg zeigt sich Überlegenheit an Tugend, durch ihn macht man natürliche Sklaven zu faktischen.

Zwischen natürlicher Hierarchie und sozialer Hierarchie besteht weitgehend Übereinstimmung.

Textstellen, auf die hingewiesen wird:

Aristoteles, Politik 1252 b 7ff.; 1254 b 20 ff., 1327 b 20 ff., 1255 a 10 ff., 1256 a 35 ff.

Egon Flaig, Den Untermenschen konstruieren : wie die griechische Klassik den Sklaven von Natur erfand. In: Konstruktionen von Wirklichkeit : Bilder im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. Herausgegeben von Ralf von den Hoff und Stefan Schmidt. Stuttgart : Steiner, 2001, S. 27 – 49

Egon Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei. Originalausgabe. 2., durchgesehene Auflage. München : Beck, 2011 (Beck'sche Reihe ; 1884), S. 37 - 50

Dimitris Papadis Das Problem des 'Sklaven von Natur' bei Aristoteles. In: Gymnasium : Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung 108 (2001), S. 345 -365.

Karl-Wilhelm Welwei, Ius naturale und ius gentium in der antiken Beurteilung von Sklaverei und Freiheit. In: Menschenrechte und europäische Identität : die antiken Grundlagen. Herausgegeben von Klaus M. Girardet und Ulrich Nortmann. Stuttgart : Steiner, 2005, S. 81 – 93

S. 86 - 88: „Die sophistischen Reflexionen über die auch den Sklaven nicht abzusprechenden Reflexionen enthielten freilich einen Sprengsatz, den Aristoteles zwar klar erkannt hat, aber in sie er Stellungnahme zu dieser Frage in den „Politika“ nicht zu entschärfen vermochte. Er konzediert, daß es leicht sei, durch theoretische Überlegungen oder aufgrund von Erfahrungen darzulegen, daß nicht jede Art von Sklaverei dem Naturrecht entspricht, eben weil Menschen von Natur aus Sklaven sind und es für sei nützlich und gerecht ist, Sklaven zu sein. Er weist aber zugleich darauf hin, daß das allgemein geltende Sieegerrecht nach Ansicht vieler Kenner der Materie gesetzwidrig sei, weil es nicht akzeptiert werden könne, daß der besiegte Sklave des Stärkeren werde. Andere Interpreten seien wiederum überzeugt, daß Sklaverei zwar nach dem Kriegsrecht gerecht sein könne, dieses Argument aber nicht in jedem Fall zutreffe, weil ja auch Menschen, die ihrer Natur nach bestimmt seien, Freie zu sein, in Sklaverei geraten könnten. Die eigene Stellungnahme des Aristoteles zu den in seinem Referat skizzierten Urteilen ist schwer zu eruieren. Einen wichtigen Hinweis bieten aber seine Ausführungen in der „Nikomachischen Ethik“ (1134 b 18 ff.) über das politische Recht, das sowohl gesetztes Recht als auch das von Natur aus existierende Gerechte enthält: Während letzteres überall die gleiche Wirkung habe und nicht von der Auffassung des Menschen abhängig sei, könne sich das durch Gesetze verfügte Recht verändern. Hiernach hat für Aristoteles das von Natur gegebene Gerechte das stärkste Gewicht. Andererseits ist er überzeugt, daß es auch eine Über- und Unterordnung von Natur aus gibt. Diejenigen Menschen, die ihre größte Leistungsfähigkeit im Gebrauch des Körpers entfalten und daher als Sklaven von Natur gelten, sind nach seiner Auffassung vor allem unter den „Barbaren“ zu finden. Er zitiert hierzu Verse des Euripides (Iph. Aul 1400 f.), der die Herrschaft der Griechen über Barbaren rechtfertigt. Aristoteles' Kommentar dazu lautet, daß ein „Barbar“ von Natur aus ein Sklave sei.

1
Albrecht  11.06.2014, 08:56

Dennoch ist Aristoteles' Argumentation (Pol. 1252 b 5 ff.) nicht einfach als abgrundtiefe Verachtung der „Barbaren“ und dementsprechend als Ausgrenzung dieses weitaus größten Teiles der damalige Menschheit zu interpretieren. Aristoteles bemerkt nämlich in der „Nikomachischen Ethik“ (1155 a 21 – 22), daß jeder, der es in das sog. Barbarenland verschlagen hat, erfahren kann, wie jeder Mensch dem anderen verwandt und freundlich gesinnt ist. Daß Aristoteles die Sklaven nicht als „Untermenschen systematisch konstruiert“, zeigt zudem sein Rat (Pol. 1330 a 31 – 33), ihnen allen als Lohn für ihr Verhalten die Freilassung in Aussicht zu stellen. Das Freiheitsversprechen soll zwar dem Vorteil des Sklavenhalters dienen. Immerhin stellt Aristoteles hier aber auch das Postulat einer gleichsam naturbedingten Grenze zwischen Freien und Unfreien zumindest implizit in Frage. Insofern trennt für ihn offenbar weniger ein anthropologisch begründeter Gegensatz die Barbaren von den Griechen, sondern eher ein Defizit des Barbaren an politischer Gestaltungskraft. Dies läßt sie im Grunde nur aus einer spezifischen Perspektive als Sklaven von Natur erscheinen. Die Abwertung des Nichtgriechischen durch zahlreiche Hellenen und deren Meinungsführer basierte nicht zuletzt auf dem Vorurteil, daß die „Barbaren“ nicht fähig seien, eine wahre Gemeinschaft von freien Bürgern zu bilden. Für Aristoteles kann der Mensch als ein an die Polis gebundenes Wesen als ζῷον πολιτικόν eben nur in der Polis ein wahres Leben führen. Unter diesem Aspekt hätte es sicherlich auch naheliegen können, das angeblich politische Defizit im sogenannten Barbaricum überzeugend nicht aus bestimmten naturgegebenen physischen und psychischen Eigenschaften abzuleiten sondern als historisch zu erklärendes Ergebnis jahrhunderte- bzw. jahrtausende alter Despotie zu deuten, deren Überwindung auch die hiervon kontinuierlich betroffenen Menschen ändern würde. Aristoteles zog indes nicht expressis verbis den Schluß, daß es sich nicht um ein unwandelbares Naturgesetz, sondern eher um eine durch Akzeptanz von Gewohnheiten geprägte Verhaltensweise der Menschen in einer sogenannten barbarischen Lebenswelt handelt. Unter dem Eindruck panhellenischen Gedankenguts plädierte Aristoteles vielmehr für unterschiedliche Maximen in der Politik gegenüber Hellenen und Nichtgriechen, indem er Alexander d. Gr. Den berühmt-berüchtigten Rat gab, den Hellenen ein Anführer (Hegemon) zu sein, über die Barbaren aber despotisch (δεσποτικῶς) zu herrschen (Aristot. frg. 648 Rose = Plut. de fort. Alex. 1, 6).“

S. 88: „Aristoteles war sich aber in der Frage der Berechtigung einer natürlichen Sklaverei offenbar keineswegs so sicher, wie moderne Kritiker seiner Stellung zum Sklavenproblem annehmen, die aus seinen diesbezüglichen Ausführungen schließen, daß er „eisern an der Sklaverei als notwendige Bedingung für ein gutes polis-Leben der Nichtsklaven festhielt“. Die schon genannten Empfehlungen des Aristoteles zur Freilassung von Sklaven sind in der Bewertung seiner Stellungnahme zur Sklaverei erstaunlich wenig berücksichtigt worden.“

Hans Klees, Herren und Sklaven : die Sklaverei im oikonomischen und politischen Schrifttum der Griechen in klassischer Zeit. Wiesbaden : Steiner, 1975 (Forschungen zur antiken Sklaverei ; Band 6). ISBN 3-515-01878-6

Christian Schäfer, Die These von der natürlichen Sklaverei in antiker Philosophie und spanischer Conquista. In: Tradita et Inventa : Beiträge zur Rezeption der Antike. Herausgegeben von Manuel Baumbach. Heidelberg : Winter, 2000 (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften : 2. Reihe ; N.F., Bd. 106), S. 111- 130

Aristoteles, Politik. Buch 1: Über die Hausverwaltung und die Herrschaft des Herrn über Sklaven. Übersetzt und erläutert von Eckart Schütrumpf. Berlin : Akademie-Verlag, 1991 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 9, Teil 1), vor allem S. 272 – 275

Wolfgang Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft. Stuttgart : Steiner, 1998, S. 366 - 370

John-Stewart Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit : das V. Buch der Nikomachischen Ethik. Freiburg im Breisgau ; München : Alber, 2007 (Alber-Reihe Thesen ; Band 29). ISBN 978-3-495-48226-1

Max Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles nebst einem Anhang über den Begriff des Tauschgeschäftes. Leiden : Sijthoff, 1937

1

Vermutlich hängt es daran, wie Du den Begriff Naturrecht verstehst, der nicht von Natur aus gegeben ist. Wenn Du eine Antwort auf die Frage willst, dann charakterisiere den Begriff Naturrecht tendenziell vollständig und eindeutig. Und wenn Du einen Widerspruch siehst, dann bringe das im Unterricht zur Sprache. Man kann ihn sehen, muss es aber nicht. Es kommt darauf an, was man gelesen hat usw. Da hier niemand Deinen Unterricht besucht, ist es für alle möglich, auf der Basis von (unbekannten) Unterrichtsinhalten die Frage zu beantworten. Es weiß hier auch keiner, was Du oder Dein Lehrer mit "Begründer" meint, was eine Metapher ist, deren Verständnis nicht eindeutig bestimmt ist.

Es ist notwendig, dass Du die Textstellen nennst, auf die Du Dich beziehst, ebenso wie die genaue Argumentation in W&R. Dass irgendwo irgendwer irgendwie was behauptet, ist keine Diskussionsgrundlage.