An die ältere Generation: War es damals in der Kindheit nicht todlangweilig? So ganz ohne Computer, Handy und Fernsehen? Wie hat man da die Zeit totgeschlagen?

59 Antworten

Wir lebten einfach wie richtige Kinder. Wir hatten Spielzeug, einige von uns richtig viel davon. Das meiste förderte unsere Phantasie, wie zum Beispiel Lego, Trix (kennt keiner mehr) oder Plastikant (kennt auch keiner mehr), und viele bekamen zu Weihnachten oder zum Geburtstag einen Chemiebaukasten. Damit konnte man Experimente machen und daran lernen, explodierte etwas oder setzte die ganze Wohnung unter Rauch und Gestank, dann war etwas schief gelaufen und man wusste, wir machen es nun anders. Lernerfolg nannte sich das.

Es gab viele Spiele, Malefiz, Mensch Ärgere Dich Nicht, Monopoly, Mühle, Halma, Schach, und manchmal spielten wir sogar mit allem Möglichen. Ich spielte immer wieder mit Töpfen und Schüsseln, Haushaltszeug und stellte mir vor, dass es eine Zukunftsstadt sei, in der die Menschen in runden Häusern leben. Es förderte die Phantasie. Und ich war ziemlich glücklich damit.

Im Fernsehen gab es drei Programme. ARD, ZDf, und das jeweilig Dritte je nach Region. Die brachten immer wieder viel Schulfernsehen und Jean Pütz erklärte, wie man Wein machen konnte oder weiß wäscht ohne viel Chemie. Das konnte man nachmachen und viele Neue Dinge lernen. Sendungen ohne Niveau gab es nicht. Selbst die Shows am Samstag Abend hatten Anspruch auf Niveau, und ob Kulenkampff, Frankenfeld, Rosenthal oder Carrell, es wurde niemand entwürdigt oder lächerlich gemacht. Und weil es höchsten einen einzigen Fernseher gab, und Papa viel Tagesschau, politische Diskussionen oder Reden aus dem Bundestag guckte, musste man das als Kind eben mit gucken, wenn man gucken wollte, und so hat man was über die Welt gelernt. Man war quasi zum Lernen gezwungen. Was bin ich heute dankbar dafür.

Wie hatten kein Telefon. Also kein Festnetztelefon. Handys gab es nicht, den Begriff Festnetz auch nicht, weil es andere Telefone gar nicht gab. Die hatten ein Kabel und standen öfter in den Wohnungsfluren auf einem eigenen kleinen Tischchen. Aber wir hatten keines, denn man musste für die Einrichtung 200 DM zahlen, etwa 106 EUR. Und jedes Ortsgespräch kostete ca. 10 Cent, eine Minute Ferngespräch am Tage sogar 55 Cent! Das läpperte sich.

Also ging man zu einer Telefonzelle. Das waren kleine Häuschen, meistens gelb mit einem Münztelefon drin. Draußen stand dran: fasse dich kurz. Denn oft warteten andere davor und wenn man zu lange quasselte, wurde schon mal verärgert geklopft. Später stand da: ruf doch mal an. Da kam der praktische Mondscheintatif, so dass Ferngespräche nach 22 Uhr billiger wurden. Das ganze Land telefonierte zwischen 22 und 23 Uhr wie irre, weil es da billiger war und bevor die Leute schlafen gehen wollten. Zwischen 23 Uhr und Mitternacht war das Fernsehprogramm übrigens zu Ende. Das nannte sich Sendeschluss. Da kamen noch ein bisschen Musik und Schrifttafeln, danach nur noch Testbild und ein Piepton, praktisch, um einen neuen Fernseher mit Antenne gut einzustellen, aber nicht unterhaltsam.

Wir hatten auch Freunde, aus der Schule oder aus der Nachbarschaft. Wollten wir die treffen, gingen wir hin und klingelten. Meistens öffnete die Mutter. Dann fragten wir: „Guten Tag, ist die Sabine da?“ Dann hieß es oft, nein, die Sabine sei gerade bei der Oma, oder sie müsse nich Hausaufgaben machen, man solle in einer Stunde wieder kommen. Und dann ging man wieder hin. Wir spielten oft draußen. Im Gestrüpp, im Wald, ohne Aufsicht, ohne Tracker. Wenn wir zu spät nach Haus kam, wurde man auch schon mal bestraft, mit Stubenarrest vielleicht. Dann durfte man nicht raus, und weil es keine Computer oder Handys gab, musste man sich die Zeit vertreiben, sogar mit Lesen, in Büchern, die gingen ohne Strom und ohne Wischen und ohne Bildschirm. Gedrucktes Papier zwischen zwei Pappdeckeln, verrückt!

Bein Spielen draußen kam es vor, dass man sich verletzte. Vom Baum gefallen, Knie aufgeschlagen, oder Schlimmeres. Meistens klebte man sich ein Pflaster drauf, und dann war es gut. Die Spielplätze hatten keinen Tartan auf dem Boden. Wer zu unsportlich war und von der Kletterstange fiel, der knallte auf Betonboden und hatte schon mal eine Gehirnerschütterung. Wir gingen dann ins Krankenhaus und besuchten den Verunfallten, der bald wieder in die Schule gehen konnte.

In der Schule standen wir auf, wenn der Lehrer herein kam und im Chor hieß es: Guten Morgen, Herr Linke. Und der Lehrer war eine Respektsperson, und wir bemerkten, dass der sehr viel mehr wusste als wir. Das fanden wir bewundernswert und wollten gern auch so viel wissen wie er. Wer sich schlecht benahm im Unterricht, musste sich mit dem Rücken zur Klasse in eine Ecke stellen oder den Raum verlassen, dafür schämte man sich. Überhaupt waren wir alle ziemlich gut darin, Dinge zu verkraften, die uns nicht gefielen. Es gab auch sehr seltsame Mitschüler, schräge Vögel, oder „Durchgeknallte“, wie man heute sagen würde. Die haben wir nicht gemobbt. Das Wort Mobbing gab es nicht, es gab nur „hänseln“. Jemanden zu hänseln weil er war wie er war galt als dumm und unpassend, denn wir wussten schon damals, dass die meisten nichts dafür konnten, dass sie waren wie sie waren. Einer unserer Mitschüler hatte den Spitznamen Pissy, weil er genau so gerochen hat. Auch den haben wir nicht gehänselt, wir haben rotiert. Im Unterricht musste immer jemand anderes neben Pissy sitzen. Die Lehrer fanden das lustig, aber gaben uns dafür viel Anerkennung.

Weil wir nicht viel Geld hatten, bekam ich nicht all das Spielzeug, das ich gern gehabt hätte. Und Urlaub machten wir anfangs nur im Garten, in einem aufgebauten kleinen Zelt, das war so spannend, dass man mal draußen im Garten schlafen konnte!

Unsere Eltern und Großeltern hatten natürlich auch keine Computer und Handys, weil es damit erst in den späten 1990er Jahren los ging. Also wurde uns vorgelesen. Aus Büchern. Oder die Älteren erzählten den Kindern, was sie früher erlebt hatten. Wir fanden das spannend und wir stellten uns alles in unserer Phantasie vor. Inzwischen wurde darüber viel geforscht und man fand heraus, dass Vorlesen Kinder schlau und flexibel macht, auf Bildschirmchen herumzuwischen aber bei Menschen unter 25 sogenannte Digitale Demenz hervorruft, sie dümmer, dicker, lahmer und depressiver macht. Was hatten wir ein Glück, dass wir das alles damals noch nicht hatten. Wir hatten die Chance intelligente, wissenshungrige, selbständige Menschen zu werden, die als Erwachsene in der Lage waren, Resilienz zu haben (Widerstandskraft) und ihr Leben zu bewältigen. Ich möchte heute kein Kind mehr sein, wirklich nicht. Ihr seid nicht zu beneiden...

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Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
 - (Frauen, Psychologie, Freizeit)

schlappeflicker  14.01.2020, 17:53

2 Sachen:

Erstens war Trix vllt nicht so bekannt wie die Märklin Kästen oder andere Hersteller. Hinzukommt das solche Kasten mit aufkommen von lego immernebr verdrängt wurden, weil sich Spielzeug immer nah den neusten Materialien richtig (Holz-Eisen/Blech-Plastik). Solche Metallbaukästen gibt es aber nach wie vor noch.

Zweitens: ob "pissy" das auch so locker gesehen habt wie ihr sei mal dahingestellt. Früher hieß es handeln, heute heißt es mobben

Wir mussten in den 90ern die Zeit nicht totschlagen! Wir hätten uns gewünscht der Tag hätte doppelt so viele Stunden!

Da wurde im Sommer Fußball gespielt, Baumhäuser gebaut, mit dem Rad ins Schwimmbad oder an den Weiher gefahren.

Dann wurden im Feld Trauben oder Nüsse gegessen, beim Nachbar Äpfel gemopst oder an einem heißen Tag unter einer Brücke ne Cola geteilt.

Bäche stauen und barfuß durch laufen war auch immer ganz beliebt. So wurden kurzerhand Staudämme und Brücken mit altem Holz errichtet und den ganzen Tag damit verbracht.

Zudem wurde unser Interesse immer von alten Häusern geweckt in denen wir herum gesprungen sind auf der Suche nach irgendwas wertvollem oder so.

Im Winter war keine Eisfläche vor uns sicher und wurde mit Fahrrad, Skates, Turnschuhen, Kettcar usw auf Herz und Nieren getestet. Iglus bauen und auf Heuballen herum rennen war auch angesagt.

Heutzutage ist das alles undenkbar. Man könnte uns Diebstahl, Sachbeschädigung, herumlungern usw anlasten. Dabei haben wir nie etwas kaputt gemacht, sondern waren einfach nur neugierig und voller Energie.

Fern gesehen wurde dann Abends oder eben an regnerischen Tagen. Auch gab es damals die ersten Spielekonsolen, wo auch mal ein paar Stündchen gezockt wurde, aber im Prinzip wollten wir nur eins: RAUS!

Irgendwie ist die Lebensfreude an den Teens heutzutage verloren gegangen. Man sieht es ja an deiner Frage: "...die Zeit totschlagen..."

Als wäre der Tag nur ein Übel, welches irgendwie überwunden werden muss...


Sil2602  14.01.2020, 15:15

Das wäre eigentlich meine Antwort gewesen. Haargenau so war meine Kindheit in den Siebzigern. Von Spielekonsolen mal abgesehen.

Von welcher Generation redest Du denn? Fernsehen geguckt hat man nämlich schon im den 60iger Jahren, da hatte schon fast jeder Haushalt einen Fernseher, anfangs gab es zwar nur zwei Programme, aber man hockte trotzdem fast jeden Abend vor der Röhre oder ging ins Kino oder ins Theater - Unterhaltung gab es jedenfalls genug.

Computer haben dagegen erst vor circa 20 Jahre Einzug in fast alle Haushalte gehalten, aber ich kann Dir versichern, dass auch vorher .unser Leben ganz wunderbar war und sich kein Mensch gelangweilt hat.

Die Zeit wurde nicht totgeschlagen sondern mit Leben gefüllt, Menschen haben miteinander gesprochen statt sich pausenlos zu schreiben, so als wären wir wieder im Mittelalter, wo es in Ermangelung eines Telefon keine andere Möglichkeit gab, über große Entfernungen miteinander zu kommunizieren.

Kinder haben sich natürlich und gesund entwickelt, weil sie nämlich nicht von frühester Jugend der permanenten Reizüberflutung durch digitale Medien ausgesetzt waren sondern draussen mit anderen Kindern gespielt haben. Heute dagegen hocken schon Zweijährige über ihrem Spieletablet und erleben die Welt nur noch zweidimensional und aus 256 Farben bestehend.

Kaum ein Kind kann sich noch konzentrieren, jeder zweite Schüler hat psychische Probleme, das Niveau an den Schule sinkt deshalb immer weiter und trotzdem fühlen sich Schüler heute ständig überfordert, weil sie ihre Gedanken nicht mehr strukturieren können - ich kann Dir versichern, dass wir früher ein Abitur hingelegt haben, das gemessen an den heutigen Ansprüchen Hochschulniveau hatte, und das liegt nicht daran, dass Ihr heute alle dümmer seid, sondern ungesund und unnatürlich aufwachst, in einer künstlichen Welt, die ihr von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden könnt und in der die Sinne, die Sensibiltät und die Erkenntnisfähigkeit des Menschen verkümmern.

Menschen lernen sich heute nicht mehr persönlich kennen sondern pflegen Beziehungen zu Leuten, die sie noch nie gesehen haben, echte menschliche Beziehungen veröden, die Vereinsamung wird immer größer - man braucht sich nur mal die Fragen hier anzusehen: Zig mal täglich: "Wie kann ich jemanden ansprechen, was kann ich sagen, worüber kann ich reden, mir fällt nichts, ein worüber ich sprechen kann, wie kann ich auf sie/er zugehen" usw, als ob die Menschen die Sprache verloren hätten und ihren Verstand gleich mit - solche Problem hatten wir vor 20 Jahren nicht. Wir sind einfach rausgegangen, haben uns irgendwo verabredet, sind zusammen weggefahren, in die Kneipe gegangen, ins Kino, Theater und haben ständig neue Menschen kennengelernt und zwar draussen in der Welt, nicht im Internet. Wir hatten uns immer etwas zu erzählen, denn wir haben ja auch immer etwas erlebt.

Heute werden die Menschen immer träger, phantasieloser und unwissender, obwohl ihnen durch das Internet das ganze Wissen der Welt zur Verfügung steht, nur leider haben sie nie gelernt damit umzugehen sondern spielen tagelang oder tauschen belanglose Nachrichten aus, mittlerweile leben wir in einer völlig infantilen Gesellschaft, wo auch Erwachsene ihre Zeit größtenteils mit Spielen verbringen und nichts mit sich und der Welt anzufangen wissen.

Ne, das Computerzeitalter ist kein Fortschritt für die Menschheit, so primitiv wie heute war man nicht mal in der Steinzeit - da hat man sich zumindest noch bewegt und mit Sicherheit spannendere Erlebnisse gehabt als heute vor dem PC.


schlappeflicker  14.01.2020, 17:58

Heutzutage ist es aber viel leichter Gleichgesinnte zu treffen und das in für alle Lebensbereiche. Chatted man heutzutage, hat man früher Brieffreundschaften gehabt.

Bin Jahrgang 1989. Also quasi in der Zeit groß geworden als PC/Internet massentauglich wurde, und Anfang der 2000er die ersten Handys rauskamen. Meine erste Konsole war ein altes Super Nintendo und irgendein dos-computer den uns jemand geschenkt hatte aus der Verwandtschaft. Meine Freizeit sah so aus, das man irgendwas mit lego gebaut hat, raus in den Wald gegangen ist wo man kleine Hütten und Baumhäuser gebaut hat. Wir haben Bäche angestaut, haben drachen steigen lassen, sind Fahrrad gefahren. Ein Kumpel hatte somein Baukastensystem das quadro (oder so) heißt. Damit haben wir irgendwelche Gefährte gebaut die wir die steilste Straße im Ort hochgeschleppt haben nur um wieder runter fahren zu können. Zwischendrin hat man auch mal ein Rad verloren wenn es sich gelöst hat. Wir haben auch ein Schwimmbad im Ort, wo man in den Sommerferien quasi jeden Tag drin war. Im Winter sind wir Schlitten gefahren, haben Schneeballschlachten gemacht. Wir haben uns auch Wasserschlachten mit Spritzpistolen geliefert. Hin und wieder hat man mal ne Stunde oder zwei am PC oder der Konsole gesessen. Manchmal hat man auch nachmittags zusammen rtl2 geguckt als noch die ganzen Animesendungen liefen. Also langweile kam eigentlich nie auf

Hallo Hamburger,

also, wenn Schulferien sind und unsere Enkelkinder uns besuchen kommen, dann jammern sie, weil ihre Freunde teilweise mit deren Eltern im Urlaub sind, dass sie lange Weile haben – trotz PC und Smartphone.

Ich bin in den 1960er zur Schule gegangen und lange Weile hatten wir nie, nicht, wenn schlechtes Wetter war oder wenn unserer Freunde mit ihren Eltern im Urlaub waren. Im Gegenteil, die Tage waren immer zu kurz für uns. Wir beschäftigten uns viel draußen an der frischen Luft und in der Natur, trieben viel Sport, im Sommer Fußball, Radfahren und Schwimmen und im Winter Wintersport. Wir gingen viel in den Wald, sammelten Beeren und Pilze, denn damals war es noch nicht so gefährlich wie heute im Wald. Mit meinem Schulfreund sammelte ich Krüge voll Blaubeeren und Körbe voll Pilze, die wir auch alle sehr gut kannten. Da war ich vielleicht 8 oder 9 Jahre alt. Wir hatten Baukästen oder bastelten mit Bastelbogen und bauten daraus Schiffs und Flugzeugmodelle.

Ich kann nur sagen, dass wir nie lange Weile hatten und am Abend immer zu wenig Tag für uns übrig blieb.

LG Lazarius