Schopenhauer über Nationalstolz Kritische Betrachtung?

7 Antworten

Nur weil jemand nationalstolz zeigt, heißt das nicht, dass er nichts anderes hat, auf das er stolz sein kann

Schopenhauer hat ganz offensichtlich Recht. Man könnte vielleicht argumentieren, dass diese irrationale Haltung geschichtlich auch viel positives bewirkt hat. Leute die wenig haben worauf sie Stolz sein können, witmen ihr Weniges aufopferungsvoll der Gemeinschaft.

Weil sie ihre zugehörige Kulturgemeinschaft eben vergöttern. Der Grund, weshalb Narzissten häufig sehr erfolgreich sind ist quasi der Selbe. Diese Leute kennen bezüglich der Erringung von Anerkennung eben kein Pardon. Anerkennung gilt ihnen als das Wichtigste - besonders wenn sie aus der angebeteten Gruppe kommt.

Stolz kann Freude, Hochmut oder Würde bedeuten. Deswegen sollte man den Begriff Stolz gar nicht erst verwenden. Existiert nicht. Eher war man damals erfreut darüber, den Despotismus in Deutschland loszuwerden.

Der konservative pessimistische Denker Schopenhauer hat den linken, republikanischen Pöbel, der die Könige und Fürsten in Deutschland abschaffen und eine gesamtdeutsche Republik einrichten wollte, gründlich verachtet. Für Schopenhauer war selbstverständlich die monarchische Ordnung die einzige, die einem Staatswesen eine gewisse Dauer und Stabilität zu verleihen vermag.

Die 48er wollten die Monarchien aber abschaffen und eine gesamtdeutsche Republik einführen. Was Schopenhauer an diesen Leuten gerügt hatte, war weniger deren Bekenntnis zum Deutschtum an sich, sondern vielmehr deren staatspolitisch linke, republikanische (heute würden wir sagen "demokratische") Ideologie. Der Pöbelverächter Schopenhauer war Antidemokrat durch und durch. Er sah in den Linken geistlose Massenmenschen, „erbärmliche Tröpfe“, die, das Wesen des Staates verkennend, unsinnigen Utopien anhingen und damit in gefährlicher Weise die bestehende monarchische Ordnung in Gefahr bringen.

Einem monarchisch organisierten gesamtdeutschen Reich wie es 1871 nach dem Sieg über Frankreich möglich wurde, wäre Schopenhauer wohl grundsätzlich wohlwollender gegenübergetreten. Wenn er im Detail wohl auch an den Hohenzollern und am Bismarck-Staat so manches ausgesetzt hätte, so wäre ihm diese Lösung der deutschen Frage wohl auf der grundsätzlichen Ebene als eine akzeptable erschienen.

Die Kritik am Nationalstolz an sich, die Schopenhauer aber zugleich liefert, hat insofern ihre Richtigkeit und Berechtigung, als dass kollektivistische Identifikationsangebote (zu denen neben Nationen etwa auch Religion sowie heute auch Vereine (Fußball!) zu zählen sind naturgemäß vor allem immer jene Leute ansprechen werden, die an sich selbst wenig Besonderes finden können, also „graue Massenmenschen“ ohne bedeutende Eigenart sind. Sinnvoll ist es somit, Schopenhauers Betrachtungen auszuweiten von einer Kritik nur an nationaler Identifikation zu einer allgemeineren Kritik an allen Arten kollektivistischer Identifikation. Der Fan eines Fußball-Vereines etwa ordnet ja auch seine persönliche Eigenart der Identifikation mit diesem unter, was ihm naturgemäß umso leichter fällt, je weniger persönliche Eigenart er eben hat. Daher findet man Fußball-Fans bis hin zu völlig verfallenen „Ultras“, die in der Bettwäsche ihres Vereines schlafen, aus Tassen ihres Vereines trinken, ihre Couch mit dem Vereinslogo bespannt haben usw. eben nicht unter dem selteneren 1/6 aller Menschen, denen Schopenhauer Eigenart und spezielle Begabungen zuzusprechen bereit ist, sondern vielmehr unter den grauen 5/6, die als scheinbar austauschbare Massenmenschen (in dem Fall auch noch in aller Regel „Prolls“, also Angehörige der Arbeiterschicht) das bloße Bindegewebe eines Volkes liefern.

Schopenhauer hat also in gewisser Weise Recht, doch ist seine Sicht in dem zitierten Absatz nur auf den Nationalismus verengt. Insgesamt hat sich Schopenhauer aber sehr wohl auch im Sinne der von mir erwähnten Ausweitung der Kritik am Massenmenschentum geäußert, man findet dieses Unbehagen an den schnöden 5/6 der Menschheit überall in der „Welt als Wille und Vorstellung“ sowie den „Parerga und Paralipomena“.

  • Stolz - bei Schopenhauer: Von dem was einer vorstellt

Der Begriff "Stolz" wird hier, wie auch allgemein, darauf bezogen, daß man auf etwas stolz sein kann, was man selbst geleistet hat - es kann auch ein größeres Ganzes umfassen, wenn man z. B. auf eine Stadt stolz sein kann, wenn man an dem ganzen mitgewirkt hat.

Man kann auch auf das Geleistete anderer Personen stolz sein - auf das abgeschlossene Studium des Kindes - aber auch hier ist eine mittelbare Beteiligung der Eltern gegeben, die dem Kind das ermöglicht haben.

Wenn man selbst nichts dazu beigetragen hat, kann es Bewunderung oder Achtung sein, welches man empfindet.

Die Nation ist hier für Schopenhauer die letzte Ausfahrt für den Stolz, wenn man selbst nichts darstellt - auch den zeitlichen Kontext sollte man nicht ganz außer Acht lassen:

Das hat er ca. 1851 geschrieben, also kurz nach der "Revolution" 1848. Es war die Zeit in der sich so langsam eine deutsche Nation herausbildete - er hat in Frankfurt gelebt, welches eine Hochburg der Nationalbewegung war (Parlament in der Frankfurter Paulskirche).

Er stand dieser ("demokratischen") Bewegung recht skeptisch gegenüber (als "souveräne Kanaille" hat er sie betitelt); er hat also auch miterlebt, wie immer mehr Menschen sich zu einem (bedenklichen) deutschen Nationalstolz hingewendet haben = die Nation als Objekt auf das man seinen Stolz errichtet hat.

Mangels eigener persönlicher Vorzüge, welche die Basis eines Stolzes sein sollten, verhindert ein Nationalstolz gleichzeitig den objektiven Blick auf die Mängel oder Fehler, die mit der Nationsbildung verbunden sind - es läuft (aus seiner Sicht) in die falsche Richtung.

Aus heutiger Sicht wird der Begriff "Nationalstolz" anders gewertet als zu Zeiten Schopenhauers - der Begriff ist in Deutschland, aus den Erfahrungen des Dritten Reiches, ausschließlich negativ konnotiert. Hier bietet sich eher der Begriff "Patriotismus" an, welcher aber in Deutschland auch nicht so gerne verwendet wird ("Verfassungspatriotismus" war einmal im Gespräch).

Aber die Kernaussage Schopenhauers, daß Stolz mit eigenen Leistungen zu tun haben soll, das ist auch heute noch gültig.

Auf Stolz als Hochmut, "Todsünde" oder aus Sicht einer neurotischen Störung gehe ich nicht weiter ein, weil das hier im Kontext nicht gemeint ist.

sassi357  15.06.2023, 16:04

Deine Analyse ist grundfalsch. Schopenhauer schreibt vom Mangel an individuellen Eigenschaften, nicht vom Mangel an Leistungen im Leben. Eigenschaften sind aber keine Leistungen, sondern Teil des a priori gegebenen, unveränderlichen Charakters. –

Schopenhauer sagt vielmehr richtig, dass ein natürlicher Stolz dem zukomme, der von Natur aus etwas ist, also durch sein So-Sein aus den 5/6 des gewöhnlichen großen Haufens heraussticht. Als bestes Beispiel für einen dem restlichen 1/6 zugehörigen Menschen, die Grund zum Stolz auf ihr So-Sein haben können, dachte Schopenhauer mit Sicherheit nicht zuletzt (eher zuerst) an sich selbst. –

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