Hi,
ich will mich auch mal kurz zu Wort melden. Wenn ich Sätze wie die folgenden Lese:
Ich finde Homosexualität eher gewöhnungsbedürftig und irgendwie komisch, obwohl ich selbst schwul bin. Das ist das verwirrende. Ich kann mich selbst nicht akzeptieren
... dann erinnert mich das exakt an meine Jugend. Ich bin jetzt Anfang 30, führe ein ganz normales, glückliches - und ja: schwules Leben, was ich mir mit 16 Jahren niemals hätte vorstellen können. Und ich erinnere mich genau, wie ich mich in deinem Alter gefühlt habe - so ähnlich wie du. Warum schreibe ich "so ähnlich"? Ich hatte keinen religiösen Druck in der Familie, aber in meinem Dorf gab es halt einfach keine Homosexualität. Punkt. Also gab es auch in meiner kleinen Welt damals einfach keinen Raum für die Vorstellung, dass man schwul sein könnte, und trotzdem irgendwie ein normales Leben führen könnte. Jeder Gedanke daran war irgendwie mit Schuldgefühlen behaftet und ich hab damals noch ein paar Jahre gebraucht, mich überhaupt soweit akzeptieren zu können, dass ich sagen konnte, ja - ich bin schwul. Insofern bist du ja schon einen Schritt weiter - du kannst dir eingestehen, dass du schwul bist.
Du musst es von der Seite sehen: Wir alle gehören der Spezies "Mensch" an - und zu dieser (wie auch zu anderen Spezies) gehört es eben auch, dass 5-10% homosexuell sind. Wer auch immer diese Welt erschaffen hat - er hat es so gewollt, das sehen wir, wenn wir in die Schöpfung schauen. 100e von Tierarten zeigen Formen von Homosexualität. In keiner Tierart wird Homosexualität irgendwie sanktioniert, außer beim Menschen. Denn der kennt gesellschaftliche Zwänge, Religion und hat sein kleines trauriges Weltbild davon, was richtig und falsch zu sein hat.
Dass du in dem Alter Schuldgefühle hast, weil du schwul bist, verstehe ich. Das ist normal. Die hat wohl jeder. Du bist schließlich stets in der Annahme erzogen worden und aufgewachsen, du wärst heterosexuell. Das geht jedem Schwulen so. Und jeder Schwule nimmt das irgendwann als Erwartung von allen anderen wahr, dass er heterosexuell zu sein hat. Das hat meistens niemand je gefordert, aber man nimmt es so wahr. Bei dir ist es noch einen Zacken schärfer - deine Eltern haben direkt thematisiert, dass sie von Homosexuellen nichts halten. Was ich sagen will: Mit 16 Jahren ist dein Weltbild nach ganz stark von deinem Umfeld und vor allem deiner Familie geprägt. Dass du dadurch automatisch Schuldgefühle hast, weil du eben in dieses Weltbild nicht hineinpasst, ist logisch. Du musst dir aber klar machen - am Ende hast du nur ein Leben - und du möchtest doch das beste für dich daraus machen.
Deshalb - höre auf, dich vor dir selbst zu schämen. Du bist immer noch du selbst. Du hast dir das nicht ausgesucht. Dass der eine oder andere von uns schwul ist, gehört halt zu der Tatsache dazu, dass wir alle Menschen sind.
Selbst wenn du in deiner Familie damit wenig Rückhalt haben wirst - glaube mir einfach wenn ich sage: In dieser Welt und vor allem in Deutschland ist viel mehr möglich, als du dir mit 16 vorstellen kannst. Wenn mir mit 16 einer gesagt hätte, dass ich mit 30 mit einem Mann verheiratet bin, mit ihm zusammenlebe, dass die Menschen um mich herum alle wissen, dass ich schwul bin und es niemand stört - das hätte ich für Wunschdenken gehalten, aber es nicht geglaubt. Ich glaube, es ist einfach wichtig im Leben, sich mit den Menschen zu umgeben, die einem gut tun. Und es kommt vor, dass die eigene Familie nicht dazu gehört. Das ist dann traurig - aber es gibt 1000e von tollen Menschen da draußen, die dein Leben bereichern können und deren Leben du bereichern wirst, da bin ich mir sicher. Ich habe viele Freunde, die mir zum Beispiel viel wertvoller sind, als entfernte Verwandte - Freunde sind die Familie, die man sich aussucht.
Sei dir einfach selbst treu, arbeite darauf hin, dass du irgendwann selbst bestimmen kannst, in welchen Kreisen du verkehrst, und wenn du Angst vor der Reaktion deiner Familie hast, dann lass sie doch zumindest so lange im Dunkeln, bis du auf eigenen Füßen stehst. Und was die Religion angeht. Naja - das musst du selbst wissen. Ich bin kein großer Fan davon, dass einige wenige Menschen der Meinung sind, Gottes/Allahs Wille genau zu kennen, obwohl es im krassen Gegensatz zu Gottes Werk - der Schöpfung - steht. Wie kann eine Religion es verbieten, Mensch zu sein und zu lieben, wenn ganz offensichtlich Homosexualität zu unserer Spezies dazu gehört. Wie kann ein Schöpfer uns mit Verstand segnen, und dann verlangen, ihn auszuschalten und ohne zu Hinterfragen einfach zu glauben. Der Vogel hat auch Flügel und käme gar nicht auf die Idee, sie nicht zu nutzen, nur weil es ihm einer sagt. Wir haben unseren Verstand. Nutzen wir ihn. Ich sage nicht, dass man nicht glauben kann - ich finde nur, man sollte nie blind folgen. Und am Ende ist es ja wohl unser Schöpfer der über uns urteilt - nicht die anderen Menschen - also sollten die sich das auch nicht anmaßen.