Hallo.
Im ICD (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist TranssexualitĂ€t aufgefĂŒhrt. Im ICD-10 findet man die Diagnose TranssexualitĂ€t unter der Kennung F64.0 als Störung der GeschlechtsidentitĂ€t, im neueren ICD-11 unter HA60 als Geschlechtsinkongruenz (im gröĂeren Feld "Conditions related to sexual health"). Daraus lassen sich X Dinge ableiten:
- TranssexualitĂ€t steht in einem Katalog, der als Diagnosemittel fĂŒr Krankheiten und Gesundheitsprobleme verwendet wird.
- Die Ănderung der Bezeichnung soll den negativ konnotierten Begriff 'Störung' umgehen und das Problem korrekter und weniger wertend erfassen.
- Beim ICD handelt es sich um einen Diagnosekatalog, der vor allem der Vereinheitlichung von Krankheiten dient, damit Ărzte und Krankenkassen beide wissen, wovon die Rede ist. Er ist kein philosophisches Werk, dass versucht den Begriff der Krankheit zu definieren.
Warum ist die Benennung im ICD wichtig? TranssexualitĂ€t ist, nach meiner Beurteilung und der Beurteilung aller Ărzte, mit denen ich darĂŒber gesprochen habe, als Krankheit/Gesundheitsproblem aufgefĂŒhrt, weil die Bestandteile der Diagnose (also die Charakteristika/Begleiterscheinungen) einen negativen Effekt auf den Betroffenen haben, der sowohl körperlich als auch seelisch spĂŒrbar ist. TranssexualitĂ€t ist also aufgefĂŒhrt, weil es die Person belastet. Die Auflistung im ICD ist wichtig, damit man sofort weiĂ, wovon geredet wird, unnötig viele synonyme oder gar homonyme Begriffe vermieden werden und damit transsexuelle Personen bei Krankenkassen einen prinzipiellen Anspruch auf Ăbernahme der Behandlungskosten haben.
Zur Frage: Ist Transgender sein normal oder eine Krankheit?
Normal: Das Wort 'normal' hat laut dem Duden zwei Bedeutungen: 1. der Norm entsprechend und 2. keine Abweichungen in (geistiger) Entwicklung. Die zweite Bedeutung ist veraltet, schwingt jedoch noch hÀufig im Gebrauch des Wortes, was diesem einen wertenden Beiklang verleiht. Entsprechend der ersten Bedeutung ist TranssexualitÀt nicht normal, da es nicht der 'Norm', also der Mehrheit, entspricht. Entsprechend der zweiten Bedeutung ist TranssexualitÀt normal, da es keine Abweichungen in der Entwicklung beinhaltet.
NatĂŒrlich gibt es noch weitere mögliche Bedeutungen von 'normal' wie z.B. 'in der Gesellschaft akzeptiert' oder 'mit den gesellschaftlichen Werten (wie freie Selbstentfaltung) vereinbar'. In dem Sinne ist TranssexualitĂ€t normal.
Fazit: Ob TranssexualitÀt normal ist, hÀngt von der Definition des Wortes 'normal' ab.
Krankheit: Auch hier ist wichtig, wie 'Krankheit' definiert wird. Laut Duden gibt es hier zwei Bedeutungen: 1. körperliche, geistige oder psychische Störungen, die an bestimmten Symptomen erkennbar ist und 2. Zeit des Krankseins. Hier findet sich wieder das hĂ€ufig negativ konnotierte Wort 'Störung'. Wenn man jedoch einfach davon ausgeht, dass Krankheit ein Ding ist, das körperlich, geistig oder psychisch und anhand gewisser Symptome erkennbar ist, fĂ€llt eine Beurteilung leichter: In dem Sinne ist TranssexualitĂ€t eine Krankheit, die man an geistigen oder körperlichen Symptomen erkennen kann. Das bedeutet nicht, dass Transsexuelle gestört, geistig labil oder Ă€hnliches sind, sondern dass der Körper (körperlich) nicht mit dem Geist (geistig) ĂŒbereinstimmt. Wichtig ist hierbei der ICD, der die Kriterien/Symptome fĂŒr TranssexualitĂ€t vorgibt.
Fazit: Per Definition des Wortes Krankheit ist TranssexualitÀt eine Krankheit, da ein körperliches/geistiges Leides bei der Person vorliegt.
Ich höre schon fast die Aufschreie einiger, möchte jedoch darauf hinweisen, dass 'Krankheit' hĂ€ufig mit der zweiten Bedeutung von 'normal' gleichgesetzt wird, also mit einer Abweichung in der geistigen Entwicklung. Diese Vermischung von Begriffen ist genau der Grund, warum es die Benennung im ICD so wichtig ist: Um einen gemeinsamen Bedeutungsrahmen zu schaffen. Ansonsten kann es passieren, dass Transsexuelle sich nicht krankhaft geben oder fĂŒr andere nicht sichtbar leiden oder sich selbst nicht als krank definieren und somit die (enormen) Kosten medizinischer MaĂnahmen nicht erstattet kriegen.
AbschlieĂend möchte ich sagen, dass in der Gesellschaft die genauen Bedeutungen von 'normal' und 'Krankheit' meist nicht allzu weit verbreitet sind. Daher sollte man vorsichtig sein, wenn man ohne vorausgehende Definitionen diese Begriffe verwendet. AuĂerdem habe ich hier nur die diagnostischen Aspekte angesprochen. Dazu kommen noch gesellschaftliche, rechtliche und ggf. religiöse Richtlinien und die Vorstellung, dass 'die Natur' oder 'die Biologie' einen Masterplan hat und alles eine Bedeutung und einen Sinn haben muss. Ich kann darĂŒber nicht urteilen, da ich nicht davon ausgehe, dass irgendein menschliches Wesen jemals alle Menschen zur GĂ€nze kennen wird und ein dermaĂen weitreichendes biologische, ökologisches und historisches Wissen besitzen wird, um sagen zu können: "Umstand A war nicht 'gewollt' und Umstand B nicht 'vorgesehen'.
Was ich dir mit auf den Weg geben möchte: Sprich doch deine Lehrerin auf den ICD an und frage, ob du dazu ein Referat halten kannst, in dem du auf vage Begriffsdefinitionen eingehst. Nebenbei gesagt (was du aber aus Höflichkeit und Respekt deiner Lehrerin gegenĂŒber unerwĂ€hnt lassen solltest) halte ich es fĂŒr unwahrscheinlich, dass deine Lehrerin so viele Transsexuelle kennt und weiĂ, wie diese zum Ergebnis ihrer Geschlechtsangleichung stehen, dass sie mit Gewissheit sagen kann, dass keiner diesen Schritt bereut. Ich kenne Transsexuelle persönlich, die absolut glĂŒcklich mit dem Ergebnis sind, und solche, die durch Komplikationen viele Probleme hatten und sich wegen verpfuschter Ergebnisse das Leben nehmen wollten.
In jedem Fall solltest du aber mit ihr reden, wenn du dich ungerecht behandelt fĂŒhlst, wenn sie sich, wie du beschreibst, als intolerant dargestellt hat. DafĂŒr eignet sich ein GesprĂ€ch unter vier Augen am besten.
Alle Informationen zum ICD habe ich ĂŒbrigens aus dem Internet, dem Bösen.
Viel Erfolg im Fach Biologie und im GesprÀch mit deiner Lehrerin.
GruĂ.