Eigentlich nicht wirklich, aber man muss ja auch ein bisschen die politischen Realitäten in Deutschland betrachten.
Deutschland ist im Wesentlichen ein bürgerlich geprägtes Land, die Union ist die "strukturelle Mehrheitspartei" und muss mehr dafür tun, eine Wahl zu verlieren, denn eine Wahl zu gewinnen.
Die SPD-Kandidaten, die in Deutschland Kanzler geworden sind, waren Realpolitiker und definitiv nicht vom linken Flügel der Sozialdemokratie. Willy Brandt ist hier etwas gesondert zu betrachten, aber ein SPD-Linker war er als Mitinitiator des Godesberger Programms auch nicht. Gerade über Helmut Schmidt wurde oft gesagt, dass er in der falschen Partei sei und dass die Wähler ihn als Person geschätzt haben, die SPD aber deshalb nicht zwingend gewählt haben. Schmidt hat als Kanzlerkandidat keine Wahl gewonnen, er bekam 1976 und 1980 jeweils rund 42 Prozent und verlor damit gegen Helmut Kohl (1976) und Franz Josef Strauß (1980). Da die FDP von vornherein mit der Aussage in den Wahlkampf gegangen war, mit der SPD koalieren zu wollen, ist es absolut unkritisch, dass Schmidt nach beiden Wahlen zum Kanzler gewählt wurde. Es zeigt aber auch, dass ein signifikanter Anteil der Leute, die Schmidt schätzten, auf die FDP ausgewichen sind und nicht die SPD wählen wollten. Nicht mal im Jahr 1980 als Franz Josef Strauß der Gegenkandidat der Union war.
Schmidt scheiterte 1982 nicht an Helmut Kohl, sondern an seiner Partei. Schmidt vertrat mit dem Nato-Doppelbeschluss einen militärfreundlichen Kurs, der zwar bei Union und FDP Anklang fand, in der eigenen Partei aber nicht (kommt einem irgendwie bekannt vor, gell?).
Was will ich damit sagen? Schmidt war 1982 nicht mehr regierungsfähig, weil er in der SPD nicht mehr mehrheitsfähig war. Ein Weiterregieren war nach 1982 nicht mehr denkbar, deshalb ist es müßig, darüber zu spekulieren, denn Schmidt wäre eine Lame Duck gewesen und wäre die FDP 1982 nicht zur Union gewechselt, hätte die Union bei der nächsten Wahl 1984 die absolute Mehrheit geholt, egal wen sie aufgestellt hätte.
Hans-Jochen Vogel wäre sicherlich ein guter Kanzler geworden, war aber aufgrund des offenen Nachrüstungskonflikts in der SPD auch gehemmt. Auf YouTube gibt es ein Video einer Vorwahldiskussion zur Bundestagswahl 1983, indem es Vogel nicht wagt, zum Nato-Doppelbeschluss eindeutig Stellung zu beziehen, weil dieser in der SPD so umstritten war. Auch er wäre eine lame duck gewesen, insbesondere wenn er mit den Grünen hätte regieren müssen, was damals seine einzige Option war.
Rau steht für eine vollkommen gescheiterte Industriepolitik in NRW, die Getreu der sozialdemokratischen Fortschrittskritik viel zu lange an den alten Strukturen aus Kohle und Stahl festhielt. Ihn hätte ich mir nicht als Kanzler vorstellen wollen.
Lafontaine war bzw. ist ein (SPD-) Linker und zu links um mehrheitsfähig in Deutschland zu sein. Man muss ihm anrechnen, dass er im Wahlkampf 1990 ehrlich benannte, dass die Einheit teuer werden würde, dennoch hätte er wohl starke Akzente gesetzt, um Deutschland aus der transatlantischen Westbindung heraus- und richtung Russland zu führen. Das war damals falsch und ist es heute umso mehr.
Darüber hinaus möchte ich eine Lanze für den viel gescholtenen Helmut Kohl brechen. Kohl war zu lange Kanzler, keine Frage, aber er war so ziemlich der Einzige, der im Herbst 1989 die Chance zur deutschen Einheit erkannte und sie auch umsetzte. Wenn heute gesagt wird, ihm sei die EInheit "in den Schoß gefallen", ist das wirklich Blödsinn. Er hat das schmale Zeitfenster erkannt, um die DDR aus dem Warschauer Pakt freizukaufen und hat sie genutzt. Weder die Franzosen, noch die Briten, noch die Russen waren dafür und wer sich Äußerungen der damals führenden SPD-Politiker Lafontaine, Engholm oder auch Brandt und Bahr anhört, der merkt, dass Kohl hier eine wirklich niemand war, der sich ins gemachte Nest setzte.