Hallo Seraherz,
in Deutschen Freizeitparks sieht man uns Rollifahrer (auch wenn sie laufen können) als etwas das nicht auf sich selber aufpassen kann und deshalb von anderen bevormundet und beschützt werden muß. Deshalb haben wir Rollifahrer in Deutschen Freizeitparks weder Zugang zu den Fahrgeschäften noch zu den Gebäuden, in denen die Eingänge der Fahrgeschäfte sind. Noch nicht einmal der Zutritt zu ganz einfachen Fahrgeschäften ist möglich. Wenn wir Rollifahrer in Deutsche Freizeitparks gehen, müssen wir immer draußen vor der Türe stehen bleiben und uns langweilen, während sich unsere Freunde und Familien mit den Fahrgeschäften vergnügen. Weil wir für den Besuch eines Freizeitparks keine Leistungen erwarten können, haben wir Rollifahrer überall freien Eintritt. Ein schwacher trost.
Anders ist das im europäischen Ausland und in den USA. Das Disneyland Paris z.B. wurde laut eines TÜV Berichts so angelegt, daß Rollifahrer sich überall ohne Begleitperson frei bewegen können und alle Fahrgeschäfte benutzen, so lange sie in der Lage sind sich ohne fremde Hilfe um zu setzten. In den Niederlanden ist das ähnlich. Die Niederländischen Freizeitparks sind zwar nicht ganz so barrierefrei wie dieser amerikanische Freizeitpark in Paris, aber wer sich ohne Hilfe in ein Fahrgeschäft setzten und es wieder verlassen kann, darf mitfahren. Man sollte hierbei aber nicht übermütig werden und immer daran denken, daß eine fehlende Rumpfstabilität den Fliehkräften in der Achterbahn wenig entgegen setzten kann. Wenn wie die Verantwortung selber dafür übernehmen dürfen ob wir heiße Kaffeebecher selber durch die Gegend tragen können obwohl auf jedem Deckel Vorsicht Verbrühungsgefahr steht, sollten wir auch in Freizeitparks die Verantwortung für unser Handlen selber übernehmen dürfen. Fußgänger dürfen dies schließlich auch.
Wir sollten versuchen dies zu ändern. Unserer Gesellschaft ist nicht bewußt das viele Rollifahrer weder hilfsbedürftig noch pflegebedürftig sind. Deshalb müssen wir es ihnen zeigen. So etwas wie die Sendung Push Girls gab es bisher im Deutschen Fernsehen nicht. Bisher wurde immer nur über Rollifahrer berichtet die sich über ihre Situation beschweren oder Reporter, die sich ohne Fahrpraxis und Selbständigkeitstraining in einen Standardrollstuhl setzten, um der Welt zu zeigen auf wieviele Hindernisse ein Rollifahrer im Alltag trifft. Dabei vergaßen sie aber, daß es für einen Rollifahrer normal ist im Rollstuhl zu sitzen und das ein Rollifahrer mit Fahrpraxis und Alltagspraxis diese Hindernisse überhaupt nichts mehr aus machen.
Die Deutsche Bahn sah das früher übrigens genauso wie die Freizeitparks. Rollifahrer die ohne Hilfe des Mobilitätsservice alleine Zug fahren können, konnte sich die Deutschen Bahn vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen. Rollifahrer die unangemeldet Zug fuhren wurde vom Zugpersonal gesagt, sie dürfen nicht alleine Zu fahren weil es zu gefährlich für sie sei und das ein ganz alleine Rollifahrer über die Zugrampe fährt, konnte man auch nicht verantworten. Wenn man auf einer Fahrt dreimal umsteigen mußte und nur am Zielbahnhof Hilfe brauchte um vom Bahnsteig runter zu kommen, mußte ein Rollifahrer sich auf der ganzen Zugfahrt vom Personal der Mobilitätszentrale begleiten lassen, auch wenn die ganze Fahrt barrierefrei war. Seit diesem Jahr ist das anders. Seit diesem Jahr dürfen Rollifahrer ganz offiziell für sich selbst entscheiden wann es für sie ohne Hilfe zu gefährlich wird und sie sich vom DB-Personal auf ihrer Fahrt begleiten lassen oder nicht. Außerdem kann man jetzt auch eine Fahrt mit mehreren Umsteigebahnhöfen anmelden und wenn man es wünscht, nur an einem einzigen Bahnhof Hilfe vom Mobilitätsservice bekommen. Zusätzlich ist es seit diesem Jahr möglich eine Ein- und Ausstiegshilfe vom Zugpersonale an Bahnhöfen zu bekommen, die zwar barrierefrei sind, aber kein Mobilitätsservicepersonal haben.
Du siehst, Es macht durchaus Sinn den alten Vorstellungen und Regeln zu wiedersprechen. Wenn wir das oft genug machen, können wir das Denken verändern. Nicht immer sofort und oft nur in kleinen Schritten. Aber wenn wir Rollifahrer alle Zusammen zu solchen Dingen immer wieder unsere Meinung sagen, können wir alle Denkstrukturen verändern. ;-)
Der Rollitrekker