Die von dir verwandten Wörter "praktisch", "nutzen", "Realität" meinst du wahrscheinlich in dem Sinne, dass du den Bau irgendeiner wichtigen Maschine oder eine unmittelbare Wirkung auf ein Raumfahrtprogramm o.ä. als Beispiel hören möchtest. Die Realität, in der Gruppen von Nutzen sind, ist aber eine ganz andere:
Die Gruppe ist nämlich ein ordnungschaffendes Instrument im Bereich verschiedenster moderner mathematischer Theorien. Deren Verständnis hängt wesentlich davon ab zu erkennen, welche Elemente in ihren Strukturen dieselbe Rolle spielen; d.h. auf welche Weisen es möglich ist, die Elemente so zu permutieren, dass die Strukturgesetze sämtlich mit den permutierten Elementen anstelle der ursprünglichen erfüllt bleiben. Solche Permutationen nennt man die Automorphismen der Struktur. Mathematische Theorien untersuchen (seit mindestens einem Jahrhundert) abstrakte Strukturen, und als eine Devise moderner Mathematik gilt: "Willst du eine Struktur verstehen, so bestimme ihre Automorphismen!"
Nun erst kann eine ehrliche Antwort auf deine Frage gegeben werden: Denn Automorphismen einer Struktur, die man hintereinander ausführt, ergeben jeweils stets erneut einen Automorphismus. Gar nicht schwierig ist die Einsicht, dass die Menge aller Automorphismen einer beliebigen Struktur bezüglich der Hintereinanderausführung (als Verknüpfung aufgefasst) selbst eine Struktur darstellt - und zwar stets eine Gruppe, ganz unabhängig davon, von welcher Art die anfangs zur Untersuchung vorliegende Struktur gewesen sein mag.
Unter allen mathematischen Strukturen (seien sie geometrischer, analytischer oder algebraischer Art) spielt daher die der Gruppe (eine algebraische Struktur) die Sonderrolle als eines universellen Instruments zum Studium beliebiger anderer Strukturen. Dies ist - auch historisch - einer der Hauptgründe für das enorme Interesse, das der Gruppenbegriff in der Mathematik seit langem gewonnen hat. Die Gruppentheorie handelt insofern von Strukturen zur Untersuchung beliebiger anderer Strukturen und ist daher als eine "Metatheorie" im Bereich mathematischer Theorien auffassbar.
Schon die Nützlichkeit mathematischer Theorien überhaupt in dem von dir offenbar gemeinten Sinn zeigt sich erst durch ihre Konkretisierung in speziell gegebenen Zusammenhängen. Mathematiker erweisen ihre Qualitäten in der von dir gemeinten "Realität", wenn sie in der Lage sind, den theoretischen Kern hinter ganz konkreten Fragen etwa von Technikern, Ingenieuren, Versicherern, Banken zu erkennen; wenn sie durchschauen, welches Stück welcher Theorie bei der gestellten, für den jeweiligen Betrieb wichtigen Frage zuständig ist. Gruppen spielen in diesem Sinn selten eine Rolle. Vielmehr zeigt sich deren Nützlichkeit "ein Stockwerk höher", nämlich durch ihren universellen Einsatz zum Verständnis jener Theorien selbst.
Die Frage nach der Wichtigkeit des Gruppenbegriffs lässt sich also nicht "von der Hand in den Mund" beantworten, aber seine Bedeutung ist unbestreitbar. Dass die Theorie der Gruppen sich nun selbst wieder zu einer komplexen Strukturtheorie tiefster Raffinesse entwickelt hat, schlägt ein weitergehendes Kapitel auf, das in seinem Umfang über das ursprüngliche Interesse am Gruppenbegriff (s.o.) weit hinausgeht.
Du weißt sicher, wie man quadratische Gleichungen löst. Weißt du auch, dass die Suche nach einer entsprechenden Lösung für Gleichungen dritten, vierten, fünften Grades (usw.) einer der frustrierendsten und zugleich ergiebigsten Antriebe in der Geschichte der Mathematik war? Die vollständige Lösung des Problems wurde ca. 1830 gefunden - indem man (in heutiger Sprache) die Automorphismengruppen von Körpern (das sind spezielle algebraische Strukturen) studierte. Das war zugleich die Geburt des Gruppenbegriffs und das erste Beispiel für seine allgemeine Bedeutung (s.o.). In jedem vernünftigen Mathematik-Studium lernt man das - aber keineswegs gleich am Anfang!
Das alles ahnt man nicht, wenn man zuerst dem Gruppenbegriff begegnet. Daher ist auch verständlich, dass man beim ersten Kennenlernen glaubt, es mit einem reinen Glasperlenspiel zu tun zu haben. Das ist aber ganz und gar nicht so. Meinst du, sonst würden Generationen von Mathematikern seit fast 200 Jahren ihr Letztes geben, um Fragen zum Gruppenbegriff zu klären? So ist das nämlich...