Ich war 18, das ist generationsbedingt, ich bin jetzt 62. (Es wird übrigens immer schöner.)
Angst, schwanger zu werden - da gehe ich die Wände hoch. Das ist doch nur unsere kalte, kinderfeindliche Gesellschaft! Ich war mal in Gabun, habe dort bei einem alten Meister Djembé studiert. Es war in einem Dorf. Auf einmal hörte ich wildes, jubelndes Frauengeschrei. Die wunderschönen buntgekleideten Frauen, junge und Alte, umringten ein etwa dreizehnjähriges Mädchen und führten es mit rituellen Tänzen und Gesängen ins Menstruationshaus (das ist eine kuppelförmige, geflochte, große Hütte, zu der Männern der Zutritt streng verboten ist.
Ich fragte Meister Ngbozo, was denn das gewesen sei. Er lächelte, seine Onyx-Augen leuchteten mit seinem krausen weißen Haar um die Wette. "Das ist Tradition", sagte er in seinem brüchigen Englisch, "das Mädchen war zum ersten Mal mit einem Jungen zusammen. Sie erzählt es danach sofort ihrer Großmutter, die ruft die Frauen des Dorfes zusammen, und dann gibt es ein Jubelfest."
"Aber - aber das Mädchen kann doch höchstens - ich meine, so jung -"
"Alle hoffen, daß sie ein Kind bekommt. Jedes Kind ist ein Kind des Dorfes. Sieh dich um, zeig mir ein unglückliches Kind! Solange die Mütter stillen, haben sie ihre Kleinen bei sich, am Körper. Sie arbeiten im Feld oder da vorn, bei der Steinmulde, da dreschen sie. Wenn die Kinder gehen können, gehen sie, wohin sie wollen. Sie können überall schlafen, für Kinder ist überall Platz und zu Essen. Die Mütter wissen, wo ihre Kinder sind, die Frauen erzählen es sich am Brunnen, beim Färben oder beim Waschen. Das Mädchen kann, wenn das Kind nicht mehr von ihr trinkt, auch fortgehen, nach Kairo, wo die Wilden sind. Da kann sie etwas Vernünftiges lernen - Violine oder Flöte spielen. Sie kann zu dir nach Europa kommen, studieren, dann kommt sie zurück, und ihr Kind wird ihr in die Arme rennen. Ihr macht immer so ein Theater um diese Dinge. Nun aber weiter: Du schlägst drei, die Zwei am Rand, dann fünf, die Vier am Rand, dann elf. Der erste Schlag jeder Gruppe genau in der Mitte, der letzte ebenfalls, aber beim letzten behältst du die Finger auf dem Fell."
Ja, unsere "zivilisierte" Gesellschaft! Das "Entwicklungsland" sind WIR! Warum können unsere Kinder nicht einfach fröhlich und neugierig - und natürlich auch angstvoll, das gehört doch dazu - das Wunder der Liebe entdecken und erforschen? Sind wir wirklich nicht weiter als die Barbaren im 19. Jahrhundert, diese bigotte, abgefeimte, wohlanständige Bürgergesellschaft, die ledige werdende Mütter stigmatisierte, mit dem Fluch der "Sünde" belegten?
Ich weiß, das kann kein hilfreicher Rat sein. Du lebst hier, in dieser kalten, kinderfeindlichen Welt. Du mußt mit Gummi oder Chemie verhindern, daß du Mutter wirst. Dein Dorf macht kein Fest, wenn du schwanger wirst. Und mir, der ich Kinder gern habe und vieles von ihnen lerne, dreht sich Herz und Magen um.