Ich glaube, bleibende Relevanz bzw. Interesse ist ein gutes Kriterium, wenn auch bei weitem nicht das einzige. Ich selbst bin eher in der Musik als in der bildenden Kunst unterwegs, daher ein Beispiel aus meinem Fachbereich:
Mozart war zu seinen Lebzeiten berühmt, aber er war keineswegs durchgehend erfolgreich. Er lebte überhaupt in einer Zeit, in der "das Alte" nicht unbedingt erhalten wurde. Ein Opernhaus zum Beispiel hat lieber eine neue Oper in Auftrag geben lassen als dieselbe noch einmal aufzuführen. Deswegen haben Mozart und seine Zeitgenossen auch so viele Opern, Sinfonien etc. komponiert: Für jeden neuen Anlass musste eine neue Komposition her. Die Vorstellung des "ewigen" Kunstwerks und des genialen Künstlers stammt aus dem 19. Jahrhundert, die gab es zu Mozarts Zeit noch nicht so wirklich. Aber ich schweife ab.
Dass Mozarts Werke "gut" sind, zeigt sich unter anderem daran, dass sie heute noch ständig aufgeführt werden. Obwohl Mozart eben nicht für die "Ewigkeit" komponiert hat, haben seine Werke die letzten ca. 250 Jahre problemlos und im Wesentlichen ununterbrochen überdauert. Nicht alle - manche Oper scheiterte an ihrem schlechten Libretto (Text), manche Sinfonie ist den Leuten dann doch etwas zu "kindlich", um regelmäßig aufgeführt zu werden usw. Aber offensichtlich haben Mozarts Werke im Allgemeinen zu Menschen aller Generationen seit damals "gesprochen". Jede Generation konnte irgendetwas darin finden, das sie aufführenswert gemacht hat.
Andere hingegen waren zu Lebzeiten berühmt und unfassbar erfolgreich - so wie Mozarts Zeitgenosse Vicente Martín y Soler. Der war mit seinen Opern in Wien oft deutlich erfolgreicher als Mozart. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob diese Opern gut sind oder nicht - Fakt ist, dass ich über den Namen Soler immer nur im Zusammenhang mit dem damaligen Wiener Opernleben und dem Namen Mozart gestolpert bin. Soles Musik hat also nicht bis heute überlebt (ich bin mir sicher, irgendwelche Liebhaber führen sie hin und wieder auf), zumindest nicht einmal ansatzweise vergleichbar mit Mozart. Gleiches gilt auch für Salieri, der als angeblicher Konkurrent Mozarts berühmt ist. Salieri war ein durchaus begabter Komponist und seine Werke sind hörenswert, aber werden natürlich trotzdem nicht ansatzweise so häufig gespielt wie die Mozarts.
Sicher ist auch der Geniekult des 19. Jahrhunderts daran schuld, dass das "Wunderkind" Mozart unvergessen blieb. Trotzdem bleibt mein Argument bestehen: Mozarts Werk hat überdauert bis heute.
Dass die Rezeption jedoch nicht das alleinige Kriterium sein kann, zeigen andere Beispiele. Bachs Musik zum Beispiel wurde im frühen 19. Jahrhundert nur von einem kleinen Liebhaberkreis gepflegt, bevor die Berliner Singakademie um Carl Friedrich Zelter und Felix Mendelssohn Bartholdy eine "Bach-Rennaissance" einleitete. Ja, das Werk bachs ist danach nie wieder in Vergessenheit geraten, aber Bach ist nur einer von vielen Komponisten, die (zwischenzeitlich) zu Unrecht in der Geschichte verschollen sind. Das liegt daran, dass manche Komponisten zu Lebzeiten nicht berühmt genug wurden - und an der bereits erwähnten Tatsache, dass vor dem 19. Jahrhundert Kompositionen kaum erhaltenswert schienen.
Mendelssohn selbst ist ein anderes Beispiel: Dessen Rezeptionsgeschichte ist durch Antisemitismus nachhaltig eingefärbt. Die Behauptung, Mendelssohns Werken fehle es an Tiefe, stammt tatsächlich noch aus seinen eigenen Lebzeiten - und hat sich bis heute gehalten. Ob etwas daran ist und wie viel, ist sehr schwer zu sagen angesichts der oft antisemitischen Absichten dieser herablassenden Kommentare. Wie definiert man musikalisch bitte "Tiefe"? (Man könnte an dieser Stelle auch auf das nationalistische und sexistische Element dieser beschreibungen hinweisen: Im 19. Jahrhundert und davon ausgehend auch bei den Nazis wurde "Tiefe" als typisch deutshc und typisch männlich stilisiert, "Innigkeit" hingegen als typisch weiblich und typisch französisch. Mendelssohn als "Kosmopolit" jüdischer Abstammung konnte trotz seiner deutschen Staatsbürgerschaft kein Idealbild eines deutsch-nationalen Künstlers sein, er war viel zu "international eingefärbt".) Vielleicht ist auch einfach nur Mendelssohns glückliches Leben Schuld an dieser Kritik - schließlich passt das einfach nicht in das Bild des tragischen romantischen Künstlers. Fakt ist, dass sich auch viele von Mendelssohns Werken trotz allem im Kanon und Konzertrepertoire erhalten haben - also völlig unabhängig davon, ob es ihnen an Tiefe mangelt oder nicht, hören die Menschen auch heute noch anscheinend gern Mendelssohn.
Das "gewisse Etwas", das manche Kunstwerke besitzen und andere nicht, ist schwer zu greifen und auch abhängig vom Künstler, der Kunstform und dem historischen Kontext. Bei Bach ist es wahrscheinlich die elegante Stimmführung und komplexe kontrapunktische Kompositionsweise bei gleichzeitiger Ausdrucksstärke. Bei Mozart sind es vielleicht die perfekte Eleganz, die hervorragende Instrumentierung, die gesanglichen Melodien und das so einfach klingende Resultat. Bei Mendelssohn ist es noch schwieriger zu greifen. Vielleicht ist es die fröhliche Grundstimmung, das Mystische, der eigene Charakter.
Es gibt auch Kunstwerke, die nur kurzzeitig relevant sind. Kunstwerke, die zu einer Diskussion anregen, die bewusst anecken usw. - die sich aber nicht lange halten, weil sie ihre Relevanz verlieren (damit sei auf keinen Fall gesagt, dass politische oder aktuelle Kunstwerke zwangsläufig an Bedeutung verlieren - als Gegenbeispiel siehe die Rock- und Popmusik seit den 60ern).
Gerade in Bezug auf Filme und Serien, aber nicht ausschließlich, verwenden wir (ausgehend vom Englischen) manchmal den Ausdruck, etwas sei "nicht gut gealtert" oder eben "gut gealtert". Das finde ich höchst interessant - und es passt gut zu der Frage. Bei vielen Dingen wissen wir im Moment der Veröffentlichung noch gar nicht, ob das nur ein kurzzeitiger Hype ist (wie bei Soler) oder ob wir da ein bleibenden kunstwerk vor uns haben (wie bei Mozart). Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich wage zu behaupten, dass zum Beispiel die Herr-der-Ringe-Filme weitaus länger relevant sein werden als die Avengers-Filme. Nicht weil die Avengers-Filme zwangsläufig schlecht sind, sondern weil der Herr der Ringe im Großen und ganzen ziemlich zeitlos ist - womit wir bei dem Kriterium wären, das ich die ganze Zeit zu beschreiben versuche. Gute Kunst ist zeitlos - das schließt Aktualität aber nicht aus. Siehe Star Trek. Rassismus-Kritik? In den 60ern hochaktuell. Und trotzdem zeitlos. Selbst wenn wir einmal in einer Welt leben sollten, in der es tatsächlich keinen Rassismus mehr gibt, wird es vergleichbare andere Probleme geben, die diese Star-Trek-Folge wiederum relevant machen könnten. Oder wir betrachten sie aus einer rein historischen Perspektive. Damit ist nicht gesagt, dass Star Trek für immer bleibt - es ist nur ein Beispiel.
Entschuldige den halben Aufsatz, den ich hier geschrieben habe - die Frage ist einfach wahnsinnig spannend.
TL;DR: Gute Kunst ist zeitlos, was aber einen aktuellen Bezug oder Gesellschaftskritik nicht ausschließt. Gute Kunst spricht Menschen nicht nur in diesem Moment an, sondern zukünftige Generationen, die in einer ganzanderen Welt leben, werden immer noch etwas an ihr interessant und sehenswert finden - ganz gleich ob das "gewisse Etwas" handwerkliche Perfektion ist, gesellschaftliche Relevanz, spektakuläre Kreativität oder was auch immer.