Zitiert aus einer alten Klausur:
In einer Interaktion werden wechselseitig Erwartungen und Bedürfnisse kommuniziert. Dies geschieht bewusst und unbewusst durch verbale und non-verbale Mittel, also auf Grundlage dessen, was die Interaktionspartner sagen, was sie nicht sagen, wie sie es sagen ... was für Gesten sie benutzen, welche Kleidung sie tragen etc. Dabei werden sich gegenseitig „Identitäten“ zugeschrieben. Dieser Interpretationsprozess ist nicht statisch, sondern auch geprägt von Antizipation: „weiß er, dass ich weiß, dass ich will, dass er mich so sieht, weil ich ihn so verstehe?“
Dadurch entsteht eine Art Handel, der „Handel um Identität“. Es gibt dabei zwei verschiedene Identitäten:
Die personale Identität ist die Kombination von Eigenschaften (biographisch und aktuell), die nur auf ein Individuum zutreffen. Im Sinne der personalen Identität ist man also „wie kein anderer“.
Die soziale Identität hingegen orientiert sich an den Erwartungen an eine gewisse Position (Position = Stellung in der Gesellschaft). Von Individuen in Positionen (Dieb, Schaffner, Schüler ...) wird erwartet, dass sie sich verhalten „wie alle andern“ in dieser Position auch.
Die Balance zwischen diesen Beiden ist die Ich-Identität; also z.B. sowohl den Erwartungen Anderer zu entsprechen als auch seine Bedürfnisse in gewissem Maße durchzusetzen. Die Ich-Identität ist die Identität, die ein Individuum annimmt bzw. diejenige, die bei einem Identitätshandel herauskommt. Sie muss demnach nicht ausgeglichen sein.
Nicht ausgeglichen sind aber auch die Bedingungen, unter denen sich Individuen treffen. Ein „herrschaftsfreier Diskus“, bei dem alle Interaktionspartner mit einem Mindestmaß an Befriedigung aus der Interaktion herausgehen, ist also in der Realität selten bis nie gegeben. Herrschaftsfreiheit kann jedoch angestrebt werden, indem sich der Interaktionsprozess bewusst gemacht und eigene und beteiligte Rollen (Rolle = Erwartungen an eine Position) reflektiert werden.
Im Handel um Identität kommen 4 Kompetenzen zum Tragen:
- Empathie: Wer empathisch ist, kann sich in Andere hineinversetzen, einfühlen. Kinder lernen Empathie von Sozialisationspartnern, die selber über Empathie verfügen.
- Ambiguitätstoleranz: Ambiguität bedeutet Widerspruch, Zweideutigkeit. Ambiguitätstolerant ist man also, wenn man den Widerspruch zwischen den Erwartungen anderer und den eigenen Bedürfnissen aushält, ohne die Interaktion (real oder im eigenen Denken) abzubrechen.
- Rollendistanz: Diese Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, eine Rolle (s.o.) nicht 100% den Erwartungen entsprechend auszulegen. Die Rolle wird also zuerst angenommen, dann aber interpretiert, z.B. durch Ausweichen auf andere Realitätsebenen oder andere Rollen, durch Humor, Ironie, Augenzwinkern oder Überzeichnung der Rolle.
- Identitätsdarstellung: Die Fähigkeit, anderen seine Identität darzustellen, zu präsentieren. Dabei muss der Darstellende „mehr von sich geben“ als in der Situation nötig wäre, seine Interaktionspartner also mit „überschüssigen“ Informationen versorgen.