Der logisch perfekte Gottesbeweis Von Malte Henk
Die Suche nach einem Beleg für die Existenz Gottes begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Am weitesten geht im 11. Jahrhundert Anselm von Canterbury. Sein Ziel: den Glauben auf die Basis der Vernunft zu stellen. Erst Jahrhunderte später wird er widerlegt - von Immanuel Kant.
Sie sind immer da – wenn er meditiert, wenn er Andacht hält, nachts in der Einsamkeit der Klosterzelle. Zwei Riesen sind es, die sich gegenüberstehen, ineinander verhakt wie zum Kampf: der Glaube und die Vernunft.
REUTERS
Betender: "Wenn Gott Gott ist, dann ist Gott" Benediktinerabtei Le Bec, Normandie, 1078. Vielleicht ahnen die Brüder gar nicht, welche Gedanken ihren Prior quälen. Sie lieben ihren Anselm, gerade die Jüngeren, die er für das Miteinander im Kloster so begeistert. Aber jetzt kann ihr Vordenker nicht mehr schlafen. Isst nicht mehr richtig, trinkt nicht, leidet unter Halluzinationen. Weil er verzweifelt nach einem Weg sucht, die Lehren der Logik, von denen neuerdings in den Akademien so großes Aufheben gemacht wird, mit denen der Kirche zu vereinbaren.
Anselm glaubt. Das ist seine Gewissheit, und es ist die Gewissheit seiner Epoche: dass Gott ist. Aber sollte es nicht gerade deshalb jedem Gläubigen möglich sein, die Existenz eines ewigen und allmächtigen Wesens selbst zu begreifen – ohne alle Bibelstellen und Predigerworte, nur durch den Gebrauch des eigenen Verstandes? Mit einem Argument, so einfach und klar, dass es in sich selbst schon göttlich ist?
Irgendwann in diesen schlaflosen Nächten denkt Anselm das bis dahin Undenkbare: Er erfindet sich einen Ungläubigen.
Und grübelt nach, mit welchem Beweis er einen solchen Gottlosen zur Einsicht führen könnte. "In Anselm", schreibt der Existenzphilosoph Karl Jaspers knapp ein Jahrtausend später, "wird die abendländische Philosophie von Neuem geboren."
Der Mann, der den Platz der Vernunft im Denkkosmos des Mittelalters sichert, kämpft schon als Jugendlicher gegen die Bevormundung durch Autoritäten. Seine Eltern, Kleinadelige aus dem Burgund, planen für ihren Sohn wohl eine glanzvolle Kirchenkarriere als Bischof oder Domherr. Der aber hasst dieses Statusdenken: Er will Mönch werden. Der Vater verweigert es ihm.
GEFUNDEN IN... GEO Kompakt 09/2008 Glaube und Religion
Inhalt Heft bestellen www.geo.deDoch 1056, nach dem Tod der Mutter, hält Anselm nichts mehr in seiner Heimatstadt Aosta. Drei Jahre lang zieht er durch Frankreich, ohne genauen Plan. Soll er sich an einer der Domschulen einschreiben, diesen Vorläufern der Universitäten, seinem Wissensdrang nachgeben und die Rechte studieren sowie Rhetorik, Grammatik und Logik? Oder sich in ein Kloster zurückziehen und sein Leben Gott widmen?
Es ist ein Konflikt, typisch für diese Epoche der Widersprüche. In Europa steht der Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubenssystems infrage. Die Wirtschaft blüht, Städte werden gegründet, entwickeln sich zu Warenmärkten; diese erfordern kühle Berechnung. Und immer mehr Denker sind fasziniert vom rationalen Denken der antiken Philosophen.
Bei Anselm siegt die Frömmigkeit. 1060 nimmt er in Le Bec die Mönchskutte, drei Jahre später wird er zum Prior gewählt. Aber so sehr er sich in die Abtei zurückzieht – die Probleme seiner Zeit lassen ihm keine Ruhe. Im Kloster schrumpfen sie zusammen auf eine einzige Herausforderung: den logisch perfekten Gottesbeweis zu finden.
Anselm weiß: Schon die antiken Philosophen haben versucht, Gott rational zu "denken".
Bei Aristoteles, dem Begründer der Logik, gerät die Welt zu einer Art Billardspiel: Wie eine Kugel die nächste bewegt, so bewegt die Hand den Wanderstab, der Stab bewegt den Stein, der Stein bewegt das Tier ...
Irgendeine Instanz aber muss dieses Spiel des Lebens in Gang gesetzt haben – ein "unbewegter Beweger": Gott. (Später wird man dies den "kosmologischen Gottesbeweis" nennen.)
Andere antike Denker sehen die Schöpfung eher als eine Art Modellwunderland. Alles sei so zweckmäßig und zielgerichtet geordnet, dass es einen obersten "Baumeister" geben müsse. (Dies ist der "teleologische Gottesbeweis", von griech. télos = Ziel.)