Drogenprävention: Abschreckung versus Aufklärung - ein Ask Me Anything-Rückblick

gutefrage-Redaktion
10.6.2024

Im Themenspecial standen diesmal drei digitale Streetworker Rede und Antwort und sprachen über Drogenkonsum und Suchtprävention. Grund genug, um nochmal einen Blick auf ihre Antworten zu werfen und das Spannungsfeld zwischen Abschreckung und Aufklärung beim Thema Drogenprävention näher zu beleuchten.

Für unser Themenspecial konnten wir diesmal gleich drei unterschiedliche Organisationen gewinnen, die sich allerdings alle mit dem gleichen Thema beschäftigen. Drogen - beziehungsweise insbesondere Aufklärungsarbeit zu Drogen und somit Suchtprävention. Es handelte sich um Sandro von mudra Streetwork, Alena von mindzone und Peter von der Drogenhilfe Schwaben. Alle drei nehmen am “Digital Streetwork im Bereich Sucht”-Projekt - kurz Digistreet - teil. Ziel dieses Projekts ist es, online ein aufsuchendes und leicht zugängliches internetbasiertes Beratungs- und Unterstützungsangebot zu schaffen und so junge Konsumenten zu erreichen, die über analoge Hilfsangebote nicht zu erreichen sind. Mehr Informationen zum Digistreet-Projekt sind hier nachzulesen.

Der Schwerpunkt der Arbeit von mudra Streetwork, mindzone und der Drogenhilfe Schwaben liegt auf einer aufklärenden und akzeptierenden Beratung, die Konsumenten am Ende befähigen soll, problematische Konsummuster selbst zu erkennen, ohne Drogen und ihre Konsumenten grundsätzlich zu verteufeln.

Suchtprävention: Warum Aufklärung besser ist als Abschreckung

Lange Zeit war eine der beliebteren Strategien in Sachen Drogensuchtprävention die der Abschreckung. Viele werden sich noch an die seinerzeit im Internet recht virale "Faces of Meth"-Kampagne erinnern, über die in den USA Polizeifotos von drogenkriminellen Widerholungstätern veröffentlicht wurden, um mit Hilfe einer Zeitreihe von Bildern der gleichen Personen die schädliche Wirkung des Drogenkonsums anhand des offensichtlichen fortschreitenden körperlichen Verfalls zu demonstrieren, den man auf diesen Bildern zu sehen bekam. Die Kampagne selbst existiert noch heute. Und tatsächlich: Abschreckung wirkt. Doch sie wirkt eben nur teilweise und ist somit keine effektive Strategie im Kampf gegen Drogensuchterkrankungen und ihre Folgeschäden. Das liegt insbesondere an zwei Gründen..

Erstens nämlich daran, dass es immer Menschen geben wird, die sich nicht so einfach abschrecken lassen, sondern die selbst ihre Erfahrungen machen möchten. Diese merken dann recht schnell, dass die akuten Folgen des Drogenkonsums beileibe nicht so dramatisch sind, wie sie in Kampagnen wie "Faces of Meth" dargestellt werden. Ihnen fallen keine Zähne aus und sie fühlen sich auch nicht süchtig. Oftmals ist die Konsumerfahrung am Anfang sogar ziemlich schön. Man hat vielleicht einfach nur Spaß auf einem Rave und ist glücklich. Im Anschluss wird die Gefahr, die von Drogen ausgeht, dann grundsätzlich unterschätzt und der Abstieg in die Sucht beginnt.

Der zweite Grund ist ebenso bedeutsam und korreliert mit der Frage, was eigentlich eine Droge ausmacht. Ihr Legalitätsstatus? Kaum, denn die absolute Mehrheit aller Drogensuchterkrankungen in Deutschland betrifft die legale Droge Alkohol. Ihre Abgrenzbarkeit von Medikamenten? Auch nicht, denn die absolute Mehrheit aller Drogen wird auch in medizinischer Form eingesetzt. Ketamin wird als Antidepressive genutzt, Amphetamin zur Behandlung von ADHS, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und nicht zuletzt hat die weltweit größte Drogenkrise der letzten Jahrzehnte - nämlich die Opioid-Krise in den USA - ihren Ursprung nicht in illegalen Subtanzen, sondern in verschreibungspflichtigen Medikamenten, die den Menschen verschrieben wurden, bevor sie davon abhängig wurden. Das ist nicht überraschend, denn auch die große Mehrheit an Personen, bei denen abschreckende Kampagnen wie "Faces of Meth" den gewünschten Effekt erzielen, sind für diesen Weg in die Sucht anfällig - ja vielleicht sogar prädestiniert, da häufig eine tatsächlich Aufklärung zum Thema Drogen fehlte.

Die effektivste Form der Suchtprävention ist deshalb eine ehrliche Aufklärung. Drogen sollten nicht dämonisiert werden, aber jeder sollte klar für die Schattenseiten der unterschiedlichen Drogen sensibilisiert werden und auch dafür, was Sucht eigentlich bedeutet und wo sie beginnt. Genau diese Form der Aufklärungsarbeit betrieben Sandro, Alena und Peter bei uns im Themenspecial.

“Koffein ist ganz klar ein Droge. Zucker quasi auch”

So setzte die Aufklärung dann auch erstmal bei den Grundbegriffen an, was auf den ersten Blick banal wirken mag, es jedoch keineswegs ist. Wovon sprechen wir, wenn wir von Drogen sprechen? Wovon sprechen wir, wenn wir von Sucht sprechen? So machte Peter in einer Antwort auf die Frage, wie sich “Droge” eigentlich definiert, allzu deutlich, dass sich diese Trennung nicht am Legalitätsstatus einer Substanz orientieren kann.

Auch eine super Frage.

Ich würde es so definieren:

Eine Droge ist ein Stoff, der

  • süchtig machen kann
  • dem Körper in irgendeiner Form zugeführt wird (essen, trinken, rauchen, schnupfen, ...) und
  • im Körper/in der Wahrnehmung Veränderungen bewirkt

Daher würde ich sagen:

  • Koffein ist ganz klar eine Droge
  • Zucker im Grunde auch
  • Sex ist in dem Sinn keine Droge, kann aber natürlich auch abhängig machen, so wie alles, was einem irgendwie gut tut

Viele Grüße

Peter vom DigiStreet-Team der Drogenhilfe Schwaben

Während er hier noch relativ salopp schreibt, dass alles, was in irgendeiner Weise temporär positive Gefühle bereitet, suchtauslösend wirken kann, geht er in einer anderen Antwort näher auf den Suchtbegriff ein und nennt dort sechs Kriterien, der WHO, die im medizinischen Sinne eine Suchterkrankung anzeigen, wenn drei davon bei einer Person gegeben sind.

Tatsächlich gibt es da ganz klare Kriterien, wann man aus medizinischer Sicht von einer Sucht spricht:

  • starker Drang/Zwang zu konsumieren
  • wenig Kontrolle über den Konsum
  • Entzugserscheinungen
  • Toleranzentwicklung (ich brauche immer mehr davon, um die gleiche Wirkung zu erzielen)
  • Vernachlässigung anderer wichtiger Lebensbereiche
  • Weitermachen trotz negativer Folgen

Wenn während des letzten Jahres drei dieser Kriterien gleichzeitig erfüllt waren, spricht die WHO in ihrem Diagnose-Tool ICD von einer Abhängigkeit.

Übrigens kann man diese Kriterien ebenso gut bei nicht-stofflichen Süchten (Kaufsucht, Gaming, Sex, Medien, ...) anwenden.

Viele Grüße

Peter vom DigiStreet-Team der Drogenhilfe Schwaben

Zur Antwort

Kriterien, die gewiss zur Selbstreflexion einladen können - und zwar auch all jene, die noch keinen Kontakt mit illegalen Substanzen hatten. Denn gerade legale Drogen können insofern gefährlich sein, da sie gesellschaftliche akzeptiert sind und gefährliche Konsummuster in der Eigen- und Fremdbetrachtung häufig viel schwerer erkennbar sind. So wies auch Alena in einer Antwort auf eine Frage zur Gefährlichkeit legaler Drogen auf diesen Umstand hin.

Ja, definitiv.

Grundsätzlich ganz wichtig: Legal ist nicht gleich ungefährlich. Und Natürlich ebenso nicht.

Wir erleben es leider öfter, dass junge Menschen Alkohol und Zigaretten ohne Risikobewusstsein konsumieren und denken, es kann nichts passieren, da diese ja legal sind und somit eigentlich nicht sehr gefährlich sein können. Und man "auf der sicheren Seite sei", solange man nur keine illegalen Drogen nehme. Das ist leider absolut gefährlich. Legale Drogen sind auch Drogen und die rechtliche Einteilung ist nicht abhängig vom Schädigungspotential.

Leider werden Alkohol und Zigaretten stark verherrlicht und Konsumenten anderer Substanzen wiederum stigmatisiert. Hierzu trägt vor allem der gesellschaftliche Umgang bei. Würde man auch legale Drogen als solche bezeichnen, wäre das Risikobewusstsein sicher höher.

Viele Grüße,

Alena vom DigiStreet-Team

Zur Antwort

Cannabis und dessen Legalisierung spaltet Community

Ein Thema, welches natürlich auch in diesem AMA eine gewichtigere Rolle einnahm, waren Cannabis und die Legalisierung davon im Frühjahr 2024. In Fragen zeigte sich beispielsweise sowohl die Meinung, dass Cannabis gesellschaftlich verteufelt würde, während andere Nutzer sich fragten, weshalb Cannabis gesellschaftlich derart verharmlost würde.

Sandro von mudra Streetwork versucht beiden Seiten aus einer Perspektive heraus anzusprechen, die die Gefahren des Cannabiskonsums nicht verleugnet und gleichzeitig aber die Legalisierung aus diesem Grund für einen Schritt in die richtige Richtung erachtet, denn während der Schwarzmarkt staatlich nicht kontrolliert werden konnte, hat der Staat nun deutlich mehr Möglichkeiten auf Konsumentwicklungen einzuwirken.

Insgesamt beantworteten die drei digitalen Streetworker bei der Aktion über hundert Fragen, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema Drogenkonsum auseinandersetzen. Alle ihre Antworten sind über die Aktionsseite zum Themenspecial auffindbar. Da das Digistreetwork-Projekt nicht endet, nur weil das Themenspecial jetzt vorbei ist, sind die Sandro, Alena und Peter auch weiterhin auf gutefrage aktiv und beantworten Fragen von jugendlichen Nutzern, in denen ein problematischer Umgang mit Substanzen erkennbar ist. Wer also anonym Hilfe sucht, hat auch die Möglichkeit, sie über ihre Profile direkt zu kontaktieren.

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