Wo könnte der "Heilige Hain" der Semnonen gelegen haben?

2 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Der Nachweis eines Ortes ist sehr schwierig, weil das in Frage kommende Gebiet groß ist und in den Quellen keine Gebäude angegeben werden, von denen sich Überreste als Anhaltspunkte hätten erhalten können.

Überlegungen sind möglich, welche Gebiete in der Antike und im frühen Mittelalter besiedelt waren und welche Stellen in frühen Quellen als besondere Orte erwähnt werden. Semnonen, die in ihren Wohnsitzen blieben, als später ein Großteil der Semonen in südliche Richtung zog, sind vermutlich auch in der Gegend beim Hain, der als Ursprung der Semnonen galt, geblieben.

In der kurzen Darstellung zum Heiligtum bei Tacitus wird von Menschenopfern erzählt. Eine Anhäufung von etwa auf die entsprechende Zeit datierbaren Menschenknochen könnte also ein Indiz sein, wenn der Bericht in dieser Hinsicht stimmt.

Der betreffende Hain der Semnonen, des Hauptstammes der Sueben und der älteste und angesehenste, wird von Tacitus, Germania 39 abwechselnd als silva (Wald) und als lucus (Waldlichtung, einer Gottheit geheiligter Wald, Hain) bezeichet. Weil jeand nur mit Fesseln gebunden (vinculo ligat) eintreten durfte, wird der Hain auch als „Fesselhain" bezeichnet.

Hermann Reichert, Lucus. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Von Johannes Hoops. Band 19: Luchs - Metrum. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer. Berlin ; New York : de Gruyter, 2001, S. 3 – 11 gibt als lateinischen Namen für „Hain“ in der antiken Quellen lucus und nemus an, als griechischen ἄλσος.

Helmut Castritius, Semnonen § 2. Historisch. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Von Johannes Hoops. Band 28: Seddin - Skīringssal. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer. Berlin ; New York : de Gruyter, 2001, S. 154 – 158 meint, das Siedlungsgebiet der Semnonen im 2. Jahrhundert n. Chr. lasse sich aus den antiken Quellen nur ungefähr ermitteln.

Nach Ptolemaios II 11, 8 lag es zwischen Elbe und Oder (wenn diese mit dem ptolemaeischen Syebos [Συήβος] gleichzusetzen ist) und stieß im Norden an die Wohnsitze der langobarden, während im Süden die Hermunduren die nächten Nachbarn waren, südlich lagen nach Ptolemaios II 11, 10 aber auch die Wohnsitze der Silingen. Im Osten waren – jedenfalls in der zweiten Hälfte des im 2. Jahrhundert n. Chr. – die Burgunden ihre Anrainer.

Die Angaben zur Lokalisierung der Wohnsitze (Strabon VII 290, Ptolemaios II 11. 8 – 10) sind jedenfalls nicht in eine widerspruchsfreie Ordnung zu bringen, da vor allem die ptolemäischen Belege in unterschiedliche Zeitebenen gehören.

Der archäologische Befund legt nahe, ihr Siedelgebiet von Elbe, Havel-Spree-Linie und den Fläming bei den Magdeburger Elbauen begrenzt sein zu lassen und davon auszugehen, daß dieses sich im Osten nicht bis an die Oder erstreckte.

Gertraud Eva Schrage, Ur- und Frühgeschichte. In: Brandenburgische Geschichte, herausgegeben von Ingo Materna und Wolfgang Ribbe. Berlin : Akademie -Verlag, 1995, S. 66 Anm. 66: „Johannes Schultze vermutete diesen Hain im Friesacker Zootzen, ohne dies allerdings beweisen zu können […].“

Der Literaturhinweis:

Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg. Band 1: Entstehung und Entwicklung unter den askanischen Markgrafen (bis 1319). Berlin : Duncker & Humblot, 1961, S. 18

Siegfried Auermann, Germanenglaube im Christenglauben : Abgötter, Balkenfiguren, heilige Bäume, Gedächtnistrank, Hexen, Priester, Irminsul, Heilige Quellen, Raben, Sternwarte, Sonnenbilder, Steinkalender, Trinkhorn, Ragnarik, Ketzer und Freigeister. Herausgegeben von Reinhard Welz. Mannheim : Vermittlerverlag, 2004, S. 52 - 53: „Eine uralte geschichtliche Erinnerung birgt vielleicht ein Aberglauben, von dem Studienrat Edmund Weber berichtet, in der Zeitschrift „Germania“, Januarheft 1935, unter der Überschrift „War der Zootzen das Semnonenheiligtum?“ Die Bewohner des Zootzens, eines Erlenbruchwaldes in der Mark, „meinten, wer nach Dunkelwerden im Walde hinfalle, könne sich nicht wieder erheben, sondern müsse kriechend den Waldrand erreichen“. Das erinnert allerdings in merkwürdiger Weise an die Tacitusstelle im Kapitel 39 der „Germania“, wo von dem heiligen Hain der Semnonen berichtet wird, wenn einer darin hinfalle, dürfe er nicht hinfallen oder sich aufheben lassen, sondern müsse sich am Boden hinauswälzen. Daß die Semnonen – oder Semnen, wie man besser sagen würde - , der Hauptstamm der Sueben, vor ihrem Zug nach Süddeutschland in der Mark Brandenburg gesessen haben, nimmt man allgemein an.“


Helmpflicht  21.02.2011, 22:36

Wow, Albrecht! Hast du mal eben in deiner Bibliothek gestöbert und eine Abhandlung aus dem Ärmel geschüttelt?! Chapeau!

0

Es dürfte schon schwierig genug sein, das Siedlungsgebiet der Semnonen für die Zeit Tacitus' hinreichend genau zu umreißen. Unter diesen Umständen auch noch einen Ort eindeutig identifizieren zu wollen, der durch keinerlei dauerhafte Steinbauten gekennzeichnet ist, halte ich für aussichtslos. Wenn du es tatsächlich versuchen willst, könntest du das in Frage kommende Gebiet nach frühchristlichen Heiligtümern untersuchen. Dies in der Hoffnung, dass der Heilige Hain der Semnonen auch nach ihrer Abwanderung von den aufsiedelnden Völkerschaften als heiliger Ort verehrt wurde und bei der Christianiserung dann mit einem christlichen Heiligtum besetzt wurde.