Wieso können wir wahrnehmen und denken, wenn wir nichts anderes sind als bewegende Atome?


08.07.2024, 21:59

Und vor allem uns Sachen bildlich vorstellen, wenn wir die Augen zu machen. Genauso wie das erklingen von Tönen im Kopf.

Wie gruselig

2 Antworten

Deine Frage betriff das wohl größte Rätsel der Philosophie und der Naturwissenschaften: Wie hängen Geist und Körper zusammen? Genauer: Wie entsteht aus physikalischer Materie/Energie Bewusstsein? Dieses Problem ist auch als "Leib-Seele-Problem" bekannt und schon mehr als 2000 Jahre alt.

Zwar gibt es inzwischen Maschinen, die sich wie intelligente Menschen verhalten und von denen man insofern sagen kann, dass sie "denken" können. Aber das Denken von uns Menschen ist nicht bloß Informationsverarbeitung, sondern mit bewusstem Erleben verbunden, es fühlt sich für dich und mich auf eine ganz bestimmte Weise an, wenn wir denken. Ebenso wenn wir uns Bilder oder Töne vorstellen. Maschinen können inzwischen Bilder erkennen, beschreiben oder auf Grund einer Beschreibung herstellen. Und wenn sie diese Bilder irgendwie innerlich repräsentieren, könnte man sagen, dass sie sich diese Bilder "vorstellen". Aber sicherlich ist das bei ihnen nicht wie bei uns mit bewusstem Erleben verbunden.

Doch was genau ist Bewusstsein? Stell dir vor du wärst bisher farbenblind gewesen, hättest also alles nur in Schwarz, Weiß und Grautönen gesehen. Trotzdem hättest du alles über Farben studiert und wüsstest alles, was es über Farben zu wissen gibt, alle Daten & Informationen über Farben. Wenn deine Farbeinblindheit nun durch eine medizinische Maßnahme beseitigt wird und du erstmals das Blau des Himmels über dir siehst, also ein bewusstes Farberlebnis hast: dann kommt zu deinem vollständigen Wissen über die Farbe Blau noch etwas dazu: dein bewusstes Erleben dieser Farbe. Du erlebst zum ersten Mal, wie es für dich ist, wie es sich für dich anfühlt, Blau zu sehen.

Es gibt noch keine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erklärung dafür, wie in einer rein physikalischen Welt so etwas wie das Phänomen Bewusstsein entstehen kann! Ja, es ist noch nicht einmal klar, wie eine solche Erklärung aussehen müsste, damit wir (oder zumindest Wissenschaftler & Philosophen) sie akzeptieren könnten. Man nennt das in der Philosophie des Geistes die Erklärungslücke (explanatory gap). Egal was mir ein Neurowissenschaftler über neuronale Aktivitäten in meinem Gehirn erzählen würde, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dabei das Gefühl hätte, dass er mir mein Bewusstsein erklärt hätte.

Manche sehen das Leib-Seele-Problem als Spezialfall des Problems der sog. Emergenz an und betrachten das Bewusstsein als eine emergente Eigenschaft des Gehirns. Emergenz nennt man das Phänomen, dass ein System mehr ist als die Summe seiner Teile. Dass also das System Eigenschaften hat, die nicht durch die Eigenschaften seiner Teile erklärt werden können, sondern allenfalls durch deren Wechselwirkungen untereinander. Z. B. ist die Nässe von Wasser weder durch die Eigenschaften von Wasserstoff noch durch die von Sauerstoff erklärbar (beide sind nicht nass). Die gelbe Farbe eines Schwefelklumpens ist nicht durch die Eigenschaften des Schwefelatoms erklärbar; denn das ist nicht gelb. Usw.

In den letzten Jahre ist ein gewisser Trend in der Bewusstseinsforschung zum sog. Panpsychismus zu beobachten: Vielleicht muss man ja zusätzlich zu den elementaren Eigenschaften der Materie wie Masse, Ladung und Spin noch eine Art "Proto-Bewusstsein" hinzunehmen, um die Entstehung von Bewusstsein physikalisch erklären zu können.

Führende Neurowissenschaftler können dir darauf keine absolute Antwort geben. Da würde ich das nicht auf GF erwarten..