Wie ist es als Logopäde/in?
Hallo,
Ich bin mir noch nicht sicher, aber Ich denke Logopäde werden zu wollen. Ich mag Kinder sehr gerne und habe kein Problem mit ihnen zu arbeiten, und das Thema an sich interessiert mich auch.
Allerdings frage Ich mich einiges, wozu Ich im Internet keine Antwort finde. Deshalb hoffe Ich hier Antworten von Logopäd/innen zu bekommen. Meine Fragen liste Ich unten auf. Vielen Dank für alle Antworten :)
- wie verhält es sich mit Gehalt und wie man behandelt wird, wenn man nicht seine eigene Praxis betreibt? Wird man generell gut behandelt oder wird man zur Drecksarbeit verdonnert wenn man nicht sein eigener Chef ist? (Kenne ich aus anderen Berufen)
- Wie groß ist der Unterschied zwischen Ausbildungsweg und Studiumsweg in Bezug auf Karriereaussichten?
- Wie behandeln einen Patienten und Angehörige?
- Wie groß ist die Arbeitslast? Sind Überstunden quasi schon einzurechnen?
- Ich bin ein Mann. Der Logopädie Beruf ist ja bekanntlich überwiegend von Frauen dominiert. Damit habe Ich kein Problem, aber behandeln Patienten und Angehörige einen anders je nach Geschlecht? Bin ich womöglich nicht so vertrauenswürdig aufgrund meines Geschlechts?
- Erfüllt einen dieser Beruf? Ich helfe sehr gerne Menschen, vor allem Kindern. Kann Ich das in diesem Beruf effektiv tun?
- Wie gestaltet sich der Arbeitsalltag als Logopäde der/die nicht seine/Ihre eigene Praxis hat? Ungefähr wann beginnt und endet mein Arbeitstag und was mache Ich tagtäglich?
2 Antworten
Ciao :-)
Meine Tochter ist Logopädin und kann deine Fragen sehr gut beantworten.
- Das Gehalt kommt auf viele Faktoren an. In manchen Gegenden verdient man mehr in anderen etwas weniger und als Berufsanfänger ohne Spezialisierung in ein bestimmtes Störungsbild ebenfalls. Meine Tochter hat noch während der Ausbildung angefangen spezielle Kurs zu belegen (Gebärdensprache, tierunterstützte Therapie, musikalische Kindertherapie usw). Somit konnte sie bei ihren Gehalt schon als Einsteigerin gut verhandeln. Sie bekam in einer Logopädiepraxis sofort 3200.- brutto zusätzlich 2 x im Jahr Weiterbildungen die sie sich aussuchen darf.
Drecksarbeit gibt es hier nicht, denn man bekommt Patienten die man sich aussucht, zb. du nur Kinder, meine Tochter liebt es gemischt (Erwachsene und Kinder). Auch über das Störungsbild das du behandeln willst kannst du bestimmen z.B. keine Stotterer, Autisten oder Mutisten usw.
Es hilft ja der Praxis nicht, wenn sie dir Fälle geben die du nicht meistern kannst, denn das würde den Ruf sehr schnell zerstören und das will kein Chef.
2.Hierzu solltest du wissen, dass man in der Berufsfachschule nach 3 Jahren soviel Praktische Erfahrung durch Hospitationen und eigene Therapien gesammelt hat, dass man danach reif ist für eigene Patienten. Im Studium hat man nur Theorieunterricht und schließt auch nicht mit dem Examen zum Logopäden ab, sondern als Bachelor der Sprachtherapie, denn die meisten gehen damit in die Forschung oder in eine Lehranstalt.
Wenn man als Logopäde (geschützte Berufsbezeichnung) arbeiten will muss man der Krankenkassenvereinigung 6 Monate praktische Ausbildung vorlegen.
Bei der Karriereaussicht kommt es also darauf an, was du danach machen willst. Wenn du in einer Praxis arbeiten willst hast du meist die selben Chancen als die Studierten. Viele Studierte merken beim direkten Kontakt mit den Patienten, dass es ihnen doch nicht liegt. Das hat meine Tochter schon bei mehreren Kolleginnen gesehen, die nach 3 Monaten wieder aufgehört haben und lieber in die Forschung gegangen sind.
3.Deine kindlichen Patienten sind total entspannt und lieben es etwas zu lernen, dabei solltest du sehr kreativ und einfühlsam sein, denn manche Kinder sind gerade am Anfang schneller ermüdet, aber das kann man ganz leicht ändern in dem man ein Spiel einbaut, dass trotzdem lernen ist, ohne dass sie es merken ;-) Da hat meine Tochter viele Tricks.
Die Erwachsenen haben ein anderes Krankheitsbild als die Kinder und so müssen sie z.B. Schlucken und Sprechen wieder lernen (nach Schlaganfall oder Krebsop), was aber auch sehr spannend ist. Die sind sehr dankbar und erzählen viel persönliches und wenn sie mit der Therapie fertig sind weinen sie manchmal und bringen Geschenke mit.
Die Angehörigen sind noch nie ein Problem gewesen, die interessieren sich sehr für die Lernfortschritte oder erzählen wie gut sich ihr Kind schon macht nach so kurzer Zeit.
4.Überstunden? Nein überhaupt nicht, denn DU machst den Therapieplan und da hat jeder Patient meist ein Rezept mit 45 Minuten Therapieeinheiten. Bedeutet für dich, dass du 1 Stunde hast, du bereitest in den 10-15 Minuten Vorzeit alles für die Therapie vor. Du hast ja deine festen Patienten (ist für die Therapie wichtig nur einen Therapeuten zu haben). Z.B. du fängst um 8.00 Uhr an und machst um 16.30 Uhr Feierabend, dann wirst du vermutlich 6- 8 Patienten haben minus 30 Minuten Mittagspause. Bei Hausbesuchen hast du an den Tagen noch weniger Patienten.
5.In der Klasse meiner Tochter waren damals 4 Männer und alle haben sogar mehr Zuspruch bei den Patienten gehabt als die Frauen. Auch heute noch, wenn sie sich einmal im Jahr treffen erzählen sie von ihren Erfahrungen und die sind durchgängig positiv. Ganz ehrlich, wenn ich zur Psychotherapie gehe, dann mag ich auch lieber die Männer, weil die beim Massieren viel einfühlsamer sind und ich hatte schon viele Vergleiche :-)
6.Oh ja! Meine Tochter kommt jeden Tag nach hause und stahlt und sagt :"Ich habe den schönsten Beruf den es gibt."
Es ist einfach so, dass die Patienten (egal ob groß oder klein) einen Leidensdruck haben wegen ihrem Störungsbild besonders Kinder, weil sie gehänselt werden oder den Anschluss im Kindergarten oder in der Schule verpassen.
Dann kommst du ins Spiel und bringst ihnen ohne großen Druck wirklich spielerisch alles bei um ein normales und somit besseres Leben schenkst. Das allein erfüllt einen so sehr, wenn man miterlebt was sie konnten als sie kamen und was sie können wenn sie mit der Therapie fertig sind.
In nur sehr wenigen Berufen hast du so Erfolgserlebnis.
7.Ich schreib dir das mal so wie es bei meiner Tochter ist.
Mo und Mi von 9:30 Uhr bis 18.00 Uhr
Di und Do von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr
Fr von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr
z.B. Montag:
1 Patient um 10.00 - 10:45 Wortschatz
2 Patient um 11.00- 11.45 Redeflussstörung (Poltern)
3 Patient um 12:00 - 12:45 Schluckstörung
13.00- 13.30 Mittagspause
4 Patient um 13:30- 14:45 Lispeln
5 Patient um 15:00- 15:45 Stimmstörung
6 Patient um 16:00- 16:45 Mutismus
7 Patient um 17:00-1745 Hausbesuch MS Patient
Dienstag:
Hausbesuch- Kindergarten
8:00 - 11.00 Uhr 3 verschieden Kinder
11:30- 12:15 Uhr Schluckstörung
12:30- 13:00 Uhr Mittag
13:30- 15:30 Uhr Hausbesuch Tagesklinik / 2 Erwachsene
16:00 Feierabend
So oder so ähnlich vergehen die restlichen Wochen Tage
Hoffe es hilft dir ein wenig. Hänge dir noch den Stundenplan den alle Schulen erfüllen müssen an.
Pflichtfächer 1.Jahr/2.Jahr/3.Jahr = Gesamtstunden von allen 3 Jahren
Theoretischer Unterricht
Berufs- und Staatskunde 40/0/20 = 60 Std.
Anatomie, Physiologie und Pathologie 120/0/0 =120 Std.
Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde 60/0/0 = 60 Std.
Pädiatrie 60/20/0 = 80 Std.
Neurologie und Psychatrie 80/40/20 = 140 Std.
Kieferorthopädie und Kieferchirurgie 20/0/0/ = 20 Std.
Phoniatrie 40/40/40 = 120 Std.
Audiologie und Akustik 60 /0/20 = 80 Std.
Logopädie 180/220/80 = 480 Std.
Phonetik/Linguistik 60/0/20 = 80 Std.
Psychologie 40/40/40 = 120 Std.
Soziologie 0/40/0 = 40 Std.
Pädagogik und Sonderpädagogik 40/60/40 = 140 Std.
Summe theoretischer Unterricht
800 /460/280 = 1540 Std.
Fachpraktischer Unterricht
Stimmbildung und Sprecherziehung, 100/100/0 = 200 Std.
Praxis der Logopädie, 200/540/780 = 1520 Std.
Praxis der Fachgebiete, 60/80/100 = 240 Std.
Summe fachpraktischer Unterricht
360/720/880 = 1960 Std.
Summe theoretischer und fachpraktischer Unterricht
1 160/1180/1160 = 3500 Std.
Hospitationen, 180/160/0 = 340 Std.
LG
Hi!
Im Grunde hat dir Italomaus deine Fragen schon sehr ausführlich beantwortet. Ich kann aus eigener Erfahrung das meiste davon bestätigen.
Was die Stunden angeht: du verhandelst mit deinem Chef / deiner Chefin ja ein bestimmtes Stunden-Soll an Therapien. In meinem Fall sind das 38 Therapien a 45 Minuten pro Woche, die einem Arbeitsvertrag mit 38 Arbeits(Zeit)stunden entsprechen. Da es aber durchaus sein kann, dass mir Patienten aufgrund von Krankheit absagen und ich dann plötzlich weniger, als ich soll, arbeiten würde, plane ich mir immer etwa 42-45 Patienten ein. In den seltensten Fällen kommen wirklich alle (Urlaub, krank, Kindergartenveranstaltungen, Termine…) und so lande ich meist bei 38+ Einheiten. Sollten doch mal alle kommen, habe ich ein Überstundenkonto und könnte mir die Stunden mit +20% ausbezahlen lassen oder eben irgendwann mal abbummeln.
Das ist aber auch ein wenig abhängig von der Stelle.
Beim Gehalt scheint es sehr zu variieren, wie ich merke. Ich verdiene nach inzwischen 17 Jahren Berufserfahrung ca. 2.800 Euro brutto.
Zu der Art, wie man als Angestellte/r behandelt wird:
Ich habe durchweg positive Erfahrungen gemacht. Meine Chefin zb ist unglaublich froh, uns zu haben und zeigt uns das auch. Wir sind zwei Angestellte und haben ein sehr freundschaftliches und persönliches Verhältnis zu ihr. Wir bekommen kleine Geburtstagsgeschenke, oder Urlaubsmitbringsel, neulich schenkte sie uns einfach was aus dem LUSH-Laden und meinte, sie sei dankbar, dass sie sich einfach auf uns verlassen kann. Wenn es geht bekommen wir Urlaubs- und Weihnachtsgeld, während Corona haben wir alle Corona-Boni vollständig ausgezahlt bekommen und wir könnten mit wirklich allem zu ihr kommen und drüber reden. Wenn ich morgen sagen würde, ich kann nicht mehr, es muss sich was verändern, würde sie versuchen, was sie ändern kann. Natürlich ist das eine Frage der Persönlichkeit, aber die meisten haben diesen Beruf ja gewählt, weil sie eher sozial eingestellt sind und das spiegelt sich ja wider.
Als Mann hast du vermutlich ausgesprochen gute Karten. Die Kinder bei uns fahren voll ab auf männliche Therapeuten 😅 und Praktikanten.
Gerade im Beruf Logopäde hast du übrigens auch als Berufsanfänger sehr gute Chancen.
Wir haben akuten Therapeutenmangel in der Logopädie und in fast allen Anzeigen steht „Berufsanfänger herzlich willkommen!“ - das war schon immer so und unterscheidet sich zu vielen anderen Berufen, in denen Berufserfahrung ja schon fast vorausgesetzt wird.
Vielen Dank für die Antwort! Das mit deiner Chefin freut mich sehr fuer dich! Ich denke mit euren Antworten habe Ich meinen Beruf gefunden. Vielen Dank:)
Wow! Vielen dank! Ich hätte nicht mit so einer ausführlichen und hilfreichen Antwort gerechnet. Bitte grüß deine Tochter von mir und nochmal vielen Dank an euch beide ✌🏼