Werden Nulleiter bei Drehstrom bzw. die Sicherungen nicht eigentlich falsch ausgelegt?
Meine Frage bezieht sich auf einen Vorfall, bei dem angeblich am Münchener Flughafen ein Nulleiter durchgeschmolzen sein soll:
Bei defekten Geräten mit Halbleitern (z.B. Schaltnetzteile aber auch Frequenzumrichter) kann es sein, dass der Strom nicht sinusförmig ist.
Dadurch kann im Extremfall durch den Nulleiter der dreifache Strom fließen, der jeweils durch die Phasen fließt.
Bereits im recht einfachen Fall, dass die Phasen jeweils mit einer sinusförmigen Halbwelle belastet werden (ein relativ wahrscheinliches Szenario) wäre der Effektivwert des Stroms im Nulleiter doppelt so hoch wie der Effektivwert in den einzelnen Phasen.
Eine 16A-Sicherung würde bei so einem Defekt also erst auslösen, wenn durch den Nulleiter bereits 32A fließen (und im Extremfall 48A).
Meine Frage daher:
Müsste man bei Drehstrom den Nulleiter (der ja keine eigene Sicherung hat) nicht so dimensionieren, dass er den dreifachen Strom aushält, mit dem die Phasen abgesichert sind?
Falls es in der Praxis nicht gemacht wird: Gilt dieser Fall einfach nur als sehr unwahrscheinlich oder denkt man einfach nur nicht daran?
5 Antworten
> Gilt dieser Fall einfach nur als sehr unwahrscheinlich
So ist es. Denn Dein Szenario mit jeweils einer Halbwelle setzt ja voraus, dass ein Gerät dergestalt defekt ist, dass es auf allen drei Außenleitern während der einen Halbwelle keinen und während der anderen einen gegenüber dem Normalzustand erhöhten Strom zieht.
> dass an den drei Phasen verschiedene Wechselstrom-Geräte angeschlossen sind
Das macht den Fehlerfall wohl etwas wahrscheinlicher als ohne Aufteilung. Ich würde so eine Aufteilung auch nicht machen, ohne den Neutralleiter durch einen vierpoligen Leitungsschutzschalter zu schützen.
> Es soll viele Handy-Ladegeräte geben
Aber so viele Handy-Ladegeräte passen gar nicht ins Zimmer, dass man damit den Neutralleiter überlasten könnte ;-)
Bei höherer Leistung nutzt man freiwillig beide Halbwellen, weil die zusätzlichen Dioden billiger sind als die sonst erforderlichen doppelt dicken Leiterbahnen und Kondensatoren.
Hast Du zu dem Münchner Unfall einen Link?
Hast Du zu dem Münchner Unfall einen Link?
Leider nein.
Ein ehemaliger Kollege - Spezialgebiet Leistungselektronik - hat es mir erzählt.
Sein Professor soll es den Studenten in der Vorlesung erzählt haben.
Es gibt auch vierpolige Leitungsschutzschalter, die den Strom durch den Neutralleiter ebenfalls überwachen und bei Überstrom die Außenleiter abschalten. Kenne ich aber nur aus dem Katalog - eingebaut habe ich noch keinen gesehen.
Bei Drehstrom(-spannung) wird kein Nulleiter benötigt, im Idealfall ist im Sternpunkt die Spannung Null, und ein Drehstrommotor funktioniert auch ohne Nulleiter.
Wenn kein Nulleiter benötigt wird, dann braucht auch keiner dimensioniert werden.
Es ist aber so, dass viele Geräte auf 3 Phasen aufgeteilt sind, dafür wird sehr wohl der Nulleiter benötigt, der auch großzügig ausgelegt ist, aber wenn der durchschmilzt, müssen sich die Ingenieure damit mal befassen.
Wegen der um 120 Grad versetzten Phasenwinkel fließt der Strom nicht durch den Nulleiter sondern zu den anderen Phasen. Bei einem unsymetrisch belastetem Netz fließt ja nicht der ganze Strom durch den Nulleiter sondern zumindest teilweise in die anderen Phasen. Nur bei einem defektem Wechselrichter der keine Phasenwinkel mehr hat kann der Strom durch den Nulleiter unzulassig ansteigen. Dagegen sollte der Wechselrichter abgesichert sein und abschalten.
Ich glaube den Ausdruck "nicht sinusförmige Ströme" deutlich genug in meiner Frage geschrieben zu haben.
Bei nicht-sinusförmigen Strömen kann man gewöhnliche Wechselstromrechnung nicht mehr verwenden, sondern man muss mit Integralrechnung arbeiten.
Bei Halbwellen (egal ob Sinus oder Rechteck) ist der Strom (Effektivwert) im Nulleiter zwangsläufig größer als der größte Phasenstrom (Grund hierfür: siehe anderer Kommentar von mir).
Beim folgenden defekten Gerät wäre sogar bereits mit gewöhnlicher Wechselstromrechnung nachrechenbar, dass der Strom im Nulleiter deutlich größer ist, als 16A, obwohl die einzelnen Phasenströme deutlich kleiner sind als 16A:
Phase 1: ohmsche Last, 12 A
Phase 2: rein induktive Last, 12 A
Phase 3: rein kapazitive Last, 12 A
Da ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass ein Defekt auftritt, bei dem eine Phase plötzlich kapazitiv belastet wird, habe ich eher an LED-Leuchten gedacht. Dass diese durch einen Defekt plötzlich nur noch in einer Sinus-Halbwelle Strom ziehen, halte ich prinzipiell für möglich.
Zitat: "Bereits im recht einfachen Fall, dass die Phasen jeweils mit einer sinusförmigen Halbwelle belastet werden (ein relativ wahrscheinliches Szenario) wäre der Effektivwert des Stroms im Nulleiter doppelt so hoch wie der Effektivwert in den einzelnen Phasen."
Das stimmt so nicht: Die Ströme in den Außenleitern muß man geometrisch addieren. Die geometrische Summe ergibt den Strom im Mittelpunktsleiter. Bei drei gleich großen Strömen ist die Summe = Null.
Du solltest zuerst nachdenken, bevor du schreibst:
Aus der Ladungserhaltung und den Kirchhoffschen Gesetzten folgt zwangsläufig ohne Rechnung, dass der Strom im Nulleiter bei Halbwellen größer sein muss, als der größte der drei Phasenströme - und zwar egal, in welche Phasenlage die Sinuswellen zueinander stehen:
Schließlich müssen (im Gegensatz zu vollen Sinusschwingungen) sämtliche Elektronen, die durch eine Phase in das Gerät hineinfließen, über einen einzigen Nulleiter wieder aus dem Gerät herausfließen.
Geometrisch addieren kann man lediglich sinusförmige (also volle Sinusschwingungen) Wechselströme. Bei allen anderen Strömen - egal ob Rechteck oder Sinus-Halbwellen - muss man Integralrechnung anwenden.
Da ich zum Integrieren von Hand zu faul war, habe ich den Computer rechnen lassen: I1 = I2 = I3 = 0.4999... * I(Nulleiter)
Ich gehe mal davon aus, dass das ein Rundungsfehler ist und der Strom durch den Nulleiter doppelt so groß ist, wie der durch die Phasen.
Mit "Extremfall" war der Fall gemeint, in dem alle drei Phasen eine Phasendifferenz von 0° aufweisen. Wenn durch einen Defekt in einem Gerät der Strom einer Phase um exakt 120°, einer um 0° und einer um -120° phasenverschoben ist, so würde man sogar durch die geometrische Addition mit dem Zeigerdiagramm darauf kommen, dass I(Nulleiter) = I1 + I2 + I3 ist; eine 16A-Sicherung löst also erst aus, wenn im Nulleiter bereits 48A fließen!
Dieser Fall ist aber wirklich unwahrscheinlich.
In München waren es nach meinen Informationen Sinus-Halbwellen, da würde die 16A-Sicherung "schon" bei 32A im Nulleiter auslösen...
Bei der Frage muss das Thema komplexe Wechselstromrechnung beachtet werden. Du musst dir das so vorstellen, dass du einen Kreis hast, in dem der Radius 1 ist. Den Kreis nennt man Einheitskreis. Nun muss man wie schon gesagt beachten, dass die Phasen untereinander eine Phasenverschiebung von 120° haben. Wenn man nun eine symmetrische Last anschließt, addieren sich die Ströme auf dem Neutralleiter vektoriell! Im dem Fall einer symmetrischen Last, ist der Strom null. Trotzdem muss der Neutralleiter geerdet sein, da sich sonst bei einer möglichen Lastverschiebung die Spannung über einzelne Teile des Verbrauchers ändern kann und diesen dadurch ggf. zerstört.
Bei einer unsymmetrischen Last kann der Strom nie mehr als der Strom in einer Phase sein.
Der Fall der Leistungselektronik ist ein absoluter Sonderfall. Wenn man das Thema beachtet, muss man auch das Thema Oberwellen im Netz etc. ansprechen, welche durch die Leistungselektronik verursacht werden und ggf. beseitigt werden müssen.
Der vierpolige Automat ist ein FI bzw. RCD. Dieser überwacht nur den Strom zwischen den Phasen und dem Neutralleiter. Der RCD addiert die Ströme auch vektoriell. Eine Überwachung eines Überstromes kann der RCD nicht leisten. Hierfür müsste wenn ein Leitungsschutzschalter verbaut werden. Aus den massiven Nachteilen wie oben mit der Lastverschiebung macht man eine Abschaltung der Anlage nie über den Neutralleiter sondern über die Phasen!
Die herkömmlichen RCDs greifen nur bei sinusförmigen Wechselströmen und gepulsten (sinusförmige Halbwelle) Gleichströmen. Bei glatter Gleichspannung versagen die Schutzeinrichtungen, sodass ein Personenschutz nicht mehr gegeben ist. Als Lösung gibt es RCDs die diese Problematik abfangen.
Der Fall der Leistungselektronik ist ein absoluter Sonderfall. ... Bei glatter Gleichspannung versagen die Schutzeinrichtungen, sodass ein Personenschutz nicht mehr gegeben ist.
Genau hierauf zielt meine Frage allerdings ab:
Anstatt Glühbirnen wie noch vor zwanzig Jahren werden heute LED-Lampen verbaut.
Beim heutigen Preisverfall ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch große Hallen mit LEDs beleuchtet werden, wobei jeweils ein Drittel aller LEDs an einer Phase angeschlossen ist.
Ähnlich wie bei den Schaltnetzteilen in München damals kann ich mir durchaus vorstellen, dass es dabei wieder zu großen Ströme über den Neutralleiter kommt, insbesonders wenn die LED-Lampen defekt sind...
Bei einer unsymmetrischen Last kann der Strom nie mehr als der Strom in einer Phase sein.
Defekte, bei denen mit reinem, sinusförmigem Wecheselstrom, bei denen es zu großen Strömen im Neutralleiter kommt, kann ich mir ebenfalls vorstellen. Ein Beispiel:
Phase 1: 12 A, rein induktive Last (also unter 16A)
Phase 2: 12 A, rein ohmsche Last (also unter 16A)
Phase 3: unbelastet
Neutralleiter: 23A (also über 16A)
Da ich allerdings nicht weiß, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Phase durch einen Defekt rein induktiv belastet wird, habe ich bei meinem Beispiel Halbleiter verwendet.
Die Frage kam auf, als hier im Forum nach einem Adapter Drehstrom- auf Schuko-Stecker gefragt worden ist.
Es soll viele Handy-Ladegeräte geben, die selbst im nicht-defekten Zustand nur in einer Halbwelle Strom ziehen. Früher waren auch Laptop-Ladegeräte und PC-Netzteile so gebaut, was dann zu dem Unfall in München (mehrere Computer an unteschiedlichen Phasen aber alle "gleich herum" angeschlossen) geführt hat.
In der EU sind solche Netzteile ab einer bestimmten Stromaufnahme inzwischen verboten, daher meine Frage gezielt nach defekten Geräten.
Ich habe an das Szenario gedacht, dass an den drei Phasen verschiedene Wechselstrom-Geräte angeschlossen sind und ein Blitzschlag zum Durchbrennen jeweils derselben Diode in den Brückengleichrichtern aller angeschlossenen Geräte führt.