Wer weiß biographische Details über Joachim W. Hartnack („Große Geiger unserer Zeit“)?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Joachim W. Hartnack war mein Halb-Bruder. ist Im Juni 1918in Berlin geboren und dort im Juni 1996 gestorben. Er war hauptberuflich Jurist und zuletzt Präsident des Strafgerichts in Berlin. Unser Vater war Hugo Hartnack, Entomologe, Bakteriologe und Med Vet und ist in 1923 nach USA ausgewandert. Als Joachim Hartnack in 1936-37 seinen Vater und Familie in Chicago besuchte, war dieser zutiefst beeindruckt durch die musikalischen Kenntnisse und das Wissen meines Bruders, der auf Anhieb bei Musik im Radio nicht nur nach wenigen Tönen das Stück, sondern auch Orchester, Dirigent und Solist nennen könnte. Er wohnte im International House der University of Chicago, wurde dort durch seine Intelligenz und sein Wissen hoch geschätzt, bevorzugte aber das Leben in Deutschland, da ihm das strenge Regime unseres Vaters fremd war. Er kehrte zurück nach Deutschland, was zur Folge hatte, dass erspäter in die Wehrmacht eingezogen wurde und als Soldat dienen musste. Seine Reise von Polen am Ende des Krieges war abenteuerlich und gefährlich. Nach dem Krieg arbeitete er u.A. als Schauspieler, vor allem bei der Synchronisierung von Filmen in die deutsche Sprache (Berliner Synchron) und studierte Rechtswissenschaften. Seine Dissertation über das Urheberrecht bei der Art und Weise der Aufführung von Musikstücken befindet sich in meinen Unterlagen. Seine Mutter habe ich nie kennen gelernt, weiß jedoch durch ihre schriften, dass sie eine brillante und hochintelligente Frau gewesen sein muss. Joachim ist gemäß seinem Wunsch in einem Anonymen Grab unmittelbar gegenüber des Berliner Stadions bestattet.

Hallo,

da der Platz für die Erläuterungen zur Frage begrenzt ist, liefere ich hier die Informationen nach, die mir bisher zu Joachim W. Hartnack vorliegen:

Irgendwann habe ich mir überlegt, wann und wo der Autor gelebt hat, welchen Bezug er persönlich zur Geige und zu professionellen Geigern hatte, und wie sein Berufsleben aussah. Ich konnte aber wenig entdecken, und das, was ich erfahren habe, ergibt für mich bisher noch kein abgerundetes Bild.

Ich möchte erst mal berichten, auf welchem Kenntnisstand ich bisher bin:

Hartnacks in meiner Frage genanntes Buch erschien 1967 im Verlag Rütten u. Loening, München. Es galt schnell als Standard-Werk in diesem Sachgebiet (Internationale Weltklasse-Solisten auf der Violine) und erlebte mehrere neue Auflagen, wobei der Text jeweils überarbeitet und ergänzt wurde, weil immer wieder neue Geiger die Konzertpodien betraten, die bisherigen Solisten neue Entwicklungen durchmachten, ihre Karriere beendeten und oftmals auch starben, und auch bisher unbeachtete Geiger mehr in den Blickpunkt des Autors rückten.

Neue Ausgaben, jeweils im Atlantis-Musikbuch-Verlag, Zürich: 1977, 1983, 1993.

Im Januar 1996 erschien das Buch im Verlag Schott Music mit beigefügten 2 Musikcassetten.

Offensichtlich hat sich Hartnack auch noch auf anderen Feldern getummelt (falls es sich nicht um einen anderen Autoren gleichen Namens handeln sollte):

Der Goldmann-Velag veröffentlichte als Taschenbuch: Das Dekollete der Madame Cerise - Ein heiterer Roman aus Südfrankreich.

Und im Deutschen Verlag (was immer das auch sein mag) erschien 1952 eine Detektivgeschichte (ich nehme an für Kinder): Die Gauner mit den Gumminsohlen – Axels Abenteuer mit den Autodieben – Mit 23 Zeichnungen v. Gerhard Kreischke.

Von „Große Geiger unserer Zeit“ liegt mit die Ausgabe von 1977 vor. (Als Jugendlicher hatte ich die Erstausgabe gelesen.) Im Klappentext steht: „... des Autors, eines in Berlin als Richter tätigen Juristen ...“

Im Wochenmagazin „DIE ZEIT“ erschien 1967 eine Serie, in der einige wichtige Kapitel aus Hartnacks Geigerbuch abgedruckt wurden. Zum Autoren war zu lesen: „Der Autor dieser Serie, Joachim W. Hartnack, war selber Geiger, leitete dann die Unterhaltungsabteilung einer Berliner Rundfunkstation und entscheidet heute als Staatsanwalt in Berlin darüber, was auf dem Buch-, Zeitungs-, Zeitschriften- und Kunstmarkt behördlich nicht zu beanstanden ist.“

Aus dem Inhalt des Buches läßt sich entnehmen, daß Hartnack schon früh ganz viele der bedeutendsten Weltklassegeiger live im Konzert erlebt hat, sofern sie in Deutschland, insbesondere in Berlin aufgetreten sind. Außerdem muß er Zugang zu einer immensen Sammlung von zeitgenössischen und vor allem auch historischen Schallplattenaufnahmen bedeutender Geiger gehabt haben. Sein Buch beruht insbesondere auf einer möglichst genauen Auswertung seiner Konzerterlebnisse und der ihm vorliegenden Tondokumente. Es ist zu erkennen, daß er nicht nur um ein sehr ausgeprägtes musikalisches Urteilsvermögen besaß, sondern offensichtich auch sehr detailiertes Insiderwissen über Besonderheiten der Technik des Violinspiels und eine sehr scharfe Beobachtungsgabe in dieser Richtung besaß. Seine Kritik an der Kulturpolitik der Nationalsozialisten, die sich auf dem Gebiet des Violinspiels entscheidend auswirkte, da eine überwältigend große Zahl der berühmtesten Geiger Juden bzw. jüdischer Abstammung waren und immer noch sind, fiel sehr klar und unmißverständlich aus, was für uns heute als selbstverständlich wirken könnte, was aber 12 Jahre nach dem Ende des „3. Reiches“, als es in Deutschland noch von in der Wolle gefärbten alten Nazis wimmelte, sicherlich ein Zeichen von Zivilcourage und sehr klarem politischem und ethischem Standpunkt war.

Schon jetzt vielen Dank für Eure Antworten,

Merkantil

Hallo,
es tut mir leid, dass ich hier erst jetzt antworte.
Ich habe Herrn Joachim Hartnack schon 1967 in Berlin kennengelernt und die Umstände waren typisch für ihn als Mensch und Musik- bzw. Geigenkenner. Dazu die erklärende Vorgeschichte.
Nach dem Violinstudium in Detmold erhielt ich 1966 mit 22 Jahren nach Probespiel eine Violinstelle bei den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan. Um mich neben dem Dienst und etlichen Orchester-Tourneen geigerisch fit zu halten, gab ich im Berliner Bezirk Schöneberg im Rahmen der mehrmals im Jahr veranstalteten Kammerkonzerte einen Violinabend mit Werken von Bach, Beethoven, Ysaÿe und Brahms.
Nach dem Konzert stellte sich mir ein hochgewachsener Herr als "Hartnack" vor und beglückwünschte mich zu meinem Erfolg und dem anspruchsvollen Programm. Kurz zuvor hatte ich sein gerade erschienenes Buch gekauft und staunte nun nicht schlecht darüber, dass dieser "Experte" das Konzert eines völlig unbekannten Geigers besuchte. Das zeugte eindeutig von seinem wachen Intereresse für das allgemeine Musikleben und insbesondere für geigerische Veranstanstaltungen. Ich verließ nach vier Jahren die Philharmoniker und nach etlichen Berufsstationen wurde ich 1980 als 1. Geiger in ein bekanntes Berliner Streichquartett engagiert. Nach der Geburt meines 1. Sohnes schickte ich Herrn Hartnack eine Geburtsanzeige, für die er sich sehr liebenswürdig bedankte. Es kam noch zu einem Telefonat, aber leider nicht mehr zu einem Treffen, denn aus privaten Gründen wechselte ich 1982 vom Quartett zu den Hamburger Philharmonikern. Sein kürzlich wiedergefundener Brief veranlasste mich zur Suche nach ihm und so stieß ich auf diese aufschlussreichen Beiträge, für die ich dankbar bin. Zutiefst bedauere ich, dass der Kontakt nach dem Ortswechsel abgerissen war, aber andere Lebensumstände bringen das leider oft mit sich.


Merkantil 
Fragesteller
 16.09.2021, 20:09

Hallo Winfried44,

danke für die Antwort. So fügt sich wie in einem Mosaik eine Information zur andern.

Ich fand es ganz klasse, daß Joachim Hartnacks Halbbruder Carlo939 in den USA mir geantwortet und einige aufschlußreiche Informationen geschrieben hat. Ich war ihm dafür sehr dankbar.

Jetzt, 4 Jahre nach seiner Antwort, denke ich, man sollte (über Gutefrage: Freundschaftsanfrage) doch mal noch bei Carlo939 nachfragen, ob er privat noch ein paar zusätzliche Informationen liefern kann. Z.B., ob J. Hartnack selbst gegeigt hat, und wenn ja, bei wem er Unterricht gehabt hat. Und inzwischen denke ich, daß auch seine juristische Dissertation für uns Musiker interessant sein könnte, da sie sich ja mit Fragen des Urheberrechts auseinandergesetzt hat.

Und in Berlin dürfte es ja auch noch einige Leute geben, die näheres über J. Hartnack wissen.

Herzliche Grüße

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Geboren am: 05.07.1918