Wenn ein Graf ein Lehen an einen Freiherren gab, wer war dann der Eigentümer im HRR?

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Hier muss man Eigentum und Besitz unterscheiden sowie Theorie und Praxis. Wichtig ist auch, dass sich das Feudalwesen im Lauf der Jahrhunderte verändert hat.

Unter Lehen verstand man ein Gut, das der Eigentümer einem anderen zur Nutzung überließ. (...) Der Eigentümer (Lehnsherr) gab dieses Lehen unter der Bedingung gegenseitiger Treue in den zumeist erblichen Besitz des Berechtigten, der dadurch zum Lehnsmann wurde und aus dem Lehen seinen Lebensunterhalt bestritt. Die Belehnung stand in der Regel unter dem Vorbehalt des Anheimfalls an den Eigentümer. Das Lehen beinhaltete ein ausgedehntes Nutzungsrecht an der fremden Sache, das zugleich zwischen dem Lehnsherren und dem Lehnsmann ein Verhältnis wechselseitiger Treue begründete. Das Wort beneficium bezeichnete dabei nicht nur die mit dem Lehen verbundenen Güter, sondern auch die damit verbundene Rechtsbeziehung. Durch das Lehen änderte sich also nicht das Eigentum, sondern nur der Besitz des Lehnsgutes. Eigentümer blieb der Lehnsherr.

https://de.wikipedia.org/wiki/Lehnswesen

Wer hatte nun das Eigentumsrecht/die Herrschaftsgewalt am Land? Der König alleine?

Theoretisch ja, der König kraft seines Amtes. Aber in der Praxis konnten die Könige/Kaiser in Deutschland (im Gegensatz zu z. B. Frankreich oder England) ihre Rechte als oberster Lehensherr auf Dauer nicht gegen die großen Fürsten durchsetzen.

Und falls ja, bedeutet das, dass niedere Adelige eigentlich gar kein eigenes Land hatten, sondern nur Lehen?

Auch niedere Adelige (z. B. die Reichsritter) konnten eine erbliche Herrschaft haben, über der nur der König/Kaiser stand. Theoretisch waren das Reichslehen, faktisch eher Eigentum. Außerdem gab es Allode, die richtiges Privateigentum waren und für die der Eigentümer keinem höheren Herrn etwas schuldig war.

In diesen Eigenschaften unterschied sich das Allod vom Lehngut, das dem Lehnsnehmer oder Vasallen eben nicht uneingeschränkt gehörte. Das Obereigentum am Lehen verblieb beim Lehnsherrn, der von seinen Vasallen unterschiedliche, zumeist durch das Gewohnheitsrecht bestimmte Leistungen verlangen konnte. Lehen war sogenanntes nutzbares Eigentum, Allod dagegen war volles Eigentum.

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsritterschaft

https://de.wikipedia.org/wiki/Allod

Und war es überhaupt rechtens, einen Teil seines eigenen Lehens an niedere Adelige weiterzugeben?

Das hing vom regionalen Lehensrecht ab und davon, was im Einzelfall im Lehensvertrag stand. Siehe auch:

https://mittelalter.fandom.com/de/wiki/Afterlehen

Woher ich das weiß:Hobby – Geschichte, langjähriges Interesse incl. Fachliteratur

PferdeTizi 
Beitragsersteller
 31.05.2024, 19:52

Eine Antwort wie aus dem Lehrbuch! Belegt, nachvollziehbar, auf jeden Aspekt eingegangen. Traumhaft, vielen Dank für deine Hilfe!

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