Was ist eine Mannigfaltigkeit in der Mathematik?

2 Antworten

Von Experte Jangler13 bestätigt

Es gibt verschiedene Arten von Mannigfaltigkeiten. Die abstrakteste, aber vermutlich auch die, die wegen ihrer Abstraktion am einfachsten zu begreifen ist, ist die topologische Mannigfaltigkeit.

Eine (n-dimensionale) topologische Mannigfaltigkeit ist ein topologischer Raum, der lokal homöomorph zum IR^n ist.

Was ist ein topologischer Raum? Im Wesentlichen ist ein topologischer Raum die Verallgemeinerung des metrischen Raumes. Ein metrischer Raum ist eine Menge, versehen mit einer Metrik, d.h. einer Abstandsfunktion. Ein Beispiel dafür ist der



wobei



die dreidimensionale euklidische Abstandsfunktion ist. Sie ordnet zwei Punkten (x,y) (wobei x und y jeweils selbst Punkte des dreidimensionalen Raumes sind) ihren Abstand zu. Dass diese "Wurzelformel" tatsächlich die Länge der direkten Verbindungsstrecke der beiden Punkte angibt, kann man sich mittels Pythagoras leicht geometrisch klarmachen.

So weit also zum metrischen Raum. Ein metrischer Raum ist irgendeine Menge (wie der IR³) mit einer Metrik/Abstandsfunktion (die per Definition einer Metrik auch noch gewisse Eigenschaften (Nicht-Ausgeartetheit, Symmetrie, Dreiecksungleichung) erfüllen muss).

Ein topologischer Raum ist nun die Verallgemeinerung eines metrischen Raumes. Die Definition eines metrischen Raumes ist etwas lästig, denn eine Abstandsfunktion ist eine sehr spezielle Funktion mit starken Eigenschaften, die man oft einfach nicht erfüllen kann (oder sich nicht überlegen "will").

Beim topologischen Raum legt man in der Definition eine Menge von Teilmengen fest, die sich untereinander wie die bekannten offene Mengen aus metrischen Räumen verhalten (Schnitt/Vereinigung zweier offener Mengen ist offen, etc.). Eine Metrik braucht man nicht, sondern nur eine Menge T und eine Menge von Teilmengen von T. Durch diese explizite Definition hat man das Prinzip des Abstands verallgemeinert - auf ein System, das ohne einen expliziten Abstandsbegriff auskommt, in dem man aber mit den wesentlichen Begriffen, die sich aus dem Abstand ergeben, arbeiten kann, nämlich den offenen Mengen. Das klingt jetzt alles sehr vage - das ist es auch. Die tatsächliche formale Definition eines topologischen Raumes würde hier den Rahmen sprengen und die Vorstellung eines metrischen Raums und die ungefähre Vorstellung eines topologischen Raumes genügt auch vollständig zum Verständnis einer topologischen Mannigfaltigkeit.

Was bedeutet "lokal homöomorph"? Wir haben nun einen topologischen Raum gegeben (etwa die Sphäre im IR³ - genauer: die Sphäre versehen mit der vom IR³ induzierten Relativtopologie). Die Zusatzeigenschaft, die ein topologischer Raum nun erfüllen muss, um die Definition einer topologischen Mannigfaltigkeit zu erfüllen, ist folgende:

Zu jeden Punkt des topologischen Raumes (also im Beispiel zu jedem Punkt der Sphäre) muss es eine Umgebung geben (in unserem Fall z. B. eine sphärische Kreisscheibe um den Punkt auf der Sphäre), die homöomorph zu einer offenen Teilmenge des IR^n (in unserem Fall IR²) ist. Damit wäre der Begriff "lokal" geklärt, er bedeutet, dass die Homöomorphie-Eigenschaft jeweils pro Punkt der Mannigfaltigkeit (und damit jeweils lokal) gegeben sein muss. Was bedeutet nun homöomorph?

Intuitiv sind zwei Teilmengen homöomorph, wenn man sie durch stetiges Verformen (quasi "vorsichtiges Kneten ohne Auseinanderreißen oder Zusammenkleben") ineinander überführen kann. Bei einer topologischen Mannigfaltigkeit muss um jeden Punkt eine Umgebung existieren, die homöomorph zu einer offenen Teilmenge des IR^n ist.

Formal bedeutet das: Es muss eine

  1. stetige,
  2. bijektive Abbildung geben,
  3. deren Umkehrabbildung ebenfalls stetig ist, die
  4. die Umgebung auf eine offene Teilmenge des IR^n abbildet.

Im Beispiel: Jede sphärische Kreisschreibe (ohne Rand) um einen Punkt der Sphäre muss man durch Ziehen und Biegen auf eine offene (d.h. "randlose") Fläche (Kreisscheibe) des IR² abbilden können. Und das klappt auch: Spärische Kreisscheiben und ebene Kreisscheiben sind homöomorph.

Intuitiv ist das klar, denn das ist ja genau das, was beim Erstellen einer Landkarte gemacht wird. Jeder Teil der (sphärisch gekrümmten) Erdoberfläche wird auf einen Teil einer (ebenen/flachen) Buchseite gequetscht. Aus diesem Grund nennt man so eine Abbildung im Kontext von Mannigfaltigkeiten auch Karte und eine Menge von Karten, die den gesamten topologischen Raum abbilden, einen Atlas.

Der Begriff einer topologischen Mannigfaltigkeit fasst diese Beobachtung und verallgemeinert sie auf beliebige Mannigfaltigkeiten, d.h. beliebige lokale Krümmungen des euklidischem Raums IR^n.

Insgesamt ist also eine topologische Mannigfaltigkeit eine Menge, die zumindest lokal die "schönen" Eigenschaften des Anschauungsraumes IR^n hat (zumindest vermittels einem Homöomorphismus), auch wenn sie diese im Gesamten nicht hat. Diese Lokalität genügt oft für fundamentale Eigenschaften und Resultate.


SiehePbFuerName 
Beitragsersteller
 11.08.2021, 03:50

Vielen Dank

die "schönen" Eigenschaften des Anschauungsraumes IR^n hat (zumindest vermittels einem Homöomorphismus), auch wenn sie diese im Gesamten nicht hat.

Ist das aber nicht mit dem Atlas möglich?

Willibergi  11.08.2021, 07:10
@SiehePbFuerName

Was meinst du? Im Allgemeinen braucht man mehr als eine Karte, um die Mannigfaltigkeit vollständig homömorph abzubilden bzw. im Allgemeinen ist natürlich nicht die ganze Mannigfaltigkeit homöomorph zu einer offenen Menge im IR^n - auch die Sphäre nicht, denn mindestens ein Pol bleibt hier immer auf der Strecke, wenn man nur eine Karte hat.

SiehePbFuerName 
Beitragsersteller
 11.08.2021, 07:36
@Willibergi

Warum hat sie die schönen Eigenschaften nicht im Gesamten? Oder ist damit gemeint, dass der IR^n noch andere Eigenschaften hat, die sind nicht haben kann? Und welche Eigenschaften sind das eigentlich?

Willibergi  11.08.2021, 08:00
@SiehePbFuerName

Das ist die falsche Frage - sie kann sie natürlich im Gesamten haben, aber die Definition einer Mannigfaltigkeit fordert das nicht. Gemeint ist vor allem, dass man sich den IR^n als Anschauungsraum gut vorstellen kann, insbesondere hat er eine einfache Basis und ist zusammenhängend. Das stellt sich bereits im einfachen Sphären-Beispiel als starker Vorteil heraus, wenn man als Karten die Kugelkoordinaten-Transformation wählt. Die Bilder der Sphäre unter dem gegebenen Homöomorphismus sind offene Rechtecke in der Ebene - viel viel einfacher zu überblicken als die Sphäre. Und die Sphäre ist wegen ihrer hohen Symmetrie ohnehin schon ein einfacher Spezialfall - man denke nur mal an verquertere topologische Räume.

Najix  10.08.2021, 11:34

Das war die Antwort, die ich hier sehen wollte xD. Wenn du es noch genauer machen willst, kannst du noch die Hausdorff-Eigenschaft und das zweite Abzählbarkeitsaxiom erklären

Willibergi  10.08.2021, 11:41
@Najix

Mir geht es hier nicht um formale Vollständigkeit, sondern um grundlegendes, intuitives Verständnis - ist ja keine Vorlesung hier. Die Hausdorff-Eigenschaft und das 2. AA sind eher formale Geschichten und auf topologische Räume überhaupt bin ich hier ja auch gar nicht konkret eingegangen, weil es dem Laien mE nur einen bescheidenen Einblick liefert.

Eine Mannigfaltigkeit ist etwas, das, wenn man Teile davon aus der Nähe betrachtet, aussieht wie ein normaler metrischer Raum.

Wenn man jedoch weiter weg geht und herauszoomt, sieht man, daß es kein metrischer Raum ist, sondern irgendwie gekrümmt.

Einfaches Beispiel: Die Erdoberfläche.

Nicht einfaches Beispiel: Die Raumzeit in der Nähe einer hochkonzentrierten Masse.