Warum wird der Philodox vernunftskünstler genannt?

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Immanuel Kant bezieht sich bei der Bezeichnung «Philodox» auf Platon, Politeia 480 a. Platon (bei dem in seinen literarischen Dialogen Sokrates oft die Hauptfigur ist) verwendet dort den Begriff «Philodox» (griechisch: φιλόδοξος [philodoxos]) in Entgegensetzung zum Begriff «Philosoph»: Menschen, die nur freundlich aufnehmen und lieben, was in den Bereich von Meinung gehört, sollen «Philodoxe» genannt werden, Menschen, die Erkenntnis/Wissen/Einsicht freundlich aufnehmen und lieben, die jedes Seiende freundlich aufnehmen, sollen Philosophen genannt werden. Platon versteht also unter einem Philodoxen an der genannten Stelle einen Meinungsliebhaber/Freund der Meinung/Meinungsliebenden.

Von Immanuel Kant wird der «Philodox» «Vernunftkünstler» genannt, weil er die Vernunftkunst gut beherrscht, also ein Können und eine Geschicklichkeit besitzt, viel theoretisches Wissen darzulegen und sich zu allen möglichen Fragen scharfsinnig und dem Anschein nach vernünftig zu äußern. Der «Philodox» versteht sich darauf, kunstvoll von der Vernunft Gebrauch zu machen.

Das Wort «Künstler» bedeutet jemanden, der Kunstwerke erschafft bzw. eine außergewöhnliche Fertigkeit und Geschicklichkeit erworben hat. Das Wort «Kunst» ist ja in seiner Bedeutung mit Können und Geschicklichkeit verbunden.

Der «Philodox» ist bei Immanuel Kant mit dem Schulbegriff der Philosophie verknüpft, im Gegensatz zum wahren Philosophen, der mit dem Weltbegriff der Philosophie verknüpft ist.

Beim Schulbegriff der Philosophie gibt es im Unterschied zum Weltbegriff der Philosophie eine Einschränkung bei der Zwecksetzung und Sinnbestimmung:

  • nur die logische Vollkommenheit der Erkenntnis als Zweck
  • Philosoph ist Vernunftkünstler/Philodox (geschickt in der Beantwortung aller möglichen Fragen, strebt nach spekulativem Wissen, ohne darauf zu achten, wie viel das Wissen zum letzten Zweck der menschlichen Vernunft beiträgt)
  • Wissenschaft nur als eine Geschicklichkeit zu beliebigen Zwecken, philosophische Theorie als Selbstzweck
  • Philosophie ist eine Lehre der Geschicklichkeit

Textstellen bei Immanuel Kant, wo der «Philodox» vorkommt:

Immanuel Kant, Logik. Einleitung. III. Begriff von der Philosophie überhaupt - Philosophie nach dem Schulbegriffe und nach dem Weltbegriffe betrachtet. - Wesentliche Erfordernisse und Zwecke des Philosophirens. - Allgemeinste und höchste Aufgaben dieser Wissenschaft. AA IX, 24:

„Der Vernunftkünstler oder, wie Sokrates ihn nennt, der Philodox, strebt bloß nach speculativem Wissen, ohne darauf zu sehen, wie viel das Wissen zum letzten Zwecke der menschlichen Vernunft beitrage; er giebt Regeln für den Gebrauch der Vernunft zu allerlei beliebigen Zwecken. Der praktische Philosoph, der Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel, ist der eigentliche Philosoph. Denn Philosophie ist die Idee einer ist der eigentliche Philosoph. Denn Philosophie ist die Idee einer vollkommenen Weisheit, die uns die letzten Zwecke der menschlichen Vernunft zeigt.“

Immanuel Kant, Kants gesammelte Schriften. Band 24 = Abteilung 4, Vorlesungen ; Band 1: Vorlesungen über Logik. Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Hälfte 1. Berlin ; New York : de Gruyter, 1966, S. 383 (Vorlesungen über Logik. Logik Philippi. Vom anderen Abschnitt. Von der Weitschweifigkeit der gelehrten Erkenntnis. § 53):

„Plato unterschied die Philosophie und die Philodoxie. Philodox ist der sich alle Geschicklichkeit erwirbt, alle möglichen Quaestionen sie mögen noch so abgeschmackte Zwecke haben, zu beantworten. Der Philosoph im akademischen Verstande ist ein solcher Philodox, allein der wahre Philosoph ist der der sich fähig zu machen sucht nur das zu erkennen was der wahren Vollkommenheit und der höchsten Bestimmung des Menschen angemessen ist.“

Immanuel Kant, Logik-Vorlesung : unveröffentlichte Nachschriften. Bearbeitet von Tillmann Pinder. 1: Logik Bauch, Hamburg : Meiner, 1998, S. 36 – 38:

„Sokrates machte schon einen Unterschied zwischen einem Philodoxen und einem Philosophen. Ein Philodox ist der, der die Vernunftskunst gut versteht, überhaupt, der über Gegenstände vernünfteln kann. Ein Philosoph aber ist ein solcher, der den zweckmäßigen Gebrauch der Vernunft versteht. Diese Wissenschaft ist die Vernunftkunde. Diese enthält die Gesetze, nach welchen ich die allgemeine Erkenntnis und zwar alle meine allgemeine Erkenntnis in eine Uebereinstimmung mit dem allgemeinen obersten Zweck der Vernunft oder mit dem allgemeinen obersten Zweck der Wahrheit, wozu die Vernunft bestimmt ist, bringen und verbünden kann. Dieser allgemeine Zweck ist; die Glückseligkeit; Derjenige Theil der Philosophie; welcher von dem zweckmäßigen Gebrauch der Vernunft handelt, ist der practische Theil. Ein zufälliger Gebrauch der Vernunft ist ein solcher; der auf einen gewißen beliebigen, zufälligen Gebrauch der Vernunft abziehlt; wozu Geschicklichkeit erfordert wird. Die Klugheit würde ich nennen: die Erkenntnis der Mittel zum allgemeinen Zweck, nemlich der Glückseligkeit.

Weisheit ist die Erkenntnis aller theoretischen Erkenntnisse in der Uebereinstimmung mit dem allgemeinen obersten Zweck. Der Weise muß eine solche Erkentnis besitzen, da er alle Zwecke mit dem allgemeinen obersten Zweck in eine Uebereinstimmung erkennen kann. Der Weg der Weißheit geht aber durch die Wissenschaften; also wird die Vernunftkunst dazu erfordert. Daher hat man auch die Philosophie betittelt: Nachforschung der Weisheit. Es besitzen viele die Vernunftkunst z. B. wer in der Naturlehre sich ausgebreitete Erkenntnis erworben hat ist nur ein Vernünftler; aber zu einem Philosophen gehört mehr. Er muß alle Seine Kentnisse a priori zu einer Einheit bringen können. So auch ist der, welcher eine bloße Logik blos geschrieben hat, ein Philodox; der da vernünfteln kann, aber noch kein Philosoph ist. Hieraus erhellet der Unterschied zwischen einem Philosophen und einem solchen, der Philosophie versteht, philosophische Erkentnisse hat. Zum ersten gehört mehr, als zum letzten. Es kann jemand viel philosophische Erkentnisse besitzen, Es kann jemand viel philosophische Erkentnisse besitzen, ohne ein Philosoph zu seyn z. B. wenn er blos ein guter Naturkundiger ist. E i n P h i l o s o p h ist der; welcher nach den obersten Kräften der Vernunft handelt, der alle seine Erkentnisse mit allen seinen Zwecken und alle seine Zwecke mit dem obersten Zweck in Uebereinstimmung bringt. Hierzu aber werden viele Wissenschaften erfordert. Man muß die Grenzen der Vernunft gut kennen und die Wissenschaften nach ihrer Beziehung auf einen allgemeinen Zweck bestimmen können. Dieser practische Theil, der von dem zweckmäßigen Gebrauch der Vernunft handelt, schrenkt den theoretischen Theil sehr ein; denn es müssen viele Wissenschaften weggelassen werden, die so beschaffen sind; daß sie keine Beziehung auf den gemeinen obersten Zweck der Menschheit haben.“


anonym111443 
Beitragsersteller
 02.10.2021, 14:42

ich danke dir!! 😍

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