Ostalgie erklärt?

12 Antworten

Der Tip "Trabi" zum Thema Ostalgie ist einer der dümmsten, den man geben kann. Offensichtlich hat Deine Lehrerin Null Ahnung vom Thema.

Ostalgie ist nicht zuletzt auch Ausdruck des Widerstands dagegen, daß aus ideologischen Gründen Lebensleistungen und Biografien von Millionen Menschen pauschal abgewertet und diffamiert werden und ist Ausdruck des Widerstandes gegen den medialen Dauerbeschuß gegen den Osten. Sie ist auch eine Art legitimer Trotzreaktion gegen die auf wirtschaftlicher und damit medialer Übermacht beruhender "Deutungshoheit" westlicher Propagandisten. Sie ist eine Reaktion auf die Kolonialisierung des Ostens durch den Westen, auf die Tatsache, daß (auch 28 Jahre nach der Wende) die Leitungsebenen im Osten zu etwa 95% von Wessis besetzt sind und Wessis ebenfalls die ostdeutschen Grundbücher beherrschen.

"Wann ist die Einheit vollendet? Wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch gestrichen wurde."

Die wenigsten Ostdeutschen wünschen sich die DDR zurück. Aber sie fordern eine Anerkennung ihrer Biografien und Lebensleistungen und eine Anerkennung der Aspekte, in denen die DDR der BRD weit voraus war. Das waren zum Beispiel die Themen soziale Sicherheit, Gleichberechtigung, Bildungsniveau, Kinderbetreuung, Wohnraum usw...

Der Osten hat mit seiner ersten De-Industriealisierung die Reparationen für den Westen mitbezahlt und nach einer hart erarbeiteten gesellschaftlichen Aufbauleistung durch die Treuhand eine zweite De-Industrialisierung hinnehmen müssen, die den Zweck hatte, Billigkonkurrenz aus dem Weg zu räumen. Und zum Hohn muß man sich von besonders frechen Besserwissern sagen lassen, man wäre faul gewesen.

"Die Geschichtsaufarbeitung in der heutigen Bundesrepublik ist geprägt durch vereinfachte westliche Erfolgsgeschichten auf der einen und durch ostdeutsche Horrorgeschichten auf der anderen Seite. Geschichtsbetrachtung wird von aktuellen Westnormen bestimmt, ostdeutsche Erfahrungen werden marginalisiert. Der Einigungsprozess wird dadurch stark belastet."

(Prof. Andrew H. Beattie in "Learning from the Germans? History and Memory in German and European Projects of Integration", University of Technology Sydney, 2007)

In der DDR gab es auch sehr viele Arbeitslose. Nur war im Sozialismus per Definition niemand arbeitslos. Es standen dann halt 10 Leute um eine Drehmaschine herum, an der am Ende doch nur einer arbeiten konnte. Es gab sogar ein Gesetz, dass "assoziale Lebensführung" verbot. Das heißt, wer obdachlos wurde, ist von der Polizei verhaftet und inhaftiert worden. Im gewissen Sinne auch nicht schlecht, im Gefängnis sind sie dann wenigstens nicht erfroren.

Ostalgie heißt, dass die Leute heute noch gerne Ostprodukte kaufen, vor allem gewohnte Lebensmittel: Bautzner Senf, Pfeffis, Jagswurst, Jägerschnitzel (das ist eine panierte dicke Scheibe Jagswurst mit Letscho serviert). Oder auch Gebrauchsgegenstände aus der DDR-Produktion. In der DDR gab es ein Gesetz, das vorgeschrieben hat, dass alle Gebrauchsgegenstände mindestens 25 Jahre halten sollen. Das stimmt. Viele Sachen haben so lange und noch länger gehalten. Ein DDR-Fahrrad hält länger als 25 Jahre, ist aber auch kein Leichtbau, sondern aus richtig dicken Eisenrohren gelötet. Die andere gute Sache an DDR-Produkten war, dass man sie fast immer mit handelsüblichen Werkzeugen reparieren konnte. Da war nichts geklebt, geclipt oder mit komischen Torxschrauben verschwurbelt.

Mit "Trabi" bezeichnete man ein Auto in der DDR, der Trabant https://de.wikipedia.org/wiki/Trabant_(Pkw) . Man nannte es auch Rennpappe oder einfach nur Pappe, weil die Karosserie aus mit Kunstharz getränkter Pappe hergestellt wurde. Gegen die DDR gab es nämlich ein Feinblech-Handelsembargo, somit war Feinblech in der DDR Mangelware. Als der Trabant in der Volkskammer vorgestellt wurde, stand einer der Mitglieder auf und rief empört: "Der Trabant ist eines modernen Industriestaates nicht würdig!" Nicht einmal arme afrikanische Länder wollten den Trabant haben, Südafrika bezeichnete ihn als "Witz auf vier Rädern". In Südafrika importierte man später lieber den VW Golf I, bzw. er wurde dann dort auch gebaut, als in Deutschland längst neuere Golfmodelle auf dem Markt waren. Außer dem Trabant gab es noch den Wartburg und den Moskowitsch. Eine Weile wurde Autos von Citroen, der VW Golf I und der Mazda 323 (1986er Modell) importiert. Diese Autos waren in der DDR sehr begehrt. Aber Parteimitglieder und Funktionäre bekamen sie nicht, denn die mußten ja gleicher als alle anderen sein.

"Nostalgie" ist die positive Verklärung einer oft gar nicht so guten Vergangenheit. Das selbe gilt für den Begriff "Ostalgie"! Die Menschen, die ihr anhängen, sehen AUSSCHLIESSLICH die positiven Seiten des Systems: Eas gab keine Arbeitslosigkeit, Mieten und Nebenkosten waren bezahlbar und Lebensmittel ebenfalls. Ich kenne\kannte sehr viele "gelernte" DDR-Bürger und viele träumten trotz jahrzehntelangem Bundesbürger-Dasein noch immer von"originalen DDR-Produkten" die es jetzt nicht mehr gibt. als "Wessie" freue ich ich mich über Burger Knäcke, Altenburger Camembert und Radeberger Pilsener. Über Spreewald Gurken und Halloren Kugeln muß ich mich wohl nicht äußern.


abcdefg241  12.01.2019, 22:51

Die Lebensmittel, dies gab, waren bezahlbar. Gab halt nicht viele.

Der Begriff stammt - wie ich in einem Kommentar hier erläuterte - sehr wohl auf eine ostdeutsche Wortschöpfung zurück. Er umfasst all das, was "früher doch nicht alles schlecht war". Die Antwort von Fuchssprung ist schon sehr gut, die von soissesPDF finde ich mehrheitlich voll daneben. Man erinnert sich gern an das, was aus heutiger Sicht damals gut war und heute offenbar fehlt. Warum das damals gut war oder warum es heute fehlt, ist dabei erstmal nicht interessant und wird nicht gern hinterfragt.

Z. B. die vielgelobte Kinderbetreuung. Warum war die denn so wahnsinnig toll organisiert? Und so vielfältig? Sport, Arbeitsgemeinschaften, Pioniernachmittage... Und dann auch noch kostenlos? - Ganz einfach, um den Einfluss des Staates auf den Nachwuchs zu sichern. Viel Freizeit im staatlichen Einflussbereich besetzen, Gemeinschaft fördern, Ziele in die Köpfe pflanzen, sozialistisch gleichgeschaltete Persönlichkeiten schaffen. Keinen Individualismus zulassen. Das wäre für den Staat und seine eine Partei gefährlich. Die es doch taten, ohne System ihre Freizeit frei zu gestalten, wurden drangsaliert, schikaniert, ausgegrenzt, sanktioniert.

Auch ich habe es damals als angenehm empfunden, klar. 3x Ferienlager, Rundumbetreuung und Vollverpflegung inkl. Programm, Modellbau- und Computer-AG, Spezialistenlager EDV, Wasserwacht, Handball, Fußball. Nix kostet was. Außer Taschengeld zum Mitgeben. Es wurde alle auch unheimlich zu 100% subventioniert, unheimlich hoher Aufwand, um die Kontrolle zu behalten.

Alkohol gab es reichlich, das kleine Glück zur Ruhigstellung. Die Gemeinschaft war stärker ausgeprägt, auch durch die Hilfsbereitschaft untereinander. Gleichzeitig gab es aber dadurch auch viel Kontrolle untereinander, jeder stand jedem näher als heute. Nicht gern gesehen wird die fehlende Reisefreiheit, Religionsunterdrückung, die fehlende freie Persönlichkeitsentwicklung, fehlende Pressefreiheit, der unbewegliche Staatsapparat, die Abhängigkeit von der Sowjetunion, das Schlange stehen (nicht nur bei Bananenm, das ging schon beim Bäcker los), das Warten auf ein Neufahrzeug, was schon völlig veraltet war...

Der Blick zurück ist also vielschichtig, oft verklärt. Rest der psychologischen Bewertung liest du bei Fuchssprung. Ich will die positiven Aspekte nicht völlig absprechen, aber man sollte sie kritisch hinterfragen.

Bin selbst nicht aus dem Osten, aber die Bürger dort geben oft an, dass sie im Osten zwar materiell schlechter gelebt haben aber ein größerer Zusammenhalt und eine höhere Hilfsbereitschaft vorhanden waren. Dann sind ihnen viom damaligen Kanzler Kohl "blühende Landschaften" versprochen worden, die es so nicht überall gibt. Viele Städte haben Einwohnerschwund, weil die Leute zur Arbeit westwärts fahren müssen.

Der Trabi war zwar ein sehr einfaches Auto,

 aber er war erschwinglich, wenn es auch sehr lange Lieferzeiten gab. Im Rückblick verklärt sich auch so manches.

Fazit: Die meisten Ostbürger dürften sich wirtschaftich verbessert haben. Aber sie scheinen ein anderes Heimatgefühl zu haben als die Bürger aus dem Westen.