Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Sturm & Drang und Klassik?

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Gemeinsam ist beiden der Idealismus und die antibürgerliche Attitüde. Sowohl der St.-u.-Drang-Mensch als auch der Protagonist eines "klassischen" Romans (Wilhelm Meister) streben nach geisti­gen Zielen. Werther z.B. verabscheut das engherzige Vernunftdenken der bürgerlichen Gesellschaft (erst recht verabscheut er das Klassendenken der Adelsgesellschaft), ihm steht das Ideal des seelen­vollen, mitfühlenden und barmherzigen Menschen vor Augen. Wilhelm Meister strebt nach dem Ideal der Kunst, er möchte Schauspieler werden und große Dramen ("Hamlet") inszenieren. Später findet er Eingang in die elitäre Turmgesellschaft, die sich eigene Gesetze, jenseits von Spießbürge­rei oder Adelshochmut, gibt. Lothario, die zentrale Figur des “Turms“, betrachtet seine frühere Teilnahme am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als romantische Verirrung. 'Wie anders seh' ich jetzt die Dinge, und wie ist mir das Nächste so wert, so teuer geworden!' In seinem Baumgarten, mitten unter den Seinen, will er in Zukunft zum Nutzen anderer wirken . Unter dem Einfluß dieser Lehre wurde der "Turm" zu einer von pädagogischen Interessen geleiteten philanthropischen Unternehmung. Dass der Roman die Schwächen der Turmgesellschaft deutlich ins Licht setzt, verhindert ihre Entrückung ins Chimärisch-Utopische. In diesem Plan für eine fruchtbare Tätigkeit zum Wohle anderer wirkt das Ethos des Abbe (einer anderen Figur im Roman) fort, das früher das Interesse des "Turmes" auf die 'Bildung seiner Mitbürger' gelenkt hatte und das sich im Al­truismus Natalies spiegelt. Indem Wilhelm auf die Verbindung mit Natalie zustrebt, gibt er zu er­kennen, daß er sich diesem Ethos (der Turmgesellschaft) verpflichtet.