Beziehung von Thomas Buddenbrook zu Hanno Buddenbrook

1 Antwort

Die Menschen spielen Rollen. Und Menschen glauben, sie seien die Rollen, welche sie gerade spielen. Und mit jeder Rolle ist auch eine gewisse Anzahl von Erwartungen verbunden. Im Grunde begegnen sich Schauspieler, welche ihre Rollen so gut wie möglich spielen.

Und der Andere macht genau das Gleiche. Rollen begegnen sich, tauschen sich aus und gehen wieder ihrer Wege. Jede Rolle lebt in einem Umfeld von Erwartungen, an denen nicht gerüttelt werden darf, da sie dem Menschen ein künstliches Ich-Gefühl vorgaukeln. Das Rollenspiel täuscht darüber hinweg, wer ein Mensch im Grunde ist, da es ohne ein Ego-Bewußtsein nicht lange überleben kann.

Erst dann, wenn sich der Mensch von Allem als getrennt fühlen kann – erst dann wird das Rollenspiel zur Selbsttäuschung, da das Ich-Gefühl nur aus einer Ansammlung von Gedanken über sich selbst besteht. Diese Gedanken entstehen oft aus einer Art Erwartungshaltung der vorausgegangenen Generation, welche ihre unerfüllten Wünsche in die Kinder projiziert.

Die Kinder sollen das erreichen, was mir verwehrt war zu erreichen – so sprechen die Eltern oft dann, wenn es um die Zukunft der Kinder geht. Die Kinder sollen es einmal besser haben als wir Eltern es hatten, und so geben sie unbewußt zu, daß sie es im Leben nicht geschafft haben zu sein, wer sie sein wollten – also welche Rolle sie spielen wollten.

Und Thomas Mann verteilt die Rollen auf jede Person, die in seinem Roman eine tragende Rolle zu spielen hat. Die Hauptrollen sind von Nebenrollen umlagert, welche die Geschichte als ein Ganzes erscheinen lassen. Es ist die Zeit, in der das Ansehen ein Ziel für so manch angesehene Familie war.

So wurde der Besitz zu dem, was man den Menschen zeigen konnte, um sich noch mehr von ihnen als getrennt fühlen zu können. Wenn man mehr besaß als Andere, wurde man somit auch zu mehr Mensch, und hatte somit mehr zu Sagen als solche, die kaum etwas Materielles besaßen. Zeige, was du hast, und wir sagen dir, wer du bist.

Doch der kleine Buddenbrook entwickelte kein Verlangen nach materiellem Besitz. Er war der Musik zugetan, als er seine Mutter auf dem Instrument spielen hörte. Zusammen mit dem Musikgelehrten boten sie dem Kind eine Musikwelt, in der er völlig aufzugehen bereit war. Eine damit verbundene Entfremdung zum Vater, schien die Mutter nicht sonderlich zu stören, da ihr die Welt der Kaufleute relativ fremd erschien.

Was blieb dem Vater anderes übrig als zu warten, bis dieser musikalische Einfluß, dem sein Sohn nun einmal ausgesetzt war, anderen Interessen Platz gemacht hatte. Und so übte er sich in Geduld und ließ die Zeit verstreichen. Immer wieder fragte er seinen Sohn, ob er Gefallen an der Arbeit des Vaters finden könne, oder ob ihn etwas völlig anderes anziehen würde.

Thomas Mann schildert nicht so sehr die Leiden des Vaters, als vielmehr die Erlebniswelt des kleinen Buddenbrook. Das sich Entfernen von der Welt des Vaters hinüber in die Welt der Mutter, spiegelt dem Kind eine Unmöglichkeit wieder, an der er über kurz oder lang zerbrechen muß. Und genau so sieht es Thomas Buddenbrook, als er seinem Sohn die Geschäftswelt des Kaufmanns zeigt und dessen Reaktionen wahrnimmt.

Ein einziger Schultag im Leben von Hanno genügt, um die Verfassung des Kindes dem Lernen gegenüber zu schildern. Thomas Mann spielt hierbei die Rolle eines Reporters, welcher ohne jegliche Regung den nackten Ablauf des Geschehens darstellt. Parallelen zum Wer von Hermann Hesse – Unterm Rad – werden hier sichtbar. Eine Zerstörung der kindlichen Psyche, um aus diesem Schüller einen gehorsamen Bürger zu machen, welcher im Ernstfall auch für den Staat bürgen darf.

Und somit sind die Erfahrungen, welche das Bewußtsein jetzt noch machen könnte – sowohl durch den Vater, als auch durch den Sohn – immer mehr eingeschränkt. Die Folge hiervon ist, daß sich Bewußtsein wieder aus der Form zurückzieht. Der Mensch stirbt, gleichgültig, in welchem Lebensalter er sich gerade befinden mag.

Was ist eine Beziehung? Das ist ein Thema, mit dem sich Thomas Mann des öfteren auseinandersetzt. Wer oder was bezieht sich – worauf? Hanno zeigt dem Vater das, was der Vater nicht bereit ist, zu akzeptieren, daß er es unterdrückt. Gleichsam zeigt der Vater dem Sohn eine Welt der Kaufleute, wogegen sich der Sohn – und die Mutter des Kindes – mit dieser anderen Realität nicht anzufreunden gewillt scheinen.

Und so verlassen beide – Vater und Sohn – diese Realität und sterben dahin. Nun können auch der Name, und alles was damit in Zusammenhang steht, sterben. Schon bald beginnen die Verwandten, die Spuren dieser Familie zu beseitigen, indem sie Güter und Besitztümer verkaufen, um klare Verhältnisse innerhalb der Sippe herzustellen.

Auch kommt der Tag, an dem der Name Buddenbrook erst wieder erinnert werden muß, da er im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten mußte. Ruhm, Glanz und Ansehen unterliegen den Lauenen der Zeit. Es gibt kein Wachstum in die Unendlichkeit. Kein Baum wächst in den Himmel. Alles kommt und geht auch wieder.

Herzliche Grüße


Queeezy 
Beitragsersteller
 12.12.2012, 18:12

Die Antwort ist zwar zu spät, aber dennoch sehr gut.

Vielen Dank!