Bertolt Brecht -

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Brechts Werke behandeln eigentlich nicht den Kommunismus, sondern den Kapitalismus. Sie entfalten die Widersprüche des Kapitalismus vor dem Hintergrund der Selbstbestimmung - gewöhnlich der proletarischen Massen, aber ich halte es für gerechtfertigt, das zu generalisieren als Postulat der Selbstbestimmung des Individuums. Dabei zeichnete sich Brecht von Anfang an als Gegner des Bürgertums aus, sowohl was das Spießertum des Kleinbürgers beim jungen Brecht als auch später die Bourgeosie als gesellschaftliche Klasse betrifft.

Das Problem, auf deine Frage korrekt zu antworten, liegt in den Vorstellungen, was denn Kommunismus sei. Man kann auf deine Frage nicht einfach mit "Ja" antworten, weil sich mit dem Ausdruck "Kommunismus" ein breites Spektrum verschiedenster Positionen verbinden, die sich zum Teil äußerst kontrovers gegenüberstehen. Und weil die Entwicklungsdynamik politischer Bewegungen sich nicht an begriffliche Vorgaben hält. Das Absurde ist, dass der historische Kommunismus im Sinne der Systeme des Ostblocks begriffstheoretisch überhaupt kein Kommunismus ist. Was es nicht eben einfacher macht, deine Frage zu beantworten.

Politisch-theoretisch ist Kommunismus ein Gesellschaftsmodell, das entweder das Privateigentum an Produktionsmitteln oder jedes Privateigentum abschafft. Der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum kommt allen Gesellschaftsmitgliedern zugute ("Jeder gemäß seinen Fähigkeiten, jedem gemäß seinen Bedürfnissen"). Eine "mildere" Form wäre der Sozialismus, von Marx als eine Übergangsphase zur klassenlosen Gesellschaft gedacht. Bis zum Ersten Weltkrieg waren beide Begriffe nahezu synonym, durch die Spaltung der sozialistischen Bewegung infolge des Krieges und der Russischen Revolution wurde eine Differenzierung nötig. Weder Sozialismus noch Kommunismus sind übrigens gleichzusetzen mit einer zentralisierten staatlichen Planwirtschaft, der Form, die der Staatssozialismus des Ostblocks seiner wirtschaftlichen Sphäre gab.

Nicht alles, was sich dann kommunistisch nannte, erfüllte tatsächlich die begrifflichen Vorgaben. Tatsächlich zeichneten sich die vorgeblich kommunistischen Parteien des Ostblocks vor allem dadurch aus, sich zwischen die Bevölkerung und die klassenlose Gesellschaft zu stellen. Die „sozialistische Übergangsgesellschaft“ diente als Gelegenheit, die alte privilegierte Klasse der Bourgeoisie durch die neue der Parteibonzen zu ersetzen. Das ostdeutsche politische System begriff sich selbst explizit als sozialistisch, nicht kommunistisch, die DDR sollte eine reale Form der sozialistischen Übergangsgesellschaft darstellen. Spätestens mit dem Aufstand vom 17. Juni 1953 war eigegentlich klar, dass die „Diktatur des Proletariats“, die als Notwendigkeit angesehen wurde, solange der unauflösbare Interessengegensatz zwischen den gesellschaftlichen Klassen nicht in der klassenlosen Gesellschaft aufgehoben war, sich längst zu einer de facto Diktatur der Partei verfestigt hatte.* In den bürgerlichen Medien im Westen wird diese Diktatur der Partei üblicherweise als „der Kommunismus“ herausgestellt, was eigentlich jeder begrifflichen Grundlage entbehrt und wohl nur als Polemik gegen antikapitalistische Bewegungen im Westen zu erklären ist.

Im Sinne dieser Diktatur der Partei(bonzen) war Brecht sicher kein Kommunist.

Im Sinne einer Parteinahme für die arbeitende Klasse schon. Aber das betrifft alle „Kommunismen“ und „Sozialismen“, von denen sich viele spinnefeind waren. Es wird Brecht gerechter, wenn man ihn als Marxisten begreift, denn sein Interesse am Sozialismus begann nicht mit irgendwelchen Heilsversprechen, sondern mit Marx' dialektischer Denkweise.

Insofern kann (und muss) man Brecht als Marxisten begreifen.

Brechts Weg zu Marx hatte seinen Ausgangspunkt nicht im politischen Kampf, sondern im Lesen von Marx' Schriften. Seine Marxlektüre begann 1926 und dauerte bis zu seinem Tod fort. Das Produktive der Marxlektüre für Brecht bestand darin, dass er seine fundamentale Opposition zum herrschenden System nicht mehr im Antisozialen heroisch-tragisch aushalten musste, sondern im philosophischen Materialismus von Marx den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft versöhnen konnte. Brechts erster Lehrmeister im Marxismus war der Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Fritz Sternberg. In den Worten Hans Mayers: „Sternberg war politisch ein Gegner des offiziellen Kommunismus. Ein Marxist, ebendarum (..) kein Stalinist.“ Sein bedeutendster Lehrmeister, den Marxismus betreffend, war Karl Korsch. Auch Korsch war ein Marxist, der sich gegen die Doktrinen und die Praxis des machtpolitisch erfolgreichen Stalinismus wandte und deshalb 1926 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde. In den sechziger Jahren wurde Korsch vornehmlich im Zusammenhang mit rätekommunistischen Ideen rezipiert, die die kommunistische Eigentumsidee mit Elementen direkter Demokratie verbinden.


Thelema  20.05.2014, 03:29

Es wird Brecht aber generell nicht gerecht, ihn in ein Raster vorgefertigter Ideologien einzuordnen.

Glücklicherweise ist Brecht als Künstler nicht eindimensional genug, dass er sich unter einen Begriff fassen ließe. Keine Schublade ist groß genug, um seine Widersprüche zu fassen. Und sein Denken lässt sich auch weniger durch Ergebnisse aufschlüsseln (→ „Sozialismus“) als durch seine Methode (→ Kritik). So ist es auch die Marx'sche Methode, die ihn am Marxismus anzieht und seine literarische Methode wie seine Denkweise prägt – das Aufzeigen der im System angelegten Widersprüche, die den Menschen daran hindern, sein Potential zu entfalten, ohne wiederum andere daran zu hindern; das Entwickeln einer exemplarischen Geschichte aus diesen Widersprüchen; und der Versuch, den Leser/Zuschauer in die Lage zu versetzen, eine eigene Position zu der Situation/Geschichte zu beziehen. Brechts Darlegung des Epischen Theaters als eine Methode, Dramatik zu einer Kommunikationsform zu machen, die in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreift, indem sie die Zuschauer zur aktiven Stellungnahme drängt, ist ein gutes Beispiel für ein literarisches Credo, das Gesellschaft als einen Prozess von Interaktionen zwischen ihren bewusst eingreifenden Mitgliedern denkt, durch die gesellschaftlichen Formen hindurch. Brechts Zuschauer sollen dabei nicht staunend als Objekte seiner Stücke dem Sozialismus huldigen, sondern sich zu kritischen Subjekten ihrer Lebensverhältnisse entwickeln. Die Ergebnisse des Denkens und Handelns dieser Subjekte werden nicht vorgegeben, sondern bleiben prinzipiell offen.

In diesem Sinne ist auch der aus „Der gute Mensch von Sezuan“ leicht abgewandelte Satz zu verstehen, mit dem Reich-Ranicki jede Sendung seines „Literarisches Quartetts“ beendete: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

.

Um den Bogen von Reich-Ranickis Bemerkung über Brecht zurück zu Reich-Ranicki zu spannen ... :D

.

*.) Bertolt Brecht: Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni

Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

In der Stalinallee Flugblätter verteilen,

Auf denen zu lesen war, daß das Volk

Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe

Und es nur durch verdoppelte Arbeit

zurückerobern könne. Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volk auf und

Wählte ein anderes?

0

Er hat wohl mit den Zielen der Kommunisten geliebäugelt, aber er war nie Mitglied einer solchen Partei.

Ein Krimiautor ist auch nicht immer ein Mörder...... wenn wir mal von Edgar Allan Poe absehen.


mychrissie  29.06.2014, 14:44

Wieso! War Poe ein Mörder? Nie davon gehört!

0

Aus Wikipedia:

Brecht entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zum überzeugten Kommunisten und verfolgte fortan mit seinen Werken wie dem Stück Mann ist Mann (UA 1926) politische Ziele. Er trat aber nie in die KPD ein. Brechts Marxismus-Rezeption wurde sowohl von undogmatischen und parteilosen Marxisten wie Karl Korsch, Fritz Sternberg und Ernst Bloch als auch von der offiziellen KPD-Linie beeinflusst.

D.H. Er war sicherlich zumindest zeitweise Kommunist, ohne aber der Kommunistischen Partei anzugehören.


Sempii 
Fragesteller
 19.05.2014, 21:18

Ich denke man sollte wikipedia in dieser hinsicht nicht so viel glauben wie marcel reich ranicki schenken,denn Ranicki kannte brecht im gegensatz zu wikipedia persönlich

0
Thelema  20.05.2014, 00:31
@Sempii

Warum fragst du überhaupt noch, wenn du dir deine Meinung offensichtlich schon gebildet hast?

Wikipedia funktioniert nicht so, dass jeder, der Lust hat, seine Meinung abzulassen, dort Texte verfassen kann. In der Regel sind das Leute vom Fach, die das, was sie in der Literatur gefunden haben, dort zusammentragen. Und die Wikipedia-Passage von Bswss deckt sich mit den Ergebnissen der einschlägigen Literatur, Reich-Ranicki hin oder her.

Was Reich-Ranickis Bemerkung betrifft, so hätte ich gerne den genauen Wortlaut und den Kontext, in dem das gefallen ist. So, wie du es hier formuliert hast, ist das in sich recht widersprüchlich. Reich-Ranicki ist nun nicht unbedingt für seine Differenziertheit bekannt, aber ich glaube, du hast ihn hier so weit verkürzt, dass das nicht mehr Reich-Ranickis Aussage ist. Zumal Brechts Werke nicht vom Kommunismus handeln, sondern vom Kapitalismus. Aus der Perspektive seiner Veränderbarkeit. Das wird auch Ranicki nicht entgangen sein.

0

Warum ist er dann nach dem Krieg ganz bewusst nach Ost-Berlin gegangen?


Sempii 
Fragesteller
 19.05.2014, 21:16

Ich hab mich mal schlau gemacht und erfahren dass er keineswegs freiwillig nach ost berlin gegangen ist, er wollte viel lieber in Salzburg bleiben, doch das wurde ihm verhindert.

0
Thelema  20.05.2014, 01:07
@Sempii

Brechts Perspektive war von Anfang an Berlin, er hat sich aber nach einem Gespräch mit Anna Seghers, die er bei seiner Ankunft in Europa in Paris traf und über die Verhältnisse in Deutschland ausfragte, zunächst anders entschieden, weil Berlin ihm isoliert zu werden drohte. Seine Idealvorstellung war die Verbindung zu allen Bühnen im deutschsprachigen Raum. Seine Versuche in der Schweiz scheiterten an den fehlenden Voraussetzungen für Brechts Ästhetik, für den amerikanischen Sektor erhielt er kein Einreisevisum; Österreich wurde interessant wegen einer Einladung zur Mitarbeit an den Salzburger Festspielen. Zur selben Zeit, als er einen Antrag auf österreichische Staatsbürgerschaft stellte, war er bereits dabei, ein Theater in Ostberlin aufzubauen. Man kann wohl sagen, dass er sich nach allen Seiten hin offen gehalten hat. Letzten Endes hat er sich dort niedergelassen, wo die Bedingungen für seine Theaterarbeit am besten waren.

0