Bedeutung,,Wolfschluchtszene,, in der Freischützoper

2 Antworten

Aussagen zur Bedeutung der Wolfsschluchtszene sind in verschiedener Hinsicht möglich.

Inhaltlich-dramaturgisch bildet sie bei Carl Maria von Weber, Der Freischütz (Libretto: Johann Friedrich Kind; uraufgeführt: 18. Juni 1821) eine Mitte der Oper. Max, Jägerbursche beim Förster Kuno, hat sich vom anderen Jägerburschen Kaspar verführen lassen, nachts zur Wolfschlucht zu kommen, und läßt sich nach anfänglichem Schwanken darauf ein, zusammen mit ihm «Freikugeln» zu gießen, in einem Pakt mit einer teuflischem Macht entstehende Zauberkugeln als Munition zum Schießen, die unfehlbar treffen, bis auf die letzte (siebente), die der Teufel nach seinem Belieben lenken kann.

Max steht am nächsten Tag ein Probeschuß bevor, um Nachfolger als Erbförster zu werden und seine Braut Agathe zu heiraten. Er wird von schrecklicher Angst getrieben, zu versagen und das erhoffte Glück nicht zu erreichen. Er hatte beim Schießen Mißerfolge und geht aus Verzweiflung auf Kaspars Vorschlag ein.

Max überschreitet eindeutig eine Grenze, tut etwas Verbotenes und beschafft sich Mittel zu einem Betrug. Max ist kein von Grund auf schlechter Mensch. Er neigt nicht dem Bösen zu, sondern zeigt nur ihm gegenüber Schwäche und läßt sich auf etwas ein, weil er keinen anderen Ausweg weiß. Verschiedene Einflüsse ringen bei ihm miteinander, aber in der Wolfsschluchtszene verfängt er sich im Netz der ihm umgarnenden finsteren Mächte.

Vor Mitternacht ist zuerst Kaspar allein da und sein Gespräch mit Samiel, dem Schwarzen Jäger, enthüllt Hintergründe. Kaspar hat ihm seine Seele übergeben und muß Samiel neue Opfer zuführen, um sein Leben noch einmal verlängert zu bekommen.

Es gibt in der Wolfsschluchtszene sowohl Erinnerung (z. B. von Max an die Verspottung durch die Bauern für Fehlschüsse; die im Grab liegenden Mutter) an vergangene Ereignisse auch Gedanken als auch Vorstellungen von Bevorstehendem (z. B. eine Phantasmagorie von der nach einem Scheitern beim Probeschuß in einen Fluß springenden und sich so umbringenden Agathe; Beschaffung von «Freikugeln» für den Probeschuß).

Innerhalb der Spannweite von hell/licht/Tag und dunkel/finster/Nacht ist die Wolfsschluchtszene innerhalb der Oper ein Extrem zu einer Seite hin: Ein dunkler Abgrund kommt zur Erscheinung. Die Stimmung ist düster und unheimlich.

Die Wolfsschluchtszene bringt Romantisches zur unheimlichen Seite hin in die Oper. Abgründíges, Bedrohliches, Schauder, Grauen, Ängste, Alpträume kommen zum Ausdruck. Gespenstische Erscheinungen treten auf. Optische und akustische Eindrücke kommen zusammen. Für eine Inszenierung kann die Regie bei der Szene sich zu profilieren versuchen und eine Deutung erkennen lassen.

Die Szene ist ein packender Höhepunkt, mit einer Steigerung, als es immer wilder, erregter und entfesselter zugeht, Kräfte der Zerstörung sich austoben. Die Wolfsschluchtszene ist szenische Musik und greift im Zusammenspiel von Orchestermusik, Gesang und gesprochenen Texten zum Melodram.

Durch gezielten Einsatz von Klangfarben und dramaturgisch motivierten Wechsel der Tonarten, was für Samiel und die von ihm ausgehende Gefahr ein kennzeichnendes musikalisches Motiv ergibt, schafft Weber eine eindrückliche musikalische Schilderung.


Albrecht  05.03.2015, 08:19

Bücher enthalten Aussagen über die Wolfsschluchtszene, z. B.:

Carolyn Abbate/Roger Parker, Ein Geschichte der Oper : die letzten 400 Jahre. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber und Nikolaus de Palézieux. München : Beck, 2013, S. 238 – 243

S. 239: „Auf szenischer Musik wurde eine Ästhetik des visuell-musikalischen Zusammenwirkens begründet, auf deren Schultern sich in den darauf folgenden 100 Jahren eine erkleckliche Bedeutungslast auftürmen sollte, insbesondere bei der deutschen Oper. Weber war auch in dieser Hinsicht wegweisend. Einer der spektakulärsten Gewitterstürme der Operngeschichte – in der Tat einer der größten Momente szenischer Musik – erhebt sich im Finale des zweiten Aktes des Freischütz, beim Gießen der Kugeln in der Wolfsschlucht. Die Szene setzt Maßstäbe für die visuell-musikalische Interaktion und gilt als eine der ersten in der Operngeschichte, die kinoähnliche «Spezialeffekte» vorwegnehmen. Man kann dieses Finale am besten als eine faszinierende musikalische Massenkarambolage charakterisieren. Dabei vermischen sich gesprochene Dialoge mit Elementen des Melodrams (das Orchester übertönende Sprechtexte […] mit Gesang und szenischer Instrumentalmusik), und diese Mischung ergibt ein in Abschnitte gegliedertes Stück, einschließlich Anweisungen für staunenswerte Spezialeffekte, die 1821 technisch kaum realisierbar waren."

S. 243 (zu einem Akzent durch einen verminderten Akkord, einen ausschließlich aus kleinen Terzen bestehenden Vierklang): „Für die Wolfsschlucht-Szene entwickelte Weber diese Idee noch einen Schritt weiter. Die Töne, aus denen Samiels verminderter Akkord besteht, - Fis, A, C, Es – haben ein Eigenleben entwickelt und sich der Musik er Oper tief eingeprägt: Sie werden zu Grundtönen für Akkorde, die im Finale ein solch abenteuerlichen Reigen bilden. Dieser Kunstgriff machte in der Musikwelt Furore. Man kann ihn als unterschwelliges Symbol bzw. die Macht Samiels und wie Webers Entwurfsnotizen für die Oper verraten, war das tatsächlich seine sorgfältig geplante und dann umgesetzte Intention; er ging an das Finale fast wie an die Ausarbeitung eines sinfonischen Satzes heran.“

Ulrich Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene : eine Geschichte des Musiktheaters. Band 2: Das 19. Jahrhundert. 1. Auflage. Kassel : Bärenreiter, 1991, S. 94 – 106

S. 105 – 106 (zur harmonischen Tonartenstrategie): „Dieser tonartliche Bau, unterstützt durch den Einsatz zahlreicher Erinnerungsmotive, ist zentriert um eine imaginäre Achse: den Tritonusakkord. Die Eckteile in fis-Moll bilden ihn zu c-Moll, ebenso wie Binnenteile von a-moll und Es-Dur, und «die ganze Reihe a-c-Es-fis erzielt denselben verminderten Akkord, der schon im 26. Takt der Ouvertüre und dann noch öfters die Gestalt Samiel versinnbildlicht» hatte; Weber bringt kontrastiv in die Welt des Unfaßbaren, des Überirdischen, des Romantischen ein, indem er das traditionelle Gestaltungsmittel des Melodrams in eine musiksprachlich übergeordnete Form zwingt.“

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Oh - da gibt es viel Interpretationsspielraum! Das wird in nahezu jeder Inszenierung anders bewertet!

Was feststeht: da werden die Kugeln gegossen.