Ist es denn so schlimm, in einem konservativen Umfeld aufzuwachsen?

Ich bekomme im Internet ja die Debatten über politische Korrektheit mit, die auf Seiten wie Spiegel Online, bei der Süddeutschen, bei Bento , bei funk usw. geführt werden. Aber irgendwie bin ich auch immer ein bisschen gespalten, denn ich stehe eigentlich für alles, was heute nicht mehr erwünscht ist.

Ich entstamme aus einer alteingesessenen, katholischen Rhöner Bauernfamilie. Meine Opas waren die ersten seit Gedenken, die etwas anderes als Bauern wurden. Meine Oma mütterlicherseits ist eine Heimatvertriebene aus dem Sudetenland. Schon da müsste ich Bauchschmerzen bekommen. Ich stehe nämlich voll und ganz auf der Seite meiner Oma, dabei waren nach modernem politisch korrektem Verständnis, die Heimatvertriebenen selbst an ihrem Schicksal schuld. Ich sehe das anders.

Meine Mutter ist nach meiner Geburt zu Hause geblieben und hat sich um den Haushalt und um uns Kinder gekümmert. Mein kleiner Bruder ist 2005 geboren. Mein Vater ist arbeiten gegangen und hat sich um die handwerklichen Sachen gekümmert.

Meine Familie geht jeden Sonntag zum Gottesdienst und generell ist die katholische Kirche sehr wichtig für unsere Familie. Pfarrer waren und sind oft zu Gast bei meiner Oma.

Jeden Tag - außer Sonntag - gibt es um 16:30 Uhr bei der Oma väterlicherseits Kaffee und Kuchen. Immer auf dem blauen, englischen Royal Worcester Porzellan. In der Küche neben der Standuhr mit dem Westminster-Schlag, auf der Eckbank unter dem Herrgottswinkel. Komplett unzeitgemäß, könnte man meinen.

Mein Opa mütterlicherseits war CDU Mitglied und hat mir schon früh von Leuten wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Norbert Blüm erzählt. Der konservative Alfred Dregger war ein Bekannter der Familie und auch der konservative Bischof Johannes Dyba (bekannt durch seinen Einsatz gegen Abtreibung) war mit meinem Opa vertraut.

Mein Freundeskreis besteht eigentlich nur aus deutschen Kindern aus den umliegenden Dörfern. In meinem engen Freundeskreis sind ausschließlich christliche, deutsche, hetereosexuelle Jungs, die auch regelmäßig zum Gottesdienst gehen. Die meisten katholisch, einer evangelisch. Dem Drogenkonsum stehen wir skeptisch gegenüber.

Zu unserem Freundeskreis zählt auch ein Mädchen, ihre Mutter kommt aus den USA. Sie kocht immer gerne für uns und lädt uns ein, wenn sie kocht.

Meine Umgebung ist total unzeitgemäß, sexistisch und politisch unkorrekt. Aber irgendwie gefällt mir das. Und das ist dann der Punkt an dem ich immer scheiter. Ich verstehe, warum Leute gegen dieses Weltbild ankämpfen, fühle mich aber gleichzeitig darin geborgen und zu Hause.

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nach modernem politisch korrektem Verständnis, die Heimatvertriebenen selbst an ihrem Schicksal schuld. Ich sehe das anders.

Das müsste man schon differenzieren.

Die Vertriebenen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Ostbrandenburg konnten da (natürlich nicht, diejenigen, die damals noch Kinder waren) durchaus etwas für ihren Schlamassel, immerhin inst in diesem Gegenden überproportional stark NSDAP gewählt worden. Auch da konnte nicht jeder etwas dafür aber jeder 2. sehr wohl, evidenter Weise, bei stellenweise deutlich über 40% für die NSDAP

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahlen_in_Deutschland#/media/Datei:German_parliamentary_elections_weimar.png

Das irgendwer behauptete, dass Vertriebene aus Gebieten die vor 1933 nicht zum Deutschen Reich gehörten etwas dafür könnten habe ich so noch von niemandem gehört.

Obwohl man es für das Sudetenland sicher bei Teilen der Bevölkerung konstatieren könnte, da sich die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henlein sehr bereitwillig für die Außenpolitik Hitlers einspannen ließ und bei der Zerschlagung der CSR ihre Rolle spielte:

https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Henlein

https://de.wikipedia.org/wiki/Sudetendeutsche_Partei

Einen Generalverdacht rechtfertigt das nicht, mir ist aber wie gesgt auch keiner bekannt. Sage ich als Wähler der Linkspartei und Nachkomme von Vertriebenen/Flüchtlingen aus Westpreußen/Posen.

Den Rest des Anwurfs kann ich auch nicht nachvollziehen? Seit wann wird irgendem vorgeschrieben, wen er in seinem Freundeskreis haben sollte, wo er sich wohlfühlen soll, was er glauben oder nicht glauben oder mit wem er zusammen sein soll?

Das ist doch nun wirklich Humbug, der in der Realität nicht existiert, sage ich dir hier als dem traditionell roten Ruhrgebiet, mit seiner Einwanderungsgesellschaft.

Kann ja jeder leben, wo und wie er möchte, so lange er dabei anderen nicht in ihr Leben hineinreden will.

Ewiges hineinreden wollen, kenne ich nur aus dem eher konservativen Umfeld, in dem ich (zu meinem Leidwesen) meine Jugend verleben musste. Die modernere Städtische Gesellschaft bietet zum in Teilen etwas zurückgebliebenen Dorf (ich möchte nicht wissen, wie viele Generationen Inzest das in meinem Heimatort sind, bei der Bevölkerungszahl, zum Glück für mich waren Vater und Großvater mütterlicherseits zugezogen), nicht irgendein Gegendogma, sondern die Möglichkeit sich aus diesen Strukturen auszuklinken und sein eigenes, unkonventionelles Ding zu machen.

Das kann man mögen oder auch nicht, kann ja jeder, dem das zusagt, auf dem Land bleiben.

Allerdings scheint man es dort in Teilen bereits als Sakrileg zu empfinden, dass daneben auch andere Lebensmodelle existieren.

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