Hallo,

ich lerne seit der 7. Klasse Russisch (bin jetzt 28) und studiere Slavistik. Ich studiere ausserdem Anglistik und Romanistik (Spanisch) und habe im Studium sowie nebenher eine Reihe verschiedener Sprachen gelernt.Meiner Meinung nach sollte das kyrillische Alphabet niemanden abschrecken und vom Russisch-Lernen abhalten. Es ist, so denke ich, tatsächlich das geringste Problem. Wenn man einmal die Buchstaben beherrscht, beginnt der schwierigere Teil: die Aussprache. Ich kenne leider sehr viele Leute (auch Studenten), die Russisch einfach so aussprechen, wie es da steht. Jemand, der den Ehrgeiz hat, Russisch zu lernen, sollte unbedingt die Regeln der Phonetik (Lautlehre) beherrschen. Dazu gehören, wie hier am Beispiel des /o/, das wie ein deutsches /a/ ausgesprochen wird, bereits verdeutlicht wurde, Reduktion, Proklise, Enklise, Jotierung und Palatalisation. Man muss aber sagen, dass auch hier alles eine Frage der Übung ist. Es wiederholt sich vieles und man erkennt, dass es zumindest bei der Aussprache, trotz der relativ vielen Regeln, angenehm wenige Ausnahmen gibt.

Das weitaus größere Problem, wie ich finde, ist die russische Grammatik. Insofern muss ich einigen Leuten hier im Forum widersprechen, die sagen, die Grammatik sei einfach. Aspekte, Fälle, Partizipien, Verben der Bewegung.. Dies sind nur einige der Schwierigkeiten, die das Russische zu bieten hat. Für Leute, die "nur" germanische oder romanische Sprachen beherrschen, können besonders die Aspekte und die Verben der Bewegung eine Herausforderung darstellen. In unseren Grammatikkursen sorgen diese beiden Themen immer wieder für lebhafte Diskussionen zwischen Studenten (sowohl Deutsche als auch russische Muttersprachler) und Lehrkräften. Am Ende muss man sagen, ist bei diesen beiden wichtigen Themen vieles Auslegungssache. Es kommt darauf an, was genau man sagen möchte und wie man es begründen kann.

Nun noch zum Vokabular. Ich vertrete nicht die Meinung, dass das Russische und das Deutsche im Grunde den gleichen Wortschatz haben. Es stimmt, dass es Lehnwörter gibt. Auch Anglizismen haben ihren Weg in's Russische gefunden, aber der Großteil des russischen Wortschatzes kann mit Deutschkenntnissen nicht verstanden werden. Nehmt z.B. Übersetzungen einfacher Wörter wie 'lesen', 'schreiben', 'studieren', 'essen'... Diese Liste ist unendlich. An alle die, die der Meinung sind, die 200 oder so Wörter, die im Russischen und Deutschen bzw. Englischen gleich sind, würden einem wirklich helfen: Nehmt euch einen Roman oder eine Geschichte von Ulitzkaja, Aksjonow oder Tokarewa und versucht, die Geschichte mit euren Deutschkenntnissen und ohne Wörterbuch zu verstehen. Dann werdet ihr sehen, dass das russische Vokabular doch nicht so viel mit dem der deutschen Sprache zu tun hat.

Alles in allem kann ich Russisch nur empfehlen. Es ist eine faszinierende Sprache, die richtig ausgesprochen sehr warm klingt. Es macht viel Spaß, seine "neue" kyrillische Handschrift auszuprobieren und zu trainieren und natürlich, wie schon gesagt wurde, ist die Bedeutung des Russischen z.B. in der Wirtschaft oder als Ausgangspunkt für das Studium anderer Slawinen nicht zu verachten.

Also, sucht euch einen Tandempartner und legt los.:-)

Anja