Lieber Sleepcheap19,
wenn du dich in wissenschaftlich-kritischem Umfeld bewegst, solltest du aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgeschlossen sein. Und zugleich die wissenschaftliche Größe zeigen, zu erkennen, dass jeder naturwissenschaftliche Kenntnisstand immer nur begrenzt ist auf die gerade aktuellen Erkenntnisse.
Ich stimme dir zu, Krebserkrankungen nicht nur mit einer Therapie behandeln zu lassen. Es empfiehlt sich, grundsätzlich mehrere Maßnahmen zu ergreifen. Auch aus dem sogenannten kompementärmedizinischen Bereich. Prof. Uhl, Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im St. Josef-Hospital Bochum, weist als Experte im Bereich "unheilbarer" Krebserkrankungen der Bauchspeicheldrüse eben darauf hin, wie wichtig die ergänzende Behandlung mit komplementärer Medizin ist (Kurzinterview dazu:)
https://youtube.com/watch?v=h_C7G_i4k3o
Du fragst:
Habt ihr Erfahrungen damit, wie man diesen Leuten die Wahrheit nahe bringen kann?
Das mit der "Wahrheit ist gar keine so einfache Sache. Die kennt nämlich niemand. Da immer wieder komplementäre medizinische Maßnahmen mit "Placebowirkung" abgetan werden, möchte ich dir als wissenschaftlich interessierten Menschen dazu gerne einige Erläuterungen geben.
In der Wissenschaft ist bekannt, dass bestimmte Erwartungen von Patienten Heilreaktionen ausgelöst werden können. Tatsächlich ist bei jeder Therapie, ob "schulmedizinisch" oder nicht, dieser Effekt vorhanden.
Das ist aber nicht einfach nur "Einbildung" oder ein rein psychischer Vorgang, wie vielfach von Laien behauptet. Aus der Neurobiologie und der Psychoneuroimmunologie wissen wir, dass der Körper auf bestimmte Reize, und das kann einfach nur eine Mitteilung des Arztes/desTherapeuten sein, hochwirksame Substanzen selbst herstellt.
Wie genau dieser Vorgang zustande kommt, kann noch nicht erklärt werden. Er kann aber beobachtet und gemessen werden. So kann ein Bergsteiger, der in sauerstoffarmer Luft außer Puste kommt, wieder zu Kräften kommen, wenn ihm mit einer vermeintliche Sauerstoffflasche Sauerstoff zugeführt wird. Die verbesserte Sauerstoffversorgung im Körper lässt sich nachweislich messen. Allerdings auch, wenn die Flasche gar kein Sauerstoff enthält und der Bergsteiger einfach mit der falschen Gewissheit den Inhalt inhaliert. Die Physiologie des Körpers ist messbar die gleiche.
So gibt es viele Untersuchungen, auch in umgekehrter Form, was dann Nocebo genannt wird: Ein Schmerzpatient, der über einen Tropf stark wirksame Schmerzinfusionen erhält (bspw. Morphium), bekommt plötzlich wieder starke Schmerzen, wenn der behandelnde Arzt ihm mitteilt, der Tropf enthalte jetzt nur noch Kochsalzlösung. In Wirklichkeit enthält er immer noch unverändert das Schmerzmittel.
In der Placeboforschung ist bekannt, dass die im Mittel bei jeder normalen Behandlung einsetzende Placebowirkung von 30 Prozent um ein Vielfaches durch verschiedene Maßnahmen gesteigert werden kann. Am besten wirkt es, wenn auch der Arzt von der Wirksamkeit seiner Maßnahme/seines Arzneimittels überzeugt ist. Allein damit können Wirksamkeitsgrade erreicht werden, die zu einer wirksamen Heilung führen können.
Nocheinmal: Wie die genauen Mechanismen funktionieren, kann derzeit noch noicht schlüssig erklärt werden. Es kann aber durch labordiagnostische und bildgebende Verfahren gezeigt werden, dass der Körper selbst die wirsamen "Arzneien", also Botenstoffe, Hormone u.a. produziert, die unvorstellbar viele Kettenreaktionen auslösen, die letztlich Heilungen bewirken können, die naturwissenschaftlich nicht plausibel erscheinen. Der etwas hilflose Begriff "Spontanheilung" unter den Medizinern und der Begriff "Wunderheilung" unter den Laien versucht dieses Resultat zu benennen.
Möglicherweise bewirkt die homöopathische Therapieform eine Placeboreaktion. Wenn wir aber wissen, dass damit eine äußerst starke Mobilisierung der körpereigenen Gesundheitskräfte bewirkt wird, wie die neuesten Erkenntnisse der Placeboforschung zeigt, sollte eine Verurteilung dieser Methode eher mit Neugier, statt mit pauschaler Ablehnung begegnet werden.