Nördlich von Süddeutschland verwendet man, wenn man beispielsweise einen Tag mit schönem Wetter beschreibt, für das imperfektive Verb "scheinen" das Präteritum und sagt: "Die Sonne schien." Man gebraucht dabei also die starke (oft "unregelmäßig" genannte) Verbform. In Süddeutschland dagegen ist das Präteritum weniger üblich, dort sagt man: "Die Sonne hat gescheint." Man gebraucht dabei die schwache ("regelmäßige") Verbform. Die Alternative "... hat geschienen" wird dort als völlig abwegig empfunden, man würde viel eher das Präteritum verwenden und "Die Sonne schien" sagen.

Prinzipiell ist zu solchen Unsicherheiten hinsichtlich der korrekten Verform zu sagen: Wenn es solche Unsicherheiten gibt, ist dies eindeutig ein Indiz dafür, dass beide Verbformen existieren und je nach Region verwendet werden (kein Mensch würde wohl auf die Idee kommen zu fragen, ob es heißt: "Ich habe dir eine E-Mail geschrieben" oder "...geschreibt"). Der Duden und ähnliche Nachschlagwerke tragen diesem Umstand leider nicht Rechnung und vergrößern mit ihren apodiktischen Angaben ("schien, geschienen" ohne Alternative) eigentlich nur die Unsicherheit vieler Deutschsprecher.

Als Deutschlehrer aus Süddeutschland empfehle ich also, wenn man einen schönen Tag beschreibt, entweder zu sagen: "Die Sonne hat den ganzen Tag gescheint." Oder: "Die Sonne schien den ganzen Tag." In Fällen, wo das Perfekt eher zwingend ist, empfehle ich, dass Sie sich auf Ihr Sprachgefühl verlassen und beispielsweise in einer Schlechtwetterperiode entweder sagen: "Die Sonne hat schon lange nicht mehr gescheint." Oder: "... schon lange nicht mehr geschienen" Bei schriftlichen Äußerungen wie etwa Berichten ist ja das Präteritum üblich, und da empfehle ich "schien" statt "scheinte".

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