Hi Jacky,
ich finde, du wünschst dir ein bisschen viel auf einmal. Wenn man in sich selbst gehen will- das funktioniert und ist eine sehr bereichernde Erfahrung- muss man sich selbst erstmal halbwegs gefunden haben, zwischen all dem Müll aus falschen Überzeugungen über sich, Glaubenssätzen, Ängsten und Zweifeln. Das heißt, bevor du in dich gehen kannst, musst du erstmal aufräumen.
Fang damit an, deine Glaubenssätze zu ermitteln. Glaubenssätze sind Sätze oder Sprichwörter, die wir seit unserer Kindheit unbewusst als Maximen in unserem Leben mit uns rumtragen, z.B. wenn ich nicht perfekt bin, bin ich nicht liebenswert/ Männer weinen nicht/ wenn besser geht, ist gut nicht gut genug/ oder auch ich bin dumm und hässlich und schaffe es im Leben zu gar nichts, weil ich ein Versager bin. Manche Glaubenssätze kann man schon durch beliebte Familiensprüche herausfinden (in meiner Familie ist das z.B. es ist nichts so schlecht, dass es nicht für irgendwas anderes wieder gut ist). Andere kannst du nur dadurch herausfinden, indem du dir all das anguckst, was dir an dir selbst nicht gefällt und dich unglücklich macht, was du aber trotzdem nicht ändern kannst (bestimmte Ängste, Schwächen, Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen in bestimmten Situationen). Wenn du z.B. sehr schüchtern bist, liegt das vllt daran, dass du Angst hast, von anderen nicht akzeptiert zu werden, wenn sie deine wahre Persönlichkeit kennen lernen. Vielleicht hast du schon als Kind gelernt, dass deine Meinung irrelevant ist und dass du sie bitte zurückhalten sollst oder oder...
Glaubenssätze führen immer darauf hinaus, dass wir geliebt und anerkannt werden wollen. Als Kinder sind wir auf die liebevolle Zuwendung unserer Eltern angewiesen. Verweigern uns Eltern ihre Liebe, ist das eine bedrohliche Situation, weil sie sich dann ja vllt nicht mehr um uns kümmern. Kinder können alleine nicht überleben. Deswegen tun sie alles, um von den Eltern geliebt und umsorgt zu werden. Auf Abweisung reagieren sie mit instinktiver Todesangst und werden alles versuchen, um die Liebe zurückzugewinnen. Als Erwachsene sind diese Strategien so in uns manifestiert, dass wir sie bewusst nicht mehr wahrnehmen, aber wenn wir die alte Zurückweisung spüren (z.B. man war nie wütend, weil die Eltern das nicht ertrugen, dann rastet man als Erwachsener einmal aus und kriegt negatives Feedback), kriecht diese instinktive Todesangst in uns hoch und drängt uns in alte Verhaltensmuster zurück. Das einzige, was wir dagegen tun können, ist, uns unsere Glaubenssätze bewusst machen und uns vor Augen halten, dass wir keine Kinder mehr sind und dass wir nicht mehr auf die Liebe anderer angewiesen sind.
Ein paar Buchempfehlungen, wenn du dich mit deinen Glaubenssätzen auseinandersetzt/gesetzt hast: Alice Miller- das Drama des begabten Kindes, Byron Katie- the work (verschiedene Werke), Erich Fromm- Die Kunst des Liebens (darin geht es auch um Selbstliebe), Krishnamurti- große Freiheit (habe bisher nur Auszüge gelesen, aber es ist so ziemlich das Beste, was ich je gelesen habe), Viktor Frankl- ...trotzdem ja zum Leben sagen und natürlich gerne auch Bücher, die sich speziell um deine Ängste/Glaubenssätze drehen.
In dich gehen kannst du mit Meditation. Ich empfehle aber nicht die Meditation im buddhistsichen Zentrum, denn die ist gerade für Anfänger in erster Linie entspannend. Du kannst dich zu Hause oder bei einem Spaziergang hinsetzen und dir vorstellen, wie du all die falschen Überzeugungen und all das Oberflächliche an dir, das mit deinem Selbst nichts zu tun hat, zur Seite schiebst und dann in die Tiefen deines Selbst eindringen. Aber Vorsicht: bei mir hat das damals die tiefste Identitäskrise ausgelöst, die ich je hatte, weil ich erstmal das Gefühl hatte, dass da gar nichts ist. Dort ist etwas, aber es dauert seine Zeit, bis du dir dessen gewahr wirst. Und du solltest nicht mit der Erwartung dran gehen, dass du nachher deiner Seele oder einem Licht oder sonstwas gegenüber sitzt und dich mit ihm unterhältst- du bist das, was du suchst. und in dir hängt kein Spiegel, deswegen kannst du nur fühlen, was du bist. Aber sich selbst zu spüren und zu lieben ist ein unbeschreibliches Gefühl und macht das Leben als solchens mit all seinem Kummer und seinen Enttäuschungen ziemlich ertragbar und schön =)