Ich war 12 und ging in eine Klasse mit über 20 Jungs und 3 anderen Mädchen. Die haben irgendwann während der Geografiestunde eine Unterschriftensammlung gemacht, dass sie mich nicht in der Klasse haben wollen und jeder einzelne hat unterschrieben, bis der Zettel zu dem Mädchen kam, das neben mir saß. Mit Tränen in den Augen hab ich stur auf mein Heft gestarrt und versucht, stark zu sein. Meine Sitznachbarin hat gezögert. Sie hatte das Blatt vor sich liegen, den Stift in der Hand und die restliche Klasse im Nacken. „Was ist los? Wieso unterschreibst du nicht? Bist du etwa nicht dafür?“ „Ich bin nicht dafür und nicht dagegen...“ Das hat sie immer wieder gesagt, bis der Lehrer darauf aufmerksam wurde.
Ich wusste, dass sie wusste, dass das alles nicht richtig war und sie gleichzeitig sich selbst vor den anderen schützen musste. Noch heute - nach 17 Jahren - bin ich ihr im Geiste unendlich dankbar und dennoch enttäuscht, dass sie nicht klar für mich eingestanden ist. Trotzdem war sie mein Hoffnungsschimmer, ein Strohhalm, an den ich mich klammerte und mein Grund, daran zu glauben, dass noch nicht alles verloren war.
Der Lehrer kam also zu ihr, griff nach der Unterschriftenliste und sagte: „Aha, was haben wir denn da?“ Das war‘s. Der Mann hat nichts unternommen. Nichts.
Ich wurde noch ein paar Wochen weitergemobbt, mittlerweile wurden sie sogar handgreiflich gegen mich und haben mir auch Sachen gestohlen, die ich nie wieder bekommen habe.
Am letzten Tag des 1. Semesters saß ich wieder mit Tränen in den Augen auf meinem Platz und wartet darauf, mein Zeugnis in die Finger zu bekommen, um endlich nach Hause zu können. Dem Klassenvorstand war das aufgefallen und er fragte mich, was denn los sei. Ich brach in Tränen aus und wusste nicht mal, wo ich anfangen sollte. Ich stammelte nur irgendwas vonwegen, die haben mich bestohlen und ärgern mich immerzu. Ich weiß nicht mehr, was genau er dazu gesagt hat, nur mehr, dass es etwas war, dass mich zu der Überzeugung brachte, er wäre der Auffassung, dass das schon irgendwie meine eigene Schuld wäre. Unternommen hat er nichts. Wieder. Nichts.
Am 1. Tag des 2. Semesters fuhr mich meine Mutter zur Schule, als ich plötzlich im Auto anfing, zu weinen. „Bitte Mama, ich will da nicht hin!“ So fand ich mich im Zimmer des Direktors wieder. Er sagte mir, nachdem ich ihm lang und breit von meinem ganzen Horrorsemester berichtet hatte, dass wir eine persönliche Abmachung treffen würden. Ich musste eine Reihe an Dingen versprechen, wie dass ich nie mehr zu spät kommen würde, gleich sage, wenn etwas nicht in Ordnung ist etc. Dieser Mann machte zusammen mit einer Lehrerin meine Versetzung in eine andere Klasse möglich, wie es bürokratisch wahrscheinlich überhaupt nicht möglich war. Abseits von allen Vorschriften, bin ich an diesem Tag gerettet worden. Endlich.
Zur Verantwortung gezogen wurde niemand. Im Endeffekt war die Unterschriftensammlung erfolgreich. Ich war nicht mehr in der Klasse. Was einmal funktioniert, das tut man wieder.
Ich habe heute Rachegedanken sondergleichen, weiß aber, dass das alles nichts bringt, weil diese Leute heute wie damals mit Sicherheit kein Gewissen haben und die nicht kümmert, was ich tue oder lasse. Die würden in 1000 Jahren ihre Fehler nicht einsehen.
Als ich 15 und mittlerweile in einer anderen Klasse war, kam eine Mitschülerin auf mich zu und meinte voller Stolz, sie mache eine Unterschriftensammlung, dass wir meinen Exfreund am Nachmittag nicht dabeihaben wollen. Déjà-vû. Ich dachte, ich sei im falschen Film.
Sie glaubte natürlich, dass sie da bei mir an der richtigen Adresse wäre, weil wir uns gerade getrennt hatten. Ich habe sie gefragt, ob sie noch ganz dicht ist und ihr gesagt, dass das Mobbing ist und ich das ganz sicher nicht unterschreibe. Total zornig hab ich ihr auch noch gesagt, dass sie den Zettel wegwerfen soll und wenn ich sehe, wie sie Unterschriften sammelt, werde ich das einem Lehrer melden und sie ist dann am A*. Mobbing im Keim erstickt! Ich habe sofort gehandelt, weil ich, was mir passiert ist, niemand anderem wünsche.
Ich verstehe, dass du nicht so direkt aufstehen kannst, da sie sonst auf dich losgehen. Das einzig Richtige ist aber, dass du etwas unternimmst.
Sei sein Lichtblick und sag ihm die Wahrheit! Sag ihm, dass du ihn in Ordnung findest und du weißt, dass es nicht ok ist, wie er behandelt wird. Erzähl ihm, dass du Angst vor den Spinnern hast. Wer sollte das besser verstehen, als er?! Du willst anonym bleiben, wirst aber dafür sorgen, dass ihm geholfen wird.
Dann sagst du es deinen Eltern. Einer von ihnen soll zu eurem Klassenlehrer in die Sprechstunde gehen und die Situation darlegen und klarmachen, dass du aufgrund der Aggressivität in der Klasse da herausgehalten werden willst und öffentlich auch nichts dazu sagen kannst. Eventuell tippst du am PC den Sachverhalt ab und deine Eltern legen auch das dem Lehrer vor. Wenn dich in der Schule ein Lehrer deswegen befragt, sagst du, dass du nichts dazu sagen kannst und berichtest deinen Eltern, die dann gegebenenfalls nochmals hinmüssen. Wenn die Schule nichts unternimmt, sollen deine Eltern zur Schulaufsichtsbehörde. Mobbing ist keine Lappalie.
Oder du unternimmst nichts. Vielleicht bringt er sich irgendwann um oder wird der nächste Schulamokläufer. Da ist dann nicht das Mobbing schuld, sondern die Anime und die Games, die er so furchtbar zurückgezogen womöglich zockt.
Du bist für nichts von alledem verantwortlich!
Du kannst aber bewirken, dass sich etwas ändert oder womöglich verhindern, dass etwas Schlimmeres passiert!
Wer Gutes tut, dem wird Gutes widerfahren!