Also, wenn frau seit zehn Jahren verheiratet ist, ist es vielleicht etwas gewagt, um nicht zu sagen: womöglich etwas verheerend, offen und ehrlich auf diese Frage zu antworten - aber um trotzdem einmal ganz offen und ehrlich meine Meinung zu diesem Thema zu sagen: Sex ist ein körperliches Urbedürfnis, ein Trieb, vergleichbar mit Essen und Trinken. Liebe ist dagegen in meinem Verständnis nichts Anderes als eine durch erotische Attraktion bzw. durch Sex generierte emotionale Bindung, also ein Sekundärphänomen. Aber bei jedem Menschen ist der Paarungstrieb veranlagungsbedingt unterschiedlich stark ausgeprägt und jeder Mensch hat auch ein anderes Maß an Fähigkeit, sich emotional zu binden. Bei mir ist das so: Während des Geschlechtsverkehrs liebe ich den Mann, mit dem ich Sex habe, womöglich keine Sekunde vorher oder nachher, aber während des Geschlechtsverkehrs selbst liebe ich ihn. Es ist ja auch nicht so, dass man immer nur einen Menschen lieben würde. Meine persönlichen Lebenserfahrungen sagen eher, dass Menschen von Natur aus ausgesprochen polygame, um nicht zu sagen promiske Lebewesen sind und alles Andere nichts weiter als historisch tradierte kulturelle Praktiken sind, um die Folgen dieser Promiskuität in sozialverträglichen Schranken zu halten - insbesondere da vor der Erfindung der Pille in der Tat jeder Geschlechtsakt auch eine Schwangerschaft generieren konnte und der triebgenerierte Karnickeleffekt (es gab Frauen, die im Laufe ihres Lebens zwanzig und mehr Schwangerschaften hinter sich brachten und Männer, die buchstäblich dutzendfache Väter waren) irgendwie mit der zur Verfügung stehenden Ernährungs- und materiellen Unterhaltsbasis in Einklang gebracht werden musste. Seit Erfindung der Pille benötigen wir Fertilitäts-Kontrollinstanzen wie Einehe und Kirche dafür aber immer weniger und in der Folge setzt sich mehr und mehr unsere natürliche Promiskuität wieder durch. Der Trend ist inzwischen ziemlich eindeutig: Immer stärker paart sich wieder jede mit jedem und jeder mit jeder und immer mehr Menschen verzichten dabei entweder ganz auf Heirat und Ehe oder leben eine offene Ehe, in der auf beiden Seiten außerehelicher Geschlechtsverkehr ebenso selbstverständlich und wechselseitig genauso akzeptiert ist wie ein Hausfreund oder eine Hausfreundin/ lies: Liebhaber und Geliebte.
Um zwei persönliche Erfahrungen zu ergänzen: Meinen ersten Teenie-Sex hatte ich auf Klassenfahrt mit einem Jungen, auf den ich einfach spitz wie Lumpi war. Wir haben dann an einem Abend in einer Ecke solange rumgeknutscht, bis wir uns beide vor Geilheit nicht mehr halten konnten und dann ist es halt passiert. Es war wunderbar. Aber mehr war da dann eben auch nicht. Ich hatte noch während derselben Klassenfahrt meinen zweiten Sex mit einem ganz anderen Jungen, den ich mir auch schon seit längerem krallen wollte, und auch der Sex war einfach wunderbar.
Meinen jetzigen Männe habe ich nach einem längeren Auslandsaufenthalt als Kollegen im Büro kennengelernt. Wir haben beide dann die typischen, triebgesteuerten Fehler gemacht, die in solchen Situationen viele andere Menschen auch gemacht haben, die sich wechselseitig erotisch stark anziehen. Wir sind dann in der Folge irgendwann in schöner Regelmäßigkeit miteinander im Bett gelandet und haben uns schließlich irgendwann die Frage nach dem möglichen arbeitsplatztechnischen Kollateralschaden für uns beide gestellt, weil wir uns beide so ziemlich zum Büroklatsch gemacht hatten. Und da war es dann ganz pragmatisch einfach am sinnvollsten, unsere Beziehung öffentlich zu machen und sie auf eine rechtlich unangreifbare Basis zu stellen. Wir haben dann erst nach und nach entdeckt, dass wir auch darüber hinaus eigentlich sehr gut zueinander passen und glücklicherweise beide eher "vom Kopf her" funktionieren. Wir wissen, dass wir beide eine sehr starke Sexualität haben und wir haben beide null Eifersucht auf den anderen, einfach weil wir beide nicht die Typen für solche Gefühlsaufwallungen sind. Das hat uns nun bereits seit zehn Jahren zusammengehalten und es funktioniert sehr gut.
Ich weiß natürlich, dass derartige persönliche Lebenserfahrungen in überhaupt keiner Weise übertragbar sind. Aber wenn es um das Verhältnis von Sex zu Liebe geht, dann kommt es einfach darauf an, wie man ganz persönlich Liebe definiert - und darauf, wie stark der eigene Paarungstrieb ist und wie intensiv mithin die Befriedigungsfunktion von Geschlechtsverkehr.
LG Nicci