Gutefrage.net ist eine von fachlichen Laien moderierte Internetplattform, kein wissenschaftliches Forum. Ob man hier als "Experte" geführt wird, hängt nicht davon ab, ob man Biologie oder Tiermedizin studiert hat, ob man viele Bücher zum Thema gelesen hat, ob man auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung steht oder ob man beruflich mit Vögeln zu tun hat. "Experte" wird man hier, wenn man viele Fragen zum Thema beantwortet hat und wenn diese häufig genug als "Hilfreichste Antwort" bewertet werden. Dass der Fragesteller die Antwort hilfreich findet, heißt nicht, dass die Antwort korrekt ist oder logisch oder mit dem wissenschaftlichen Diskurs übereinstimmt. Das erstmal so allgemein. Hier kann, überspitzt ausgedrückt, jeder erstmal behaupten, was er will, und in vielen Fällen bleibt auch totaler Schmarrn dauerhaft auf der Plattform. Natürlich können guteFrage.net-Experten sich trotzdem auch tatsächlich sehr gut auskennen, aber letztlich hat dieser "Titel" recht wenig Aussagekraft über die Kompetenz des Users. Auf Quellenangaben, die über persönliche Meinungen oder einzelne Erlebnisse hinaus gehen, wartet man ja bei gutefrage.net meist vergeblich.
Nun zu der Frage, ob Wellensittiche Obst und Gemüse fressen dürfen/sollen: In der Tat fressen wildlebende Wellensittiche so etwas nicht, sie fressen Sämereien von Wildgräsern. Obwohl sie sicher auch unreife Samen fressen, sind die meisten dieser Samen - jedenfalls nach dem, was man konkret beobachtet hat - ausgereift. Nachzulesen beispielsweise bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Wellensittich#Nahrung) bzw. den dort verlinkten Quellen.
Mir sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die belegen oder widerlegen, dass Gemüse und Obst einen positiven oder negativen Einfluss auf die Gesundheit oder Lebenserwartung von Wellensittichen haben. Da Wellensittiche in der Natur ohne auskommen, ist davon auszugehen, dass weder Obst noch Gemüse notwendig sind, um die Vögel mit den nötigen Nährstoffen zu versorgen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es schädlich ist oder gar Ursache für gesundheitliche Probleme. Organische Schäden, die bei Wellis leider häufig sind, haben ihre Ursache häufig in insgesamt zu hoher Energiezufuhr und resultierender Verfettung (z.B. Leberschäden) oder zu salzhaltigem Futter (z.B. Nierenschäden). Fraglos meinen es viele Vogelhalter "zu gut" mit ihren Vögeln und füttern sie schlicht zu viel; Wellensittiche neigen zu Übergewicht, wenn sie permanent zu viel Futter kriegen, da ihr Körper ja an eine karge Gegend mit sehr unregelmäßigem Nahrungsangebot angepasst ist. Weniger wäre da mehr, um Übergewicht zu vermeiden. Dass Obst und Gemüse Organschäden und frühe Todesfälle verursachen, halte ich hingegen für eine sehr gewagte These, für die mir keine stichfesten Belege bekannt sind. Dass sie das natürlicherweise nicht fressen, heißt ja nicht automatisch, dass sie es nicht vertragen. Dazu ein Beispiel: Es ist garantiert nicht "natürlich" oder "artgerecht", dass Menschen Kuhmilch trinken. Man mag über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile davon streiten; aber obwohl ich Kuhmilch für ernährungstechnisch absolut überflüssig halte, lässt sich nicht leugnen, dass viele Menschen sie gut vertragen, und ebenso, dass darin Nährstoffe enthalten sind, die für den Menschen gesund sein können. Auch zu der Frage, ob Kuhmilch eher gesund oder eher ungesund ist, gibt es (noch) keine abschließenden, eindeutigen Forschungsergebnisse.
"Die mittlere Lebensdauer der Wellensittiche in den allgemeinen Wellensittich-Foren liegt deshalb auch unter 4 Jahren, weil dort so unvernünftig gefüttert wird."
Das wiederum ist eine reine Behauptung. Diese Behauptung basiert auf episodischer Evidenz , d.h. einzelnen Beobachtungen, die meiner Vermutung nach noch dazu so ausgewählt wurden, dass sie in Gregors Weltbild passen, während widersprechende Forenbeiträge scheinbar nicht wahrgenommen wurden. Dazu würde ich dann auch gern mal eine statistische Auswertung sehen, die diese Behauptung belegt. Bin gespannt!
In den modernen Vogelforen hat man eine nicht repräsentatitve Auswahl von Vogelhaltern. Die allermeisten halten Paare und Schwärme, sodass bei einer Erkrankung häufig gleich mehrere Vögel erkranken, während bei Einzelvögeln eine ansteckende Erkrankung "im besten Fall" mit dem Vogel ausstirbt. Wer in Foren über seine Tiere berichtet, erzählt von deren Erkrankungen, und geht in der Regel auch zum Tierarzt. Wer hingegen nicht nach Informationen zur Haltung sucht, hat vielleicht genauso oft kranke Tiere, die früh sterben - aber von denen erfährt das Internet nichts. Sie sterben im Zweifelsfalle einfach. Und dann bleibt natürlich das Extrem im Gedächtnis: Die Nutzer berichten verzweifelt von ihrem gerade einmal zwei Jahre alten Welli, den ein Tumor dahin gerafft hat, aber nicht unbedingt von dem Vogel, der einfach zehn Jahre ereignislos und gesund vor sich hin lebte. Aber diese Vögel gibt es natürlich auch in den Foren, und sie werden dort auch erwähnt.
Auch ich habe den Eindruck, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Sittichen stark gesunken ist, vermute aber, das dies eher auf die zu intensiven und zu sehr auf Farbschläge bzw. bloße Vermehrung statt auf eine gute Genbasis und Verpaarung nicht verwandter Tiere ausgerichtete Zucht zurückzuführen ist. Auch tragen Fortschritte in der Tiermedizin mutmaßlich dazu bei, den gesamten Genpool zu schwächen: Während vor 40 Jahren kränkliche Tiere einfach unbehandelt starben, werden sie heute dank besserer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden am Leben gehalten, und nicht nur die robustesten überleben. Aber sollten wir daher lieber wieder die kranken Wellis krepieren lassen?
Abschließend möchte ich anmerken, dass sich auch in den von gregor443 so hochgelobten "alten" Wellensittichratgebern aus dem letzten Jahrtausend Gemüse- und Obstempfehlungslisten finden. Aber die haben die klugen alten Halter da sicher nicht gefüttert, sonst wäre damals ja kein Vogel zehn Jahre alt geworden, gell?