Für die begriffliche Unterscheidung von Macht und Herrschaft in der Soziologie sind die theoretischen Arbeiten von Max Weber (1864-1920) grundlegend. Auf seine Definitionen von Macht und Herrschaft nimmt praktisch die gesamte spätere soziologische Literatur Bezug. Sie lauten:
--"Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." (Max Weber: Soziologische Grundbegriffe: § 16. Macht, Herrschaft, in: Ders.: Wirtschaft und Gesellschaft (1921/22), 5. Aufl. Tübingen 1972, S. 28 f.)
--"Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden." (Ebd.)
Und weiter:
"Herrschaft ("Autorität") in diesem Sinn kann im Einzelfall auf den verscheidensten Motiven der Fügsamkeit: von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen, beruhen. Ein bestimmtes Minimum an Gehorchenwollen, also Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört zu jedem echten Herrschaftsverhältnis." (Ebd. S. 122)
Anders gesagt:
"Herrschaft, d. h. die Chance, Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden, kann auf verschiedenen Motiven der Fügsamkeit beruhen: Sie kann rein durch Interessenlage, also durch zweckrationale Erwägungen von Vorteilen und Nachteilen seitens des Gehorchenden bedingt sein. Oder andererseits durch bloße ‚Sitte‘, die dumpfe Gewöhnung an das eingelebte Handeln; oder sie kann rein affektuell, durch bloße persönliche Neigung des Beherrschten, begründet sein. Eine Herrschaft, welche nur auf solchen Grundlagen ruhte, wäre aber relativ labil. Bei Herrschenden und Beherrschten pflegt vielmehr die Herrschaft durch Rechtsgründe, Gründe ihrer ‚Legitimität‘, innerlich gestützt zu werden, und die Erschütterung dieses Legitimitätsglaubens pflegt weitgehende Folgen zu haben." (Max Weber: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 475-488, hier S. 475)
Beide Definitionen (Macht und Herrschaft) stammen aus dem als Lektüregrundlage genannten Kapitel "§. 16. Macht, Herrschaft" aus Webers "Soziologischen Grundbegriffen". Weber selbst hält den Begriff der Macht für "soziologisch amorph" und widmet ihm mit dieser Begründung keine weiteren Studien. Ausführlich greift er in seinen Arbeiten hingegen den Begriff der Herrschaft auf (siehe Sitzung 3).
Macht und Herrschaft unterscheiden sich nach dieser Definition in vielerlei Hinsicht:
--Während Macht als übergreifender Begriff ein breites Spektrum der situationsabhängigen Durchsetzung des eigenen Willens gegenüber Anderen meinst, setzt Herrschaft ein bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit voraus.
--Herrschaft meint eine institutionalisierte Form von Über- und Unterordnung und stützt sich häufig auf einen Verwaltungsstab, Beamte, Beauftragte usw. Besonders deutlich wird dies am Typus der "legalen" Herrschaft, bei der nicht einer Person, sondern einem abstrakten Prinzip (dem Recht) gehorcht wird und diejenigen, die arbeitsteilig Herrschaft ausüben, bloße Amtsträger sind.
--Herrschaft als Chance für "einen bestimmten Befehl" Gehorsam zu finden, ist auf einen bestimmten Bereich beschränkt, in dem die Herrschaft zuständig, (rechtlich) gültig bzw. anerkannt ist.
Quelle: http://www.uni-kassel.de/~schwietr/herrschaft.htm