Ich muss über diesen Text eine Inhlatsangabe schreiben

schweiz tauglich (Martin R.Dean)

Von meiner Wohnung in Basel ist es ein Katzensprung nach Deutschland und Frankreich. Wenn ich Fahrrad oder Bahn fahre, bin ich schon über der Grenze, draußen. Es wäre so gewesen, wenn mir nicht die Grenzsoldaten gefolgt wären. Meine schweizerisch-karibische Abstammung, erkennbar an meinem Äußeren, macht sie misstrauisch und umgeht alle anderen Passagiere an mir vorbei, um meine Papiere zu kontrollieren. Ich zog meinen Schweizer Pass heraus, als wäre er ein gefälschtes Dokument, und meine Identität begann sanft zu flirten, nutzte den Bereich der Möglichkeiten im Schatten der über mich gebeugten Beamtenkörper. Als ich mich leise beschwerte, entschuldigten sich die Beamten und stellten fest, dass die Inspektion am Ende nicht verleumderisch gewesen sei. Das mag stimmen, aber meine Identität hat den Verdacht aufgegeben, dass ich viel sein könnte und nicht nur, wer ich bin. Trotz meines Schweizer Passes ist meine Identität auf beiden Seiten der Grenze nicht gewährleistet; Die Grenze ist die Schallmauer, wo sie kurzzeitig zerbricht. 1920 überquerte meine von der Insel Rügen stammende Grossmutter als junge Einwanderin die Schweizer Grenze in Basel. Im Laufe der Jahre hat sie sich zu einem Schweizer Supermodel gemausert, das als Genie den Schmerz der Ausgrenzung atmete, um jede Inneneinrichtung aufzuräumen: Unermüdlich polierte sie Kanten, Leisten und Möbel auf jenen metaphysischen Glanz, den sie als Beweis für ihre Schweizer Relevanz anbot. Sie wurde eine Frau ohne Heimat, ohne Herkunft, ohne Geschichte. Erst in ihren letzten Lebensjahren kehrte sie auf die Insel zurück – in Bruchstücken eines Traumes plapperte sie. Aus Martin R. Den: Passend für die Schweiz.“ In: Hohler, Franz (Hrsg.): 112 einseitige Geschichten