Ich tanze erst 1,5 Jahre Tango Argentino, vor ein paar Tagen war ich wieder auf einer Milonga.
Ich habe dort auch mit einer Person getanzt, mit der es körperlich sehr intensiv wurde. Da dies beim Tango natürlich nichts ungewöhnliches ist, habe ich mir erst einmal nichts weiter dabei gedacht und mich ganz meiner Tanzleidenschaft hingegeben. Ich schließe dann sehr oft die Augen und bin vollkommen haltlos im Tanzmodus. Wir tanzten dann sehr lange miteinander, doch als er mich dann schließlich mit seiner Hand an meinem Nacken streichelte, erschrak ich und mir kamen plötzlich die Tränen. Ich war nicht in der Lage, adäquat zu reagieren, fühlte mich mit der Situation vollkommen überfordert, irgendwie fühlte ich mich taub. Ich hatte zuletzt vor 1,5 Jahren eine ähnliche Erfahung (aber in einem ganz anderen Kontext) gemacht, ich neige dann stets zur Dissoziation. Wir tanzten weiter, kurze Zeit darauf küsste er mich. Ich wollte meiner eigenen Wahrnehmung nicht trauen, aber als er mich dann ein weiteres Mal küsste, ging ich auf Distanz, mein Blick signalisierte ihm, dass für mich eine Grenze überschritten war und ich wollte nur noch los von ihm kommen. Er bat darum, wenigstens noch einen Tanz "einfach nur so" weiter zu machen, ich gab nach (im Nachhinein frage ich mich, warum). Nach diesem letzten Tanz wollte ich nur noch meine Schuhe wechseln und gehen, ich verabschiedete mich von ihm. Er kam jedoch erneut auf mich zu und verwickelte mich in eine Konversation. Ihm entging offenbar nicht meine schlechte, traurige Verfassung und er fragte mich, ob er mich in seine Arme schließen könnte, was ich zuließ. Er hielt mich einfach nur in seinen Armen und irgendwann kamen mir erneut die Tränen. Er begann dann immer wieder meinen Körper zu "streicheln", mir die Tränen vom Gesicht zu küssen und mein Schlüsselbein/ die Schulter zu fassen, zwei Mal küsste er auch meine Lippen. Da ich wieder dissoziierte, war ich nicht imstande, zu handeln, ich ließ es einfach nur über mich ergehen. Wir hatten bis dahin nicht viel gesprochen, aber mich befiel das Gefühl, dass er meine Situation ausnutzt, meine Verfassung für seine niederen Bedürfnisse missbraucht. Er umarmte mich nochmals sehr innig und begleitete mich dann noch bis zur Haltestelle (dabei hielt er meine Hand umfasst, als sei ich seine Freundin, was mich sehr irritierte), vorher bat er mich um meine Nummer, die ich ihm auch gab. Er will mich natürlich wiedersehen, auf seine Nachricht habe ich bislang nicht reagiert (er schrieb, als ob wir uns bereits nahe stünden und seit Ewigkeiten kennen, was mir zusätzlich suspekt ist). Es besteht eine Altersdifferenz von ca. 30 Jahren zwischen uns.
Freunde in meinem Bekanntenkreis sagen, dass ein deratiges Tempo vollkommen normal sei, im Tango Leidenschaft entfacht wird, da dort immer eine gewisse erotische Komponente mitschwinge und eine Bekannte sagte sogar, dass es "nichts gäbe, wofür ich mich schlecht fühlen sollte, ich "hätte jemanden verdient, der/ die einfach mit mir sein will", wir leben nicht im 19. Jhdt und sie empfindet "meine Abwehr als ziemlich heftig". Zudem könne er nichts dafür, da ich keine Grenze deutlich genug gesetzt hätte, sodass er natürlich mein Verhalten als Bestätigung und Zuspruch deuten musste.
Fakt ist, dass ich tanzen war, weil ich tanzen wollte - und nicht etwa, um mir einen potentiellen Partner oder zumindest eine körperliche Beziehung einzufangen. Leider passiert es mir immer wieder, dass bisweilen Männer offenbar - im Gegensatz zu mir - nicht in der Lage sind, den Tanz von ihrern Gefühlen gegenüber der Tanzpartnerin zu trennen.
Ich wäre sehr für eine Einschätzung Tangoerfahrener TänzerInnen dankbar.
