Falschinformationen im Netz führen zu fatalen Ausschreitungen - wie kann hier vorgebeugt werden?
Spätestens seit der Corona-Pandemie dürfte der Begriff "Fake News" allen mehr oder weniger bekannt sein. Irgendwelche Thesen oder Behauptungen erscheinen im Netz, wirken auf bestimmte Personenkreise glaubwürdig und verbreiten sich dann wie ein Lauffeuer. Auch der zunehmende Einfluss von KI erleichtert es nicht gerade, Falschinformationen von Tatsachen zu unterscheiden. Ganz egal, ob manipulierte Bilder, aus dem Kontext gerissene Zitate - wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, eine Information so zu verfälschen und einzusetzen, dass sie zur Gefahr werden kann. In Großbritannien ist dies kürzlich geschehen - die Folge: massive Ausschreitungen im ganzen Land.
Der Messerangriff in Southport
Es ist Ende Juli in der Stadt Southport, im Nordwesten von England.
Es findet ein Tanzkurs statt, in dem Mädchen lernen möchten, wie der weltbekannte Popstar Taylor Swift zu tanzen. Eigentlich ein normaler Tag wie jeder andere, vielleicht sogar gemischt mit Vorfreude auf den Kurs. Dieser wurde im Internet beworben, als Freizeitaktivität.
Doch dann ereignet sich der grausame Vorfall. Ein 17-jähriger platzt in den Kurs und attackiert die Anwesenden mit einem Messer. Drei Mädchen erleiden tödliche Verletzungen - sie waren sechs, sieben und neun Jahre alt.
Weitere acht Kinder wurden schwer verletzt, ebenso wie zwei erwachsene Frauen, die versuchten, die Kinder zu schützen.
Der Tatverdächtige flieht zunächst, wird aber von der Polizei schnell festgenommen. Zwischenzeitlich ist der 17-jährige wegen dreifachen Mordes angeklagt.
Doch wer ist der Tatverdächtige? Welcher Mensch würde Kindern so etwas antun? Eine Frage, die vermutlich viele, die von dem Vorfall akut mitbekommen haben, beschäftigt. Und wie auf so vieles, gibt das Internet eine Antwort auf die Frage - jedoch mit verheerenden Konsequenzen.
Falschinformationen verbreiten sich wie ein Lauffeuer
Wer ist dieser 17-jährige? Die Frage kursiert offline sowie online, beschäftigt die Menschen. Es geschieht, was immer häufiger stattfindet - eine Information wird veröffentlicht und verbreitet. Aber nicht jede Information muss der Wahrheit entsprechen, so auch in diesem Fall.
So behaupteten Nutzer verschiedener sozialer Plattformen, dass die Identität des Täters geklärt worden sei. Es handle sich, so die Aussage dieser "Information", um einen 17-jährigen Muslim namens Ali Al-Shakati. Belegt wird diese Aussage durchaus, doch bei genauer Recherche fällt auf, dass die Quellen überwiegend unbekannt und entsprechend nicht sonderlich vertrauenswürdig sind.
Doch für diesen Einwand ist es zu spät. Die politische Stimmung in Großbritannien ist sowieso schon aufgeheizt. Eines der brisantesten Themen: Die Migrationspolitik.
Verstärkt werden die Falschinformationen noch durch Beiträge auf X (ehemals Twitter), in denen beispielsweise ein Nutzer behauptet, der Täter sei erst letztes Jahr mit einem Boot gekommen. Auch Andrew Tate, gegen den derzeit aufgrund von Menschenhandel und Vergewaltigung ermittelt wird, nutzte die Gelegenheit, um sich zur Sachlage zu äußern. Seine Behauptung: Der Täter sei erst vor einem Monat mit einem Boot gekommen und habe sich dann dazu entschlossen, auf Kinder einzustechen.
Aussagen wie diese führen zur Eskalation in Großbritannien. Der Migrationskonflikt wird weiter angefeuert, es kommt zu Ausschreitungen und Randalen.
Richtigstellung der Polizei hilft nicht
Von der Polizei wurde noch am Tattag dementiert, dass es sich beim Tatverdächtigen um einen Bootsflüchtling handle. Es gäbe keinerlei Hinweis darauf, dass die Religion eine Rolle bei der grauenvollen Tat spielte, außerdem sei derzeit nicht von einem Terroranschlag auszugehen.
Der Tatverdächtige, so bestätigte die Polizei, wurde vor 17 Jahren in Cardiff einer Hafenstadt an der Südküste von Wales, geboren.
Seine Eltern waren von Ruanda nach Wales eingewandert.
Über 150 Festnahmen aufgrund von Ausschreitungen
Die Richtigstellung der Polizei hielt das Lauffeuer der Wut nicht mehr auf.
Das Thema "Flüchtlinge" ist in Großbritannien politisch extrem stark aufgeladen. Umfragen ergaben beispielsweise, dass 42% der befragten Bürger sich wünschen würden, dass Flüchtlinge, welche mit dem Schlauchboot über den Ärmelkanal das Land erreichen, sofort des Landes verwiesen werden sollten. Ebenso wünschen sie sich, dass es bei diesem Vorgehen keinerlei Möglichkeit gebe, einen juristischen Einwand zu erheben.
Auch der ehemalige Premierminister Rishi Sunak warb mit dem Slogan „Stop the Boats“ und machte sich für eine härtere Asylpolitik stark.
Es verwundert daher nicht, dass viele der Unruhen, die zu Ausschreitungen eskalieren, von rechtsradikalen Gruppierungen ausgehen. Sie werfen der Polizei unter anderem vor, der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorzuenthalten.
Es erfolgte beispielsweise ein Angriff auf ein Hotel in Tamworth nahe der Stadt Birmingham. Das besondere an dieser Unterkunft: Sie dient Asylbewerbern als Unterkunft. Den bisher bekannten Angaben zufolge verwendeten die Angreifer Wurfgeschosse, schlugen Fensterscheiben ein, legten Feuer und griffen Polizisten an.
Doch auch in Liverpool, Manchester, Belfast, Leeds und Notingham kam es zu unterschiedlichen Vorfällen - in Liverpool wurden Polizisten mit Ziegelsteinen und Stühlen sowie Leuchtraketen beworfen, in Notingham beispielsweise kam es zu Auseinandersetzungen von Demonstranten und Gegendemonstranten.
Großbritannien ist im Aufruhr. Zwischenzeitlich wurden mehr als 150 Personen aufgrund der Eskalationen festgenommen.
Wie kann solchen Situationen künftig vorgebeugt werden?
Besonders in Zeiten von KI, die sowohl Bilder als auch Artikel zur Verfügung stellen kann, die täuschend echt wirken, stellt sich die Frage: Wie kann die Verbreitung und vor allem solche Eskalationen aufgrund von Falschinformationen künftig vermieden werden?
In unserer Meinung des Tages wollten wir von der Community wissen, ob konsequenter gegen Falschinformationen vorgegangen werden sollte und ob künftig vielleicht sogar diejenigen, die derartiges verbreiten, dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollten.
Außerdem interessierte uns, ob die Polizei von Anfang an transparent über Hintergründe und Nationalitäten informieren sollte, sodass Spekulationen nicht solch eine Macht gewinnen können. Weiter haben wir gefragt, ob derartige Ausschreitungen auch in Deutschland denkbar wären und vor allem, wie mit der Migrationspolitik künftig verfahren werden soll, sodass die Unruhen diesbezüglich abnehmen.
Die Beteiligung an der Diskussion war sehr rege, wir haben uns über Eure fundierten Antworten sehr gefreut und jede aufmerksam durchgelesen. Das Thema Fake News beschäftigt uns bei gutefrage ebenfalls. Wir evaluieren momentan inwiefern wir sinnvoll gegen Falschinformationen vorgehen können.
Folgend seht Ihr ein paar Antworten, die unterschiedliche Perspektiven einnehmen und die Gesamtsituation beleuchten.
Rolajamo hat einen Vorschlag, wie künftig weniger Fake-Profile erstellt werden könnten:
Wie kann konsequenter gegen Falschinformationen wie diese vorgegangen werden?
Die Plattformen müssen dafür sorgen, dass Menschen nicht ungeniert solche Falschinformationen verbreiten können, sollte inzwischen auch mit KI automatisiert geprüft werden können. Ausserdem bin ich für die Regirstirerung mit Personalausweis. Dann ist das Problem mit Fakeprofilen gelöst und Straftaten im Netz können leichter geahndet werden.
Sollten diejenigen, die derartige Fake News teilen, dafür auch haftbar gemacht werden?
Ja, definitiv. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum
Falls ja, welche Konsequenzen sollten an dieser Stelle folgen?
Bussgelder und Löschung der Profile
Muss von Seiten der Polizei bereits zu Beginn vollumfänglich offengelegt werden, woher alle mutmaßlich Beteiligten stammen?
Ja. Das Verschweigen lässt nur Argumentationsspielraum
Wo endet Eurer Meinung nach das Persönlichkeitsrecht und wo rechtfertigt ein allgemeines öffentliches Interesse eine Offenlegung von sensiblen persönlichen Daten?
Wer eine schwere Straftat begeht hat meiner Meinung nach kein Recht auf den Schutz von persönlichen Daten. Und die Herkunft sollte auch nicht zu persönlichen Daten gehören.
Wie könnte die zunehmende Radikalisierung und Verbreitung von Falschmeldungen im Netz eingedämmt werden?
Indem man von Anfang an mit offenen Karten spielt. Obs nun ein aktueller Flüchtling oder Flüchtling in zweiter Generation war, macht doch keinen enormen Unterschied. Die Reaktion wäre diesselbe gewesen.
Fürchtet Ihr ähnliche Ausschreitungen auch in Deutschland?
Ja, die wird es geben.
Wie sollte die Kommunikation und auch der Umgang mit der Flüchtlingspolitik langfristig (inter)national aussehen, sodass derartige Unruhen weniger werden?
Transparenz. Und härteres Durchgreifen. Wer im ersten Jahr straffällig wird, egal wie klein der Delikt ist, sollte umgehene abgeschoben werden. Ist das Herkunftsland nicht sicher? Egal, Menschen die Straftaten begehen machen ein Land unsicher, und dann sollen sie es nicht hier tun.
Und tut mir Leid, aber Messernangriffe häufen sich zunhemend. Und die Straftäter sind überwiegen oft Migranten. Dass Bürger hier um die Sicherheit besorgt sind ist KEIN RASSISMUS.
Nutzer tomaushamburg sieht weniger das Problem in den Falschmeldungen, mehr in der Informationspolitik der Medien und Öffentlichkeit:
Ich denke nicht, dass Falschmeldungen der Kern des Problems sind, außerdem ist es nicht immer möglich, eine Falschmeldung als solche zu identifizieren. Wissenschaft z.B. besteht aus unterschiedlichen Ansichten, von denen sich dann ggf. eine als korrekt herausstellt - aber eben erst nachträglich.
Der Kern des Problems ist, dass viele Menschen das Gefühl haben, von der Regierung und den regierungsnahen Medien falsch informiert zu werden, und wenn man das Gefühl hat, dass die Medien falsch oder einseitig berichten, dann glaubt man denen nicht mehr und bezieht seine Informationen aus alternativen Quellen.
Ein Beispiel ist die Ausländerkriminalität: Statistiken beweisen eindeutig, dass junge moslemische Einwanderer häufiger kriminell sind als vergleichbare Altersgruppen von Einheimischen oder nicht-moslemischen Einwanderern. Wenn es hier ein Problem gibt, dann muss man es ansprechen und nicht relativieren. Wenn die Fakten verschwiegen werden, dann fühlen sich die Menschen verschaukelt und werden irgendwann wütend.
Das Problem in Großbritannien ist nicht, dass die Herkunft des Mörders falsch angegeben wurde, sondern dass über Jahre über derartige Kriminalität nicht oder beschönigend berichtet wurde, und dass die Leute jetzt den Kanal voll haben.
Das Filtern von "Falschmeldungen" würde jedes Medium dem Verdacht aussetzen, unangenehme Dinge verschweigen zu wollen, und damit letztlich die Verwendung von fragwürdigen Quellen noch befördern.
ImmortalAnthra sieht vor allem die Problematik unregulierter Migration:
Auch hier hat man einen Fall, der vor allem durch die unregulierte Migration entstanden ist, ob der Täter im Schlauchboot kam oder nicht. Die Gesellschaft ist gespalten, die Machtlosigkeit hat sich über lange Zeit angestaut und jetzt hat sie sich leider durch Gewalt entladen. Das Vertrauen der Bevölkerung zurückzubekommen dürfte unmöglich werden; der erste Schritt sollte aber die Rückführung illegaler Migranten und die Einschränkung weiterer Migration sein.
Menschen Falschinformationen zu verbieten wird nicht helfen, sondern nur einen weiteren Korken in die explodierende Gasflasche stecken.
Nutzer vanOoijen hat sich ausführlich Zeit genommen und geht auf alle einzelnen Fragen in seiner Antwort ein:
- Wie kann konsequenter gegen Falschinformationen wie diese vorgegangen werden?
Die Vorschläge reichen von Faktencheck bis hin zur Einrichtung einer Einheit gegen Fakenews durch das Bundesinnenministerium. Die Frage ist jedoch, ob der Gewaltausbruch in GB tatsächlich alleine an einer Falschmeldung lag, oder viel eher an einer generell aufgeheizten Stimmung in Teilen der Bevölkerung.
- Sollten diejenigen, die derartige Fake News teilen, dafür auch haftbar gemacht werden?
Ich finde das geht zu weit Leute zu bestrafen, denen es an Medienkompetenz mangelt. Sofern jedoch die Urheber der Fakenews ermittelt werden können sollten diese bestraft werden.
- Falls ja, welche Konsequenzen sollten an dieser Stelle folgen?
Für die Urheber je nach Folgen der Falschmeldung Geld- bis hin zu Haftstrafen und vor allem ein Publikationsverbot bzw. Verbot der politischen Betätigung.
- Muss von Seiten der Polizei bereits zu Beginn vollumfänglich offengelegt werden, woher alle mutmaßlich Beteiligten stammen?
Das kann im Einzelfall sinnvoll sein.
- Wo endet Eurer Meinung nach das Persönlichkeitsrecht und wo rechtfertigt ein allgemeines öffentliches Interesse eine Offenlegung von sensiblen persönlichen Daten?
Wenn durch ein Kapitalverbrechen der öffentliche Frieden gefährdet ist, wiegt das öffentliche Interesse meiner Meinung nach schwerer als der Datenschutz.
- Wie könnte die zunehmende Radikalisierung und Verbreitung von Falschmeldungen im Netz eingedämmt werden?
Mit rechtsstaatlichen Mitteln ist das schwierig. Eine Demokratie kann das Netz nicht auf dieselbe Weise kontrollieren wie es z.B. China und Russland machen. Wer sich hierzulande radikalisieren will schafft das. Medienkompetenz sollte allerdings als Teil des Politik- oder Deutschunterrichtes Einzug in die Lehrpläne halten.
- Fürchtet Ihr ähnliche Ausschreitungen auch in Deutschland?
Die Polizei machte Anhänger der sogenannten English Defence League, einer vor 15 Jahren gegründeten Anti-Islam-Organisation mit Verbindungen in die Hooligan-Szene, für die Gewalt verantwortlich. Unter dem Motto "Genug ist genug" wurde auf rechtsextremen Kanälen in Onlinemedien für die Kundgebungen geworben.
Die Gewalt in England geht also nicht allein von normalen Bürgern aus, die Fakenews gelesen haben.
Wenn es bei uns ebenfalls gewaltbereite, rechtsextreme Untergrundorganisationen gibt schließe ich ähnliche Gewaltausbrüche auch für Deutschland nicht aus. Aber noch ist die Stimmung hierzulande nicht so gereizt wie in Großbritannien. Der Deutsche neigt zudem eher nicht zu solchen Verhaltensweisen.
- Wie sollte die Kommunikation und auch der Umgang mit der Flüchtlingspolitik langfristig (inter)national aussehen, sodass derartige Unruhen weniger werden?
Es wäre sicher hilfreich, wenn die Bürger nicht den Verdacht hätten, dass die Medien bestimmte unbequeme Fakten verschweigen. Und wer kein Bleiberecht hat muss auch wieder gehen. Asylrecht ist wichtig, aber dass abgelehnte Asylbewerber trotzdem per Duldung hierbleiben wird bei der Masse dieser Personen zum Problem.
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