Woyzeck Klassiker?

2 Antworten

Büchner war seiner Zeit weit voraus:

— Eine Sprache wie aus dem 20 Jahrhundert

— Ein Mitglied der untersten Gesellschaftsschicht als Hauptperson

Wenn Du der erste bist, der etwas macht, auf das die anderen erst viel später kommen, dann verdient das Anerkennung.

Warum ist Woyzeck heute ein Klassiker der deutschen Literatur?

Woyzeck

Regisseure, Maler, Musiker und Filmemacher in der ganzen Welt hatte Woyzeck erheblichen Einfluss.

Dichter, Kritiker, Dramatiker über „Woyzeck“Bearbeiten
„… der Woyzeck Georg Büchners … Eine ungeheure Sache, vor mehr als achtzig Jahren geschrieben … nichts als das Schicksal eines gemeinen Soldaten (um 1848 etwa), der seine ungetreue Geliebte ersticht, aber gewaltig darstellend, wie um die mindeste Existenz, für die selbst die Uniform eines gewöhnlichen Infanteristen zu weit und zu betont erscheint, wie selbst um den Rekruten Woyzeck, alle Größe des Daseins steht, wie er’s nicht hindern kann, dass bald da, bald dort, vor, hinter, zu Seiten seiner dumpfen Seele die Horizonte ins Gewaltige, ins Ungeheure, ins Unendliche aufreißen, ein Schauspiel ohnegleichen, wie dieser missbrauchte Mensch in seiner Stalljacke im Weltall steht, malgré lui, im unendlichen Bezug der Sterne. Das ist Theater, so könnte Theater sein.“

– Rainer Maria Rilke, Brief an Maria von Thurn und Taxis, 9. Juli 1915

„Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln.
Somit ein Behandelter, nicht ein Handelnder.
Somit ein Kreisel nicht eine Peitsche. Somit ein Opfer nicht ein Täter. Dramengestalt wird sozusagen die Mitwelt – nicht Woyzeck. Kernpunkt wird sozusagen die quälende Menschheit – nicht ihr gequälter Mensch. Bei alle dem bleibt wahr, dass Woyzeck durch seine Machtlosigkeit justament furchtbarsten Einspruch erhebt. Dass er am tiefsten angreift – weil er halt nicht angreifen kann.“

– Alfred Kerr, Theater-Kritik, 15. Dezember 1927

„Letztlich – und das ist das Entscheidende – geht es im „Woyzeck“ wie zuvor im „Landboten“ und im „Danton“ um die stets gleiche Frage: um die Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die ‚außer uns liegen‘. Den „grässlichen Fatalismus der Geschichte“ und seine „zernichtende“ Gewalt hatte Büchner schon in seiner frühesten Gießener Zeit empfunden. Das Studium der Geschichte, der großen politischen Umwälzungen, hatte ihm die Frage gestellt, die er als Schicksalsfrage menschlicher Existenz empfand:
 Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?.
Das aber war nichts anderes als die Frage nach den bestimmenden und verursachenden Faktoren des menschlichen Schicksals; es war die Frage nach Freiheit oder Vorherbestimmtheit menschlicher Willensentscheidungen, nach der Möglichkeit oder auch nur Sinnhaftigkeit, durch Handeln und Planen in den Geschichtsverlauf und den Verlauf des Einzellebens eingreifen zu können.“

– Hans Mayer, Theater-Kritik, 15. Dezember 1927[11]

„Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur, wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibers zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts Warten auf Godot, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweiteten Schädel des Vitus BeringRolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTOIRE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte.“

– Heiner Müller, Die Wunde Woyzeck, 1985[12]

„Woyzeck hat mehrere Teilzeitjobs, das geht letzten Endes nicht gut, weil er über die dafür notwendigen übermenschenlichen Kräfte nie und nimmer verfügen kann. Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt dort an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze endet.“

– Dževad Karahasan, Meine Sicht auf Woyzeck, 2007[13]

Woyzeck auf dem Theater

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Stück zu einem vielbeachteten, geradezu modisch sensationellen Spieltext für die deutschsprachigen Theater, mit dem man sich vielfach an ein speziell literatur- und theaterinteressiertes Publikum wandte und der in den Feuilletons im Pro und Contra eine wahre Büchnereuphorie weckte.

Den eigentlichen Durchbruch als Bühnentext brachte dem Werk dessen 14. Inszenierung, die Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin (Premiere am 5. April 1921) mit Eugen Klöpfer als Woyzeck herausbrachte.

In der dichten Folge der Woyzeck-Inszenierungen während der 1920er Jahre schälten sich als Regiekonzeptionen vier szenische Lesarten heraus:

  • Der Woyzeck als Gleichnis für ein unerklärliches, unausweichlich und schicksalhaft über den Menschen auf Erden verhängtes Leiden.
  • Der Woyzeck als soziales Drama, als Proletariertragödie. Woyzeck wird durch gesellschaftliche Gegebenheiten und Zwänge zum Mörder und Selbstmörder. Hier wird das Werk zum politischen Kampftheater im Klassenkampf.
  • Der Woyzeck als Repräsentant jener hochsensiblen, intensiv fühlenden Menschen, die in eine triebbestimmte, gefühllos kalte Welt gestellt sind. Woyzeck hält die Spannung zwischen seinem inneren Leben und einer rohen Umwelt nicht aus, er fällt in Wahnsinn, wird zum Mörder und Selbstmörder. Er erleidet das immer wiederkehrende Schicksal der Menschen mit den „empfindlicheren Nervensystemen“ (Franz Theodor Csokor, der Verfasser des „Versuchs einer Vollendung“ des Woyzeck, der 1928 am Raimundtheater in Wien uraufgeführt wurde.) in ihrem Kampf mit den stumpfen Empfindungslosen.
  • Der Woyzeck als Eifersuchtsdrama, als Moritat und szenische Volksballade in der Tradition der deutschen Volksdichtung, der Volksballade und des Volksliedes.