Wie steht Epikur zu Ehen?

2 Antworten

Von Epikur sind nur sehr wenige knappe Aussagen zum Thema Ehe erhalten.

Epikur hat von Ehebruch abgeraten: Der Weise wird sich mit einer Frau nicht sexuell vereinigen, mit der dies die Gesetze verbieten (Diogenes Laertios 10, 118). Eine ausdrückliche Begründung dafür wird nicht überliefert. Der bei Epikur naheliegende Gedanke ist, das Unangenehme überwiege dabei auf die Dauer insgesamt deutlich. Schon die Angst vor (nicht unmöglicher) Entdeckung und dann drohendem Ärger, schlechtem Ruf, Rache- und Strafmaßnahmen schadet der Seelenruhe und beeinträchtigt das Glück. Mit einem Argument dieser Art begründet Epikur allgemein, warum Unrecht/Verstoß gegen das Recht besser unterlassen wird.

Der Weise (ein Mensch, der klug handelt, seinen Begierden eine Grenze setzen kann und ein besonders glückliches Leben hat) wird nach einer Aussage Epikurs (Diogenes Laertios 10, 119) nicht heiraten und keine Kinder zeugen außer unter besonderen Lebensumständen. Grundsätzlich hält es Epikur anscheinend für empfehlenswerter, keine Ehe einzugehen, zumindest für Menschen, die ihre Begierden gut kontrollieren können. Andererseits ist die Beurteilung, was empfehlenswerter ist (Ehe oder Nicht-Ehe), in gewissem Ausmaß von den Lebensumständen abhängig.

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt. Band 2: Bücher VIII - X. Unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu herausgegeben sowie mit Vorwort, Einleitung und Anmerkungen versehen von Klaus Reich. Sonderausgabe. Hamburg : Meiner, 2008 (Philosophische Bibliothek ; Band 54), S. 260:

„Ferner wird der Weise nicht heiraten und Kinder zeugen, wie Epikur in den „Zweifelfragen“ und in den Büchern über die Natur sagt. Nur unter besonderen Lebensumständen würde der eine oder andere heiraten, nicht ohne ein gewisses Schamgefühl.“

Sexuelle Bedürfnisse werden von Epikur als natürliche, aber nicht notwendige Begierden eingestuft. Grundsätzlich ist nichts gegen eine Erfüllung der Begierden einzuwenden. Dies kann Lust verschaffen. Allerdings sollte klug abgewogen, ob dies nicht mit größerem Schaden verbunden und daher besser unterlassen wird. Für ein dauerhaftes Glück eines guten Lebens scheint Epikur von den sexuellen Bedürfnissen wenig Gutes zu erwarten, er meint, es sei viel damit erreicht, Schaden zu vermeiden (Gnomologium Vaticanum Epicureum 51).

Epikur will offenbar vor unbeherrschter Triebhaftigkeit und ungezügelter, nicht mit klugen Überlegungen des Verstandes/der Vernunft verbundener Leidenschaft warnen.

Ein freundschaftliches Verhältnis zu Frauen gilt anscheinend grundsätzlich als empfehlenswert Epikur bewertet die Freundschaft günstig. Sie ist einerseits hilfreich beim Erreichen von Glück, andererseits gilt sie als um ihrer selbst willen wertvoll.

Ziel allen Handelns ist nach Epikur das gute Leben (εὖ ζῆν) oder anders gesagt das Glück (εὐδαιμονία [eudaimonia]).

Die konkrete Bestimmung dieses Zustandes ist für Epikur die Seelenruhe (ἀταραξία [ataraxia]) und die körperliche Schmerzlosigkeit (ἀπονία [aponia]).

Ziel (τέλος [telos]) der Ethik im prägnanten Sinn ist nach Epikur die Lust (ἡδονή [hedone]). Sie ist der naturgegebene Ausgangspunkt und das Ziel alles Handelns (Epikur, Brief an Menoikeus 128).

Gerechtigkeit gilt bei Epikur nicht als ein Gut an sich. Beim Recht geht es um den Nutzen, der durch Verträge/Übereinkünfte entsteht. Gerechtigkeit und Recht werden in Bezug auf hren Nutzen als gut bewertet, insofern sie für die Sicherheit vor gegenseitigem Zufügen von Schädigung, Nutzen für die Lust und damit das Glück des Individuums sorgen (Epikur, Kyriai doxai [Hauptlehrsätze]) 31 – 39).

Sabine Föllinger, Differenz und Gleichheit : das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. Stuttgart : Steiner, 1996 (Hermes : Einzelschriften ; Heft 74), S. 243:  

„Zwar sind von Epikur Aussagen über die geschlechtliche Verbindung von Mann und Frau auf der einen Seite und die Ehe auf der anderen Seite überliefert. Doch es ist kein Zeugnis erhalten, in dem eine Beziehung zwischen beiden hergestellt würde, im Unterschied zu Aristoteles' Auffassung, für den die Besonderheit des Menschen gerade durch die Verbindung von 'triebhaftem' und 'rationalem' Moment - der bewußten Partnerwahl - gegeben ist. Für Epikur scheint dem "natürlichen' Geschlechtstrieb auf der einen Seite die Partnerverbindung in Form einer Ehe als zivilisatorischer Institution auf der anderen Seite gegenübergestellt gewesen zu sein, ähnlich den frühstoischen und vor allem kynischen Anschauungen.

Die von ihm überlieferten Aussagen zur Ehe sind widersprüchlich. Laut DL X 1 19 wird der Weise heiraten und Kinder zeugen, aber er wird es den Umständen entsprechend tun: καὶ μὴν καὶ γαμήσειν καὶ τεκνοποιήσειν τὸν σοφόν, ὡς Ἐπίκουρος ἐν ταῖς Διαφορίαις καὶ ἐν ταῖς Περὶ φύσεως. κατὰ περίστασιν δέ ποτε βίου γαμήσειν. Dem widersprechen andere Zeugnisse, unter ihnen Epiktet, die Epikur eine ehefeindliche Haltung zuschreiben, da er die mit einer Ehe verbundene Unannehmlichkeiten in den Vordergrund gestellt habe.“

S. 244:„Das Ziel ist also die Lust als Freiheit von Schmerz, desen Erreichen alles andere untergeordnet wird, so daß auch die eigentlich epikureische Haltung, sich von der Politik fernzuhalten, relativiert wird. Dem entspricht Epikurs persönliches Verhalten, von dem uns die Zeugnisse Auskunft geben. Nach diesen wurden nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Familienverbände im Kepos aufgenommen.

Was seine bei DL X 118 = 583 Us. überlieferte Mahnung angeht, der Weise werde nicht Ehebruch begehen: γυναικί τ' οὐ μιγήσεσθαι τὸν σοφὸν ᾗ οἱ νόμοι ἀπαγορεύουσιν, so ist sie wohl nicht als Rücksichtnahme auf das Sozialleben zu verstehen.Vielmehr bildet die Furcht vor den mit einem Ehebruch verbundenen Unannehmlichkeiten, die den Seelenfrieden stören, den Hintergrund für die Weisung.“

DL = Diogenes Laertios  

Us. = Usener

Die Epiktet-Stelle: Arrian Epict. III 17, 9 = Us. 525  

Arrian, Epict. = Arrian, Diatribai (Διατριβαί; Lehrgespräche: lateinischer Titel: Epicteti dissertationes)

Die soziale Organisation der Ehe war im antiken Griechenland eine andere als heute, sodass man das mit heute überhaupt nicht vergleichen kann. Auffallend ist ja, dass in der Antike viel über Freundschaft, kaum über Liebe (zwischen Mann und Frau) gesprochen wird. Aber auch Freundschaft hatte in der Antike einen anderen existentiellen Stellenwert als heute. Im antiken Athen Epikurs gab es kaum soziale Absicherung. Dafür war man auf sich allein, auf die Familie und auf Freunde gestellt. Freunde waren ein Teil des sozialen Netzes. Mir ist das erst anschaulich klar geworden, als ich die Sokrates-Darstellung des Xenophon gelesen habe. Darin geht es teils um handfeste Lebensberatung wie (ungefähr): Wenn Du Dich als guten Heerführer empfehlen willst, zeige erst mal, dass Du Deinen Haushalt im Griff hast, denn der Heerführer ist vor allem auch der "Haushälter" der ihm anvertrauten Soldaten.

„Nicht hungern, nicht dürsten, nicht frieren" hat Karl Hardach seinen Beitrag in den wirtschaftshistorischen Studien über die Zeit Epikurs überschrieben. Die meisten Menschen lebten von der Hand in den Mund. Die Armut war groß, vor allem unter den Tagelöhnern. Zitat: "Die breite Masse (plethos) der Athener kam eigentlich zu einer wirklichen Mahlzeit - das heißt mit Fleisch - nur bei einem öffentlichen Festessen (hestiasis) der Polis." (Der Aufsatz stammt aus:Wirtschaftshistorische Studien - Festgabe für Othmar Pickl)

Zur Ehe siehe Wikipedia - "Antikes_griechisches_Recht" und dort den Abschnitt:

"Ehe- und Familienrecht

Der Fortbestand des Oikos (Haushalts), der eine wirtschaftliche und religiöse Einheit darstellte und Baustein der Polis war, wurde durch die Ehe (γάμος) gesichert. Sie wurde durch ein Rechtsgeschäft zwischen dem Kyrios (dem alleinbestimmenden Herrn) der Braut und dem Bräutigam, die Engye (ἐγγύη) und die (ἔκδοσιςekdosis, ,Herausgabe‘) der Braut begründet. Voraussetzung war die Epigamie, die Ehefähigkeit der Brautleute, die in Athen nur Bürger und solche Metöken hatten, denen sie durch Isopolitievertrag mit ihrer Polis
gewährt wurde. Eine der Braut von ihrem Kyrios mitgegebene Mitgift (Proix) war bei der Scheidung der Ehe zurückzugeben, bei ihrem Tod fiel sie ihren Söhnen zu."

In der Ehe spielte also Liebe keine große Rolle. Das wurde als Rechtsgeschäft zwischen Männern geregelt. Liebe war eher Zufall. Gastmähler waren Männergesellschaften, in denen nicht die Ehefrauen und Töchter zugelassen waren, sondern "dienliche" Damen und gebildete Hetären. Knabenliebe sollte nicht nur "homosexuell" gedeutet werden sondern auch als Lehrer-Schüler-Verhältnis. Wenn Epikur an einer Stelle vor zuviel "Liebesgenuss" warnt, dann meint er den käuflichen, der den süchtigen in den Ruin treiben kann. Das hat nichts mit einem Eheverhältnis oder heute verstandener Liebe zu tun.


berkersheim  01.12.2016, 21:36

Nachtrag: Meöken sind Nichtathener (z.B. Aristoteles). In Verträgen zwischen Athen und befreundeten Städten wurde den Bürgern dieser Städte in Isopolitieverträgen u.a. das Recht zugestanden, in Athen heiraten zu dürfen. Sie waren - je nach Vertrag - begrenzt zu Rechtsgeschäften in Athen berechtigt.

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