Was versteht Epikur unter Freundschaft?

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Epikur (griechisch: Ἐπίκουρος [Epikouros]) versteht unter Freundschaft (griechisch: φιλία [philia]) eine mit Gefühlen der Liebe/Zuneigung verbundene zwischenmenschliche Beziehung, die um ihrer selbst willen zu wählen ist, deren Ursprung/Grund der Entstehung aber Nutzen/Bedürfnis (griechisch: χρεία [xhreia]) ist und die besonders viel zur Lust/Freude und zum Erreichen von Glückseligkeit beiträgt.

Epikur vertritt eine große Wertschätzung der Freundschaft. Er hält sie für ein hohes Gut (wenn auch ein vergängliches Gut, weil sie mit dem Lebensende aufhört). Wichtig sind gegenseitiger Nutzen (als Grundlage), Vertrauen (vgl. Diogenes Laertios 10, 11), Hilfe und Fürsorge.

Diogenes Laertios 10, 120

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt. Unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu herausgegeben sowie mit Vorwort, Einleitung und Anmerkungen versehen von Klaus Reich. Hamburg : Meiner, 2015 (Philosophische Bibliothek ; Band 674), S. 592:

„Auch die Freundschaft habe ihren Grund im Nutzen; allerdings müssten wir den Anfang machen – müssen wir doch auch erst den Samen in die Erde einsenken –, ihren Bestand aber erhalte sie durch den Frohsinn der vollen Gemeinschaft.“

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 315 – 316:

„Auch die Freundschaft entsteht aus praktischen Bedürfnissen. Man muß freilich vorher den Grund legen, denn auch in die Erde bringen wir erst Samen. Ihren Bestand aber erhält die Freundschaft durch das gemeinsame Leben derer, die die Fülle der Lust erreicht haben.“

Diogenes Laertios 10, 148 - Kyriai Doxai (griechisch: Κύριαι δόξαι; Hauptlehrsätze; lateinischer Titel: Ratae sententiae) 27 und 28 (sehr ähnlich Marcus Tullius, Cicero, De finibus bonorum et malorum 1, 68, 3)

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt. Unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu herausgegeben sowie mit Vorwort, Einleitung und Anmerkungen versehen von Klaus Reich. Hamburg : Meiner, 2015 (Philosophische Bibliothek ; Band 674), S. 605:

„XXVII. Von allem, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens in Bereitschaft hält, ist weitaus das wichtigste der Besitz der Freundschaft.

XXVIII. Es ist die nämliche Erkenntnis, die uns einerseits die ermutigende Überzeugung schafft, daß nichts Schreckliches ewig oder auch nur lange Zeit dauert, andererseits Klarheit darüber gibt, daß innerhalb unserer begrenzten Verhältnisse die volle Sicherheit vor allem auf Freundschaft beruht.“

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 289:

„27.

Von allem, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist weitaus das Größte die Gewinnung der Freundschaft.

28.

Dieselbe Erkenntnis , die uns die Zuversicht gibt, daß nichts Schreckliches ewig oder lange währt, läßt uns auch begreifen, daß gegenüber diesen begrenzten Übeln die von der Freundschaft gewährte Sicherheit die vollkommenste ist.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 23

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 296:

„Jede Freundschaft ist um ihrer selbst willen zu wählen, ihren Ursprung aber hat sie vom Nutzen.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 34

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 298:

„Wir betrachten als Hilfe nicht so sehr die Hilfe unserer Freunde als das Vertrauen auf ihre Hilfe.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 39

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 298:

„39.

Weder ist ein Freund, wer immer nur auf den Nutzen aus ist, noch, wer ihn niemals mit der Freundschaft in Verbindung bringt.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 52

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 301

„52.

Die Freundschaft tanzt um die Welt und fordert uns alle auf, aufzuwachen zum Preis der Glückseligkeit.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 56. 57

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 301:

„56. 57.

Selbst der Folter ausgesetzt, empfindet der Weise keinen größeren Scherz, als wenn sein Freund gefoltert wird. Und er wird auch bereit sein, für seinen Freund zu sterben. Denn wenn er seinen Freund preisgeben wird, dann wird sein ganzes Leben zerrüttet und zugrunde gerichtet werden durch die Treulosigkeit.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 66

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 303:

„66.

Wir wollen am Unglück unserer Freunde teilnehmen nicht durch Klagen, sondern durch unsere Fürsorge.“

Prosphonesis (griechisch: Προσφώνησις; Vatikanische Spruchsammlung; lateinischer Titel: Gnomologium Vaticanum Epicureum) 78

Griechische Atomisten : Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike ; [aus dem Griechischen und Lateinischen]. [Übersetzt und herausgegeben von Fritz Jürß, Reimar Müller und Ernst Günther Schmidt]. 4. Auflage. Leipzig : Reclam, 1991 (Reclam-Bibliothek : Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte ; Band 409), S. 305:

„78.

Der edle Mensch kümmert sich am meisten um Weisheit und Freundschaft. Davon ist diese ein vergängliches, jene ein unvergängliches Gut.“

Marcus Tullius, Cicero, De finibus boborum et malorum 1, 65, 2 (in dem Werk Darlegung der epikureischen Lehre durch Lucius Manlius Torquatus als Dialogfigur)

Marcus Tullius Cicero. Über die Ziele des menschlichen Handelns = De finibus bonorum et malorum. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann. München ; Zürich : Artemis-Verlag, 1988 (Sammlung Tusculum), S. 61:

„Darüber sagt Epikur jedenfalls dies, daß unter allen Dingen, die die Weisheit für das glückselige Lebe bereitgestellt hat, nichts größer, fruchtbarer und lustvoller sei als die Freundschaft.“

Marcus Tullius, Cicero, De finibus boborum et malorum 1, 70, 3 (in dem Werk Darlegung der epikureischen Lehre durch Lucius Manlius Torquatus als Dialogfigur)

Marcus Tullius Cicero. Über die Ziele des menschlichen Handelns = De finibus bonorum et malorum. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann. München ; Zürich : Artemis-Verlag, 1988 (Sammlung Tusculum), S. 65:

„Aus alledem kann gefolgert werden, daß das Prinzip der Freundschaft nicht nur nicht gefährdet wird, wenn die Lust als höchstes Gut gilt, sondern daß vielmehr ohne diese Annahme die Freundschaft überhaupt nicht zustande kommen kann.“


mindwind 
Beitragsersteller
 01.06.2021, 22:56

Wow, danke! Das hätte nicht sein müssen. Ich bedanke mich vielmals

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mindwind 
Beitragsersteller
 05.06.2021, 01:52
@mindwind

Ich hätte eine kurze Fraģe, wenn das für Sie okay ist...(aber bitte nicht so ausführlich antworten, sonst habe ich wieder ein schlechtes Gewissen (PS: VIELEN DANK NOCHMALS).

Ich habe im Net was von "zügellosem Hedonismus" im Zusammenhang mit Epikur gelesen -wie ist das zu verstehen?

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Albrecht  05.06.2021, 12:28
@mindwind

»Zügellos« bedeutet: unbeherrscht, maßlos, hemmungslos, undiszipliniert.

Epikur hat so etwas tatsächlich nicht vertreten, sondern Glückseligkeit konkret als Seelenruhe (ἀταραξία [ataraxia]) bestimmt, eine Konzentration auf natürliche und notwendige Begierden/Bedürfnissen empfohlen und beim Streben nach Lust kluge Überlegung für richtig gehalten.

Epikurs Ethik als zügellosen Hedonismus darzustellen ist Polemik (scharfer, unsachlicher Angriff). Es handelt sich um absichtliche Verzerrung gegnerischer Richtungen oder falsche Beschreibung von Leuten, die Epikurs Ethik nicht wirklich kennen und nur etwas von Lust als Ziel/höchstem Gut gehört/gelesen haben.

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mindwind 
Beitragsersteller
 05.06.2021, 14:56
@Albrecht

Oh okay. Interessant! Danke...Schönes Wochenende

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