Wer weiß etwas über Entindividualisierung?

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In der Soziologie werden Individualisierung und Entindividualisierung als zwei zunächst gegensätzliche gesellschaftliche Prozesse bezeichnet.

In der einen Richtung geht man davon aus, dass "moderne" Gesellschaften immer individualistischer ausgerichtet sind. Das "Individuum" stellt hier quasi den gesellschaftlichen Akteur dar und es bewegt sich relativ unabhängig von anderen Individuen durch die Gesellschaft. Sozialbeziehungen dienen dem Individualisten in erster Linie zum eigenen Nutzen. Dieser Blickwinkel sieht den Kapitalismus als eine der Hauptursachen (neben dem damit einhergehenden Wohlstand und der sozialen Absicherung, durch staatliche Institutionen) für die Individualisierung, denn der Kapitalismus braucht eine Gesellschaft, in der jedes Individuum sich, einem gut funktionierenden Zahnrädchen gleich, in kapitalistische Mehrwerterzeugung einpassen kann. Das klappt am besten, wenn das Zahnrädchen nicht noch in anderen Uhrwerken (sprich Sozialbeziehungen, wie dem kranken Kind, der pflegebedürftigen Oma oder dem Partner, der keinen Abend allein verbringen möchte) drin hängt.

Dem gegenüber gilt der Kapitalismus aber auch beim Prozess der Entindividualisierung als Auslöser. Auch hier aus einem nachvollziehbaren Grund: In einer Gesellschaft in der alles vom Kapitalismus gesteuert wird, ist der Mensch nur etwas wert, wenn er funktioniert. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Menschen ihre Individualität verlieren, denn wenn alle Zahnrädchen sind, sind alle gleich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der eine sich entschieden hat Bankmanager zu werden, während es für den anderen nur zum Gärtner gelangt hat. Beide funktionieren nach demselben Prinzip: Sie leben um zu konsumieren und um konsumieren zu können arbeiten sie.

Das ist aber nur ein Beispiel. Auch Fundamentalismus oder Militärstrukturen entsprechen auf allen Ebenen dem Prinzip der Entindividualisierung. Die sozialistischen Staaten der Sowjetunion oder China setzten entindividualisierende Maßnahmen durch (die Kulturrevolution z.B.)

Klassiker in dem Bereich ist Simmels Arbeit in der Stadtsoziologie